Sonntag, 6. März 2022

Hallo Leben!

Damals 2013 hatte ich im Fernsehen Sendung über den Tod geschaut, um so den Eltern mitzuteilen, dass ich Depressionen bekomme oder habe, weil ich Angst hatte, dass so direkt offen zu sagen und zu erklären. Deren einzige Antwort darauf war, ich soll an die frische Luft gehen. Ich hatte mich eingesperrt gefühlt, auch wenn ich jederzeit in den Garten konnte, in diesem Dorf, mehrere Kilometer entfernt von einer Stadt, die ich alleine nicht erreichen konnte und durfte. Vater wollt ihr nicht, dass ich eine eigene Wohnung habe. Hat immer alles negativ geredet. Ich würde dort nicht zurechtkommen und alles würde schlimmer werden für mich… Damals zu einer Zeit, wo ich Panik hatte, alleine einkaufen zu gehen und nie alleine irgendwo war. Ich hatte mir gesagt, mit 30 würde sich etwas ändern. Auch wenn es niemanden gefallen würde. Nicht einmal mehr. Die Depressionen wurden mit Jahr zu Jahr stärker und ich wusste keinen anderen Ausweg. Da war ich 27..

 

Heute bin ich 32 und habe jenen Stichtag erfolgreich überwunden. Nachdem WG leben habe ich seit einem halben Jahr eine Wohnung. 2 Vögel und alle positiven Menschen, die ich in der letzten Zeit kennengelernt habe, wohnen nur wenige Meter entfernt. Wir besuchen uns öfters gegenseitig. Ich kann kochen, einkaufen. Habe zwei Betreuer. Und ebenfalls als positiv bezeichnen würde ich, dass das Jobcenter gerade nicht weg Vollzeit Maßnahmen wie putzen oder Küche hinter mir her ist.

Der WG-Wechsel 2021 war das Beste, was mir passieren konnte. Auch wenn ich dort nur ein halbes Jahr wohnen konnte, wegen dem Anschließen sind Umzug in die Wohnung, habe ich auch dort viel gelernt und Leute kennengelernt. Jeden Freitag ist dort weiterhin Musikgruppe. Sofern das nicht wegen Corona, weil die Leiterin sich nicht impfen lassen will und wahrscheinlich kündigen muss deswegen, aufhört.

Dass die aktuelle Therapeutin ständig bei jeder Sitzung über das Thema Arbeit redet, Dinge gesagt hat wie, ich stehe ohne Arbeit auf der niedersten Stufe der Gesellschaft, habe komische Klamotten an, bin eine langsame Schnecke und abfällig über Behinderte redet, ist ein anderes Thema. Nicht alles kann perfekt sein. Neulich meinte sie, ich solle im Bücherladen arbeiten, der auch zur Firma gehört, bei der ich die WG hatte. Der Betreuer dort ist sehr unsympathisch und nachdem sie wieder meinte, dort würden nur Behinderte arbeiten, und da würde ich nicht hundertprozentig zu passen, war ich doch erleichtert, dass dieser inoffizielle Zwang, dahin zu müssen, sich gelegt hat.

 

Frau Sue aus der Tagesstätte hat Corona. Seitdem man sich dort für jeden Besuch am Mittwoch zum Kaffee treffen telefonisch anmelden muss, gehe ich dort so gut wie gar nicht mehr hin. Fühle mich da auch nicht sonderlich willkommen. Kaum jemand redet mit mir. Was soll’s. Auch wenn mir ein gewisser sozialer Kontakt zu Menschen fehlt, bin ich froh, dass ich erstmal ganz viel Zeit nur für mich habe. Abgesehen von regelmäßigen Terminen mit Ärzten oder Betreuern. Die Therapeutin meint dazu, ich lebe wie ein Rentner und soll der mir mal ein Praktikum oder etwas suchen. Aber genau wegen der Angst vor Praktikum und Arbeit bekam ich letztes Jahr Grundsicherung, und soll er eine Therapie machen, um stabiler zu werden. Das werde ich bei dieser Therapeutin wahrscheinlich nicht schaffen. Aber auf lange Busfahrten und Zugfahrten wieder nach Lübeck, dauerhaft Mundschutz tragen und sich testen lassen, habe ich gerade auch keine Nerven.

Das gleiche gilt für Arbeit. Ich bin geimpft und kann es nicht akzeptieren, wenn ich trotz großem Abstand oder alleine in einen Raum ein Mundschutz mehrere Stunden tragen müsste, was gar keinen Sinn ergeben würde. Außer dass ich schlechter Luft bekomme und mir übel wird, weil ich ständig meine eigene Luft einatme. In der Tagesstätte kann der Mundschutz, wenn man sitzt, runter. Aber in der Tages Klinik, wo ich auch gerne hinwürde, muss der dauerhaft getragen werden. Auch mit großem Abstand und ohne jede Logik. Auch wenn alle getestet oder geimpft sind.

 

Mein aktuelles Problem ist eigentlich nur die Einsamkeit. Nachdem ich erkannt habe, dass Dave eigentlich nur Sex wollte und ich so wütend war, als er zu mir sagte, dass er mit mir zusammen sein will und zwei Stunden später online zu anderen Frauen sagt, dass er ohne Verhütung gerne mit denen schlafen will, wird mir bewusst, dass ich die ganze Zeit mit ihnen eigentlich nur verschwendet habe. Ich hatte echt gedacht, er wäre der richtige für mich. Und daraus würde etwas Ernstes werden. Aber da wir uns nun 5 Jahre kennen und nicht einmal geschafft haben, zusammen zu kochen oder offene Gespräche zu führen, hätte ich mir das auch denken können.

 

Ein Beamer mit Leinwand kaufe ich mir und erfülle mir damit einen ganz alten kindheitstraum. Mit 13 hatte ich aus einer Lupe vor dem Fernseher eine Projektion gebaut, die aber immer auf dem Kopf stand. Ich habe dafür gespart. Eigentlich wollte ich irgendwann ein Auto kaufen, aber mittlerweile kostet Benzin 2 € wahrscheinlich wegen dem Krieg in Ukraine, und ich wüsste nicht, wofür ich ein Auto jetzt brauchen könnte. Damals war es noch wegen Dave, weil ich dachte, dass wir dann zusammen überall hinfahren und viel erleben können. Das hat sich nun erledigt. Und ich bin froh, dass ich nicht nur wegen ihm ein Auto gekauft habe. Im Gegensatz zu dem Schlauchboot, dass immer noch kaputt ist.

Er hat jetzt Arbeit, jeden Tag eine Stunde und meldet sich nur noch selten. Vielleicht hat er auch schon eine andere Frau gefunden.

 

Es wird langsam Frühling. Eigentlich freue ich mich darauf. Mit bekannten etwas zu erleben, feiern, und die neue Freiheit genießen. Alkohol trinke ich öfters, manchmal auch um der Realität zu entfliehen, denn diese gewisse Panik von 2007 jobB ist weiterhin allgegenwärtig. Und die Therapeuten, die sagt, dass ich für eine Ausbildung zu alt bin und als ungelernte Kraft wohl auch nichts besseres, als putzen oder Küche finde, kann mir die Angst auch nicht nehmen. Im Gegenteil. Die Angst vor Vollzeit Tagen, wo man im Winter im Dunkeln losgeht und abends im Dunkeln heimkommt und kaum Tageslicht auf der Haut spüren darf, verfolgt mich weiterhin genauso stark wie die Angst vor unliebsamen Tätigkeiten. Die Depression ist ein Teil von mir, an den ich mich gewöhnt habe. Er verursacht ab und zu Leid und Kummer, aber kann mich auch beschützen. Früher habe ich aus Angst vor Konsequenzen alles mitgemacht, Küche putzen, Toiletten putzen und stundenlanges schmerzhaftes stehen.  Heute würde die Depression die Kontrolle übernehmen und mich daran hindern, solche Sachen noch mal auszuhalten, wo ich mich in der Pause in der Toilette einsperre, damit mich niemand weinen sieht.

Weiterhin halte ich an dem Ziel fest, irgendwann im Büro oder als Grafiker zu arbeiten. Ich weiß nicht wie und wo, und die anderen wissen das auch nicht. Und aktuell bin ich auch nicht bereit, für eine Ausbildung, sofern die doch möglich sein sollte, 12 Stunden täglich unterwegs zu sein mit langen Zugfahrten und Mundschutz.

 

Der ambulante Betreuer, den ich durch die WG erhalten habe hat geholfen, die gesetzliche Betreuung einzurichten. Er meinte, damit würde nur der Druck durch die Aufregung genommen werden, wenn ich immer Anträge oder Papiere ausfüllen muss, nicht weiterweiß. Es soll mich entlasten. Das tut es wahrscheinlich auch. Allerdings hat er manchmal, wenn auch selten, schlechte Laune und erinnert mich sehr an Frau Mai. Ich habe erzählt, welche Panik ich vor einem Praktikum habe und er meint, ich soll mir Firmen suchen, bei denen ich mir das vorstellen könnte.

Teilweise würde ich schon gerne ein Praktikum bei einer angenehmen Firma und Tätigkeit ausüben wollen, allerdings ist diese innere Panik, da jeden Tag hinzugehen, fremde Menschen, dauerhaft Mundschutz, alles neu und ungewohnt, doch sehr groß. Naja, immerhin scheinen die meine Angst mit dem Bus fahren zu verstehen. Dass ich nicht gerne an fremde Orte fahre, wo ich noch nie war und nicht gar nicht auskenne. Oder in so einen vollgestopften Schulbus steigen zu müssen, der so voll ist, dass man sich kaum zur Ausgangs Tür drängeln kann…

 

Bis auf die Tapeten ist die Wohnung komplett und schön eingerichtet. Auch wenn mir die Raum Trennung mit der integrierten Küche im Wohnzimmer nicht sonderlich gefällt. Aber alles ist sauber und neu und modern. Und ich habe keine lauten Nachbarn!

 

 

 

 

 

 

 

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