Tamsin
muss endlich ihre Ängste verlieren. Lernen, sich zu artikulieren.
Tamsin
muss zum Frauenarzt. Sie hat ein Leiden, dass sich nicht erklären lässt und
ihre größte Sorge ist die Antwort: Da kann man nichts machen.
Tamsin
muss sich eine neue Buskarte kaufen. Sie muss so viel, aber je öfter sie es
tut, umso geringer wird die Angst. Das ist gut. Sie Überwindung ist grauenhaft.
Doch die Freude über den Erfolg ist umso größer!
Trotz des schönen Sommerwetters
freut sie sich, an diesem Dienstag wieder in der Maßnahme zu sein. Oder gerade
deswegen? Sie kann draußen sein, ist unterwegs. Das ist besser
als nur
drinnen zu sitzen und nichts Sinnvolles zu tun.
„In der
Maßnahme habe ich gesagt, dass ich nicht den ganzen Tag nur häkeln möchte.
Daraufhin wurde gesagt, dass ich mit einer anderen Frau eine Palette abschleifen
muss. Darauf hatte ich zwar auch keine Lust, aber wenigstens konnte ich dann an
der frischen Luft sein. Die geduckte Haltung, da die Palette etwas tief lag,
war unangenehm für den Rücken, aber wenigstens vergingen die Zeit dabei
schnell. Immerhin hatte ich dabei noch Glück. Letzte Woche dürften die anderen
Leute die drei übrigen Paletten abschleifen. Die lagen dann auch noch auf dem
Boden. Und Handschuhe gab es da auch noch nicht. Nebenbei wurde ein ersten
geplant. Morgen wollen wir zusammen essen. Dazu wurde heute noch eingekauft.
Einige bringen etwas mit und die anderen tun es vorher in der dortigen Küche
zubereiten. Ich habe Pesto vorgeschlagen. Das soll ich dann selbst machen. Er
scheint mir müßig, aber ich bin froh, dass es etwas geben wird, was ich gerne
esse und nichts, dass ich nur esse um überhaupt etwas im Bauch zu haben, egal
ob es gut schmeckt oder nicht. Wie durch ein Wunder durfte ich heute früher
gehen. Na ja ich durfte einen früheren Bus nehmen, weil ich bei dem anderen
immer so lange warten muss. Es ist seltsam aber ich freue mich. So habe ich
weniger Stress zu Hause mit dem Essen und dem später anstehenden Arzttermin.
Wir waren gerade beim Einkaufen als es 1:45 Uhr war und ich zum Bus gehen
durfte. Die Angst vor dem Arzttermin hält sich in Grenzen. Viel größer ist die
Sorge über mein aktuelles Unbehagen in meiner Unterkunft. Ich weiß nicht ob ich
mich hier noch so richtig wohl fühle. Ich möchte gerne ein freier Mensch sein.
Frei von Ängsten und frei, alle Entscheidungen allein zu treffen. Das betrifft
hauptsächlich die Sache mit Dave. Für andere wäre sowas selbstverständlich.
Sich mit jemanden zu treffen, oder das auch länger. Ich hingegen habe ständig
Angst, dass die Betreuer etwas mitbekommen und ich dann Ärger bekomme. Einfach
immer noch wegen der Tatsache, dass die gesagt haben, dass ich nur mit
vertrauten Menschen aus meiner Gruppe Kontakt haben soll. Ich bin richtig frustriert,
wenn ich mir jetzt schon vorstelle, den kommenden Geburtstag in einigen Wochen
nicht wie damals immer gewollt zu Hause mit Freunden feiern zu können. Denn wie
sollte ich das erklären? Dummerweise ist das nämlich an einem Mittwoch.
Eine Sache
ärgert mich allerdings dann doch mehr als gedacht. In der Maßnahme haben wir
andere Pausen als die Schüler, weil wir eine andere Gruppe sind. Die haben um
12 Uhr Pause und wir um 13 Uhr. Bedeutet, dass die ihr Essen stand schon immer
um 12 Uhr bekommen. Wir hingegen eigentlich nicht. Heute war es so, dass es
Baguettes gab, ich aber keins abbekommen habe. Und eine Stunde später waren die
auch längst kalt. Übrig blieben nur die mit Salami. Dass uns dann die kalten
Reste angeboten werden die die Schüler nicht Essen, ja, das ärgert mich. Vor
allem da ich es so sehr hasse, nachmittags so ausgehungert nach Hause zu
kommen. Dieses Hungergefühl ist einfach Elend. 8 Stunden bin ich unterwegs, 6
Stunden in der Maßnahme. Und dort gibt es nichts außer das trockene Toastbrot
oder den Kuchen, den ich mir mitnehme. Jetzt also nächste Woche sind Ferien. Da
ist kein Koch da, war ja auch keine Schüler da sind. Vor kurzem war es noch so,
dass die Pause um 12 Uhr für alle war. Aber da die Vollzeit Leute jetzt bis um
16 Uhr bleiben müssen, wurde das geändert. Na ja anstatt mich zu beklagen
sollte ich froh sein dass ich nicht mehr dazu gehöre, denn dann würde ich einen
Bus um 16:30 Uhr nehmen müssen und wäre erst um 17 Uhr zu Hause. Einen ganzen
Tag nichts Warmes essen, das ist für viele Leute normal und einige Essen eine
ganze Woche nur kalt. Aber ich bin es so nicht gewohnt. Ich finde sowas
abnormal. Ich fühle mich unwohl, wenn ich selbst am späten Nachmittag erst
Warmes essen bekomme und den ganzen Tag über Hunger und muss oder mich mit
anderen Unappetitlichkeiten über Wasser halten muss. Ja, das ist die Norm der
Gesellschaft. Das ist normal und jeder hat sich anzupassen und wer sich weigert
oder auch nur den Mund aufmacht wird doof angeguckt.“
Sie ist
stolz auf sich, dass sie sich beim Frauenarzt so gut wie angstfrei ausdrücken
konnte. Angeblich wurde sogar die Ursache ihres neun Monate andauernden
schmerzhaften Leidens gefunden. Nun hat sie allerdings eine Creme bekommen, die
sich allgemein Wundsalbe nennt. Also nichts Besonderes. Dass so etwas Banales
bei einem so komplexen leiden tatsächlich komplett helfen soll, na ja, sie hat
da so ihre Zweifel. Aber sie werde es erst mal ausprobieren. Eine andere Wahl
hat sie ja wohl nicht.
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