Samstag, 31. März 2018

>> „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“




„Das Schicksal bestimmt den Lauf des Lebens. Niemand vermag, einen Kampf dagegen zu gewinnen.“, denkt Tamsin. Sie weiß, dass der Lauf ihres Lebens vorbestimmt ist und alles so passiert, wie es passieren soll. Nicht geschieht grundlos. Sie kann sich dagegen auflehnen, aber letztlich wäre dies nur ein Umweg, der sie dennoch ans vorbestimmte Ziel führen wird. „Es ist mein größter Alptraum, das Leben zu leben, das andere mir vorschreiben!“ Und wenn dies geschieht und es sie in den Wahnsinn treibt, denn soll es so sein.
Denn es wird passieren. Tamsin ist schwach. „Tamsin macht alles, was andere ihr sagen.“, hatte ihr Dad gestern gemeint, als sie eine Makrone mit der Gabel verspeist, weil er meckert, wenn sie mit den schmutzigen Fingern das Essen anfasst. Das war schwierig. Aber sie hat es getan.
„Er hat Recht. Ich tue wirklich immer, was andere verlangen. Selbst wenn ich darunter leide, ich mache immer weite raus Angst vor noch schlimmeren Konsequenzen.“ Einmal hatte sie sich geschworen, nie wieder zu leiden, um anderen einen Gefallen zu tun. Andere kommen damit schließlich auch immer durch.
Und doch hat sie sich selbst verraten und ist nun wieder genau da, wo sie niemals sein wollte. „Ich bin schwach, seelisch und körperlich. Ich kann nichts außer das, was andre mir vorschreiben.“ Seit zwei Tagen kratzt ihr Zahn wieder an der Zunge und das tut weh, und sie weiß nicht, ob der Schmerz real oder nur Einbildung ist. „Tamsin, geh in den HWI Bereich. Pack die Gläser weg. Scheuer den Edding von der Tischplatte. Geh in den Kiosk. Benutz die Gabel. Wasch dir die Hände. Tu dies, tu das, du bist jung und gesund, du kannst das!“, sagen sie. Und Tamsin gehorcht.
„Ich hasse mich dafür!“

Donnerstag, 29. März 2018

Osterschnee

 
Tamsin ist schockiert. Schnee! Ganz viel Schnee kam über Nacht! Nun muss sie wieder die blöden Stiefel anziehen. Naja. Ärger bringt nichts. Heute ist Donnerstag. Die nächste Woche hat sie Zwangsurlaub. Das Freut und Ärgert sie gleichermaßen. "Endlich mal eine Woche, wo keine Schüler da sind und damit auch kein Kiosk offen ist, und dann muss ich Frei nehmen!"
Und dann ist es auch noch so kalt, dass sie keinen Klee einpflanzen kann.

Wie öde. Abends schreibt sie mit Dave über kranke Filme. Er mag sowas. Tamsin auch.

Er hat auch Urlaub und will sich mit ihr treffen. Tamsin hat noch kein neues Foto von ihrer neuen Frisur hochgeladen und sie hat immer noch Angst, dass er sie wegen ihres Aussehens, ihres korpulenten Leibes oder der banalen Tatsache, dass sie in einer betreuten WG wohnt, abservieren könnte. Nicht, dass er den Eindruck macht, so ein Typ zu sein. Aber alles ist möglich. Und zudem hat Tamsin nie Glück, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass er sie nach dem Treffen nichtmehr anguckt, schon groß ist. Zudem weiß sie nicht, wie sie mit Don umgehen soll. Nach dem, was er so schreibt, kann man nicht ausschließen, das er beim ersten Treffen mit einem Verlobungsring aufkreuzt und ihr einen Antrag macht. Immerhin hat er sich schon nach einer Wohnung erkundigt und meint, man solle sagen, dass sie Schwanger sei, um diese schneller zu bekommen. "Immerhin könnte es ja passieren, dass sie schnell wirklich schwanger werden würde, und dann wäre es keine Lüge mehr.", meint er.

"Ich will keine Hochzeit, Kinder, Liebe mit und von jemandem, den ich nicht kenne. Andere Menschen warten damit Jahre! Sowas ist normal! Allerdings mag sie auch nicht Nein sagen, sollte er fragen. 
Wenn Dave sie aus einem Absurden Grund verschmäht, ja wer außer Don würde sie dann sonst noch wollen? Niemand!? "Ich will nicht alleine Alt werden."

Wie gestern hat Tamsin auch heute wieder wenig Lust zu basteln. Sie überlegt sich ein Motiv und mal das letzte Ei an. Sie gibt sich dabei besonders viel Müde. Zum einen, weil malen ihr Spaß macht – mehr als schneiden und kleben, und zum anderen, weil dieses Ei dann wirklich besonders aussieht. Beinahe drei Stunden sitzt sie daran, während die anderen Beiden aus Socken mit Reis Hasen basteln und Bilder ausmalen. "Die Sachen dürfen alle behalten werden.", freut Tamsin sich über die Eier. Das kam unerwartet. "Ich habe also doch noch ein wenig Glück im Leben."  

Nachdem ihr Ei fertig ist, lässt Tamsin sich etwas Ausdrucken, dass sie dann ausmalt. "Ich komme mir vor wie im Kindergarten.", denkt sie dabei, denn Ausmalen bereitet ihr alles andere, als Freude. Aber was soll sie sonst machen? Die Eier sind alle bemalt und auf Basteln und kleben hat sie noch weniger Lust. "Vom langen Sitzen tut mir der Hintern weh."  

Nachdem auch dies Erledigt ist – sie bastelt aus dem ausgemalten Bild eine Karte, die sie irgendwann, wenn es mal nötig ist, zu Ostern an irgendjemanden verschenken wird. Ihre Eltern machen sich nicht so viel aus sowas, aus Ostern und Geschenken an Ostern. "Das einzig Gute an Ostern sind die freien Tage, die diesmal für mich auch nichts Besonderes sind, da ich an diesen Tagen sowieso nicht in die Maßnahme bräuchte und deswegen nur die Therapiegespräche ausfallen."  
Äh, ja... also, nachdem dies erledigt ist, darf Tamsin sich an den Computer setzen. Die neue Anleiterin ist nett und nicht so stark von Bürokratie besessen, wie so manch anderer. Dennoch hat auch sie nicht die Macht, Tamsin von der Kassentätigkeit zu erlösen. Aber wenigstens ist die Maßnahme nun ein wenig erträglicher. Frau Ti ist schon im Urlaub und heute waren sie insgesamt nur zu dritt und durften einigermaßen früh gehen.  

Tamsin versucht entspannt in den Urlaub zu starten, wenn auch der Gedanke an die Kasse - ein Alptraum, der niemals endet - ihr im Nacken sitzt und aus der Ruhe bringt. Noch hat sie die Tabletten, die sie wegen dieses Probleme bekommen hat, nicht angerührt. Aber noch hat es sie nicht so stark überwältigt, dass sie die Kontrolle über sich und ihre Gedanken verliert und das gefühlt hat, taub wie ein Zombie die altvertrauten Bewegungen auszuüben. Getränke einräumen. Geld einzahlen und dann der Verkauf. Jeden Mittwoch. Zwei Stunden ungefähr - mit Pausen dazwischen. "Warum nur nimmt es mich so sehr mit!?!?", fragt sie sich immer wieder.  

Das geplante Treffen mit Dave bereitet ihr ebenfalls Unbehagen. Nicht wegen der Angst vor Menschen und davor, kein Wort rauszukriegen. Sondern davor, dass er wirklich nett und höflich ist und davor, dass er sie, nachdem er sie erstmal richtig kennengelernt hat, doch noch abweist du sowas schreibt wie: "Du bist zwar ganz nett, aber es passt einfach nicht." Oder noch schlimmer, dass er sich einfach gar nichtmehr meldet. Tamsin ist sensibel und malt sich immer das Schlimmste aus. "Ich rechne immer mit dem Schlimmsten." Denn sie sehnt sich danach, einen Freund wie ihn zu haben... "Verdiene ich das überhaupt?"  

"Man muss sich selbst lieben, bevor man auch von anderen geliebt werden kann.", so ein Spruch, den sie mal gehört hat und an den sie fest glaubt. Und Tamsin hasst sich. Ihr verdorbener Charakter, der sie zwingt, bei jedem Patzer von anderen schamlos zu lachen und sich an dem Unglück anderer zu ergötzen. Sie will nicht so sein, ist aber so – und das schon seit früher Kindheit. "Oft habe ich gelacht, wenn andere Leiden und mich daran erfreut, weil es mir zeigt, dass es jemanden noch schlechter geht als mir."  

So auch heute kurz vor Feierabend. Während die anderen anfangen aufzuräumen, bleibt Tamsin am PC sitzen und schreibt. Niemand sagt etwas, und insgeheim freut sie sich darüber - obwohl sie gerne aufstehen und sich bewegen würde - dass sie tun darf, was sie gerne tut und nicht tun muss, was anstrengend ist und ihr keinen Spaß macht. "Ein wenig mies fühle ich mich schon." Sie hätte den Staubsauger nehmen und einfach anfangen können. "Aber das geflickte Rohr ist durchgebrochen und er saugt so schlecht.", bemerkt sie demotiviert, als Kara, die sich kurz hingesetzt hat, weil ihr der Rücken wehtat, langsam anfängt. "Bin ich ein schlechter Mensch???" 

Mittwoch, 28. März 2018

Osterbasteln



Wie jedes Jahr in jeder einer solchen Maßnahme steht diesmal wieder Osterbasteln auf dem Plan. Tamsin ist froh und erleichtert, dass sie nicht an die Kasse muss, obwohl dort Hochbetrieb herrscht. Stattdessen blättert sie durch ein Bastelbuc auf der Suche nach Ideen. Lustige Hasen, singende Frösche und andere sonderbar "lustige" Gestalten lachen sie an. Für Tamsin, die eher auf Totenköpfe und Horroraugen steht, ein Graus! Doch ihr Unbehagen sinkt, als sie eine Tüte Plastikeier zum Bemalen entdeckt. Sie muss keine Hasen mit Blumen ausschneiden aus zusammenkleben. Puh!
Sogleich macht sie sich ans Werk.
Die anderen mit ihren gestreiften Kindereiern staunen über das Ergebnis. Während sie gerade eben ein paar krumme Striche und Klekse hinkriegen, malt Tamsin einen Sonnenuntergang. „Die Eier sehen aus wie gekauft.“, meint Saby anerkennend. Tamsin glaubt ihr. Dies ist nicht nur so ein dahingeworfenes Höflichkeitslob, das gesagt wird, um jemandem Mut zu machen.

Ein Ei fertigt sie für Kara an, die ebenfalls nicht gut malen kann. Sie war begeistert, und das hat auch Tamsin mit Freude erfüllt.

Da die Eier zu Neige gehen, war sie froh, wegen einem Termin, bei dem sie Qi Gong machen konnte, früher gehen zu können.



Das ist eines ihrer Eier: