Samstag, 31. Dezember 2016

Silvester steht vor der Tür.

Der diesjährige Silvestertag zählt zu den wohl langweiligsten überhaupt. Tamsin langweilt sich. So sehr, dass sie selbst zum Fernsehen keine Lust mehr hat. Den ganzen Tag sitzt sie davor. Hat nichts anderes zu tun. Seit vielen Jahren wünscht sie sich, einmal wieder richtig mit Leuten zu feiern. Aber sie kennt keine. Ihre Eltern liegen ebenfalls träge auf der Couch. Was soll man auch sonst machen? „Wir haben dieses Jahr nicht mal ein Tischfeuerwerk.“ Es ist neunzehn Uhr und Tamsin sitzt alleine in ihrem Zimmer. Draußen knallt und kracht es. Raketen zischen durch die Luft. Doch sie verspürt nicht das Verlangen aufzusehen und hinauszusehen. Dabei liebt sie buntes Feuerwerk. Die Tränen kommen ihr. Nicht einmal ihre Lieblings Animeserien können sie aufheitern. Sehnsüchtig denkt sie an ihre Kindheit zurück. Damals hatte sie Freunde, die mit ihr feierten. Heute feiern diese alle mit ihren eigenen Familien. Gerne würde sie hinausgehen. Raus, in die Stadt, in eine Bar oder eine Disko, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Aber das ist unmöglich. Selbst wenn sie nicht krankhaft schüchtern wäre, als junge Frau alleine durch dunkle Straßen zu ziehen wäre nicht so ihr Ding. Und sie würde ihren Dad nicht bitten, sie zu fahren. „Ich bin nicht abhängig, so lange ich mich nicht dazu mache!“

„Vielleicht wird es nächstes Jahr besser.“, hofft sie innig.
Lucy bezweifelt dies. Vielleicht wird das Unglück ihr lebenslanger Begleiter sein. Auf ewig.
Aus Erfahrung weiß Tamsin, dass nie etwas kommt, wie man es erwartet.


Ein wenig Heiterkeit machte sich breit, als es später dann doch noch Sekt gab. Tamsin hat den Mut, der ihr das Gesöff verliehen hat, genutzt, um sich mit dem Mann, dem sie im Internet kennengelernt hat über Videochat zu unterhalten. Das funktioniert. „Normalerweise bin ich ja total schüchtern und gehemmt, wenn es um Kommunikation mit Fremden geht. Doch es gelang mir, abgesehen von der durch Sekt verursachter Entzweiung der Realität einen einigermaßen normalen Eindruck zu machen. Wir haben uns unterhalten. Über vieles. Bis zu dem Punk, an dem ich mich entkleiden sollte.“ Das hat Tamsin geärgert. Sehr. „Warum ist es nicht einmal möglich, einen Mann im Internet zu finden, der nicht nur auf das EINE aus ist!?“ Da er ihr Nein nicht akzeptieren konnte, hatte Tamsin den Videochat schließlich grußlos beendet. Sie wollte ihren Lieblings Silvester-Film Die Reise ins Glück schauen. Dies konnte sie jedoch nicht ohne eine letzte Nachricht ihres vermeidlichen Liebhaber zu erhalten, in der er sie enttäuscht darum bittet, den Videochat am folgenden Tag fortzusetzen.

Doch der wahrte Tiefpunkt des Abends kam erst noch. Um halb zwölf haben Tamsin und ihre Eltern sich auf den Weg zum Großfeuerwerk gemacht. Da es kalt war und niemand große Lust hatte hinzugehen, (Naja, die Cocktails Schmecken da gut, wobei 5 Euro für ein Glas schon echt dreist ist!) wollten sie vom Auto aus zuschauen. Doch wo sollten sie parken? Kurz vor Mitternacht kamen sie an. Ca. fünf Mal ist ihr Dad die kleine Straße am See auf und abgefahren, auf der Suche nach einem guten Aussichtspunkt/Parkplatz. Am Ufer standen Bäume und Schilder, die die Sicht auf das bunte Spektakel erschwerten.
Letztlich haben sie ein paar kleine Raketen beobachtet, da das große Feuerwerk hinter ihnen stattfand, was sie erst bemerkten, als es schon wieder zu Ende war. „Was für eine Pleite!“ Das war das mieseste und langweiligste Silvester seit Jahren!

Donnerstag, 29. Dezember 2016

Tamsin lässt sich gehen.

Es war einmal eine junge Frau. Ihr Name war Tamsin und sie teilte sich ihren Kopf mit ihren beiden anderen Persönlichkeiten Lucy, die Herrin des Zornes und des Hasses, und Mira, einem Anhängsel des Regenbogenlandes. Zusammen lebten sie in einer Festung an der Grenze zur unsichtbaren Welt. Seit kurzem wird diese Festung von einem bösen Unheil heimgesucht! Ein schriller, quetschender Pfeifton, dessen Ursprung Tamsin nicht zu deuten vermag. Er schwächt sie, zwingt sie in die Knie, treibt sie schier in den Wahnsinn - sofern dies nicht schon längst geschehen ist. Die Intensität des Pfeifens wechselt. Mal schwillt es an, mal schwächt es ab und bleibt dann wieder konstant. Welch übler Zauber mag dahinter stecken!?
Also beschloss Tamsin, den Ursprung dieser penetranten Quälerei ausfindig zu machen. In der Hoffnung, die flackernde Glühbirne, die in einer Fassung lose an der Decke baumelt, wäre der Übeltäter, knipst sie das Licht aus. Doch das Pfeifen pfeift weiterhin unerbittlich. Mürrisch mustert sie ihr Radio. Musik übertönt das Geräusch, doch auf Musik hat sie momentan keine Lust. Ihre Stimmung ändert sich und sie beschließt, dem heimtückischen Ursprung später auf die Schliche zu kommen.


Tamsin lässt sich gehen. Ja, genau, das war das Thema! Also...

Tamsin kann nicht von sich behaupten, gerne Sport zu treiben. Gerne würde sie abnehmen. Aber wie, ohne Motivation!? „Es gibt zwei Arten von Sport & Abnehmen. Beides hängt eng zusammen. Einmal gibt es das Fitnesscenter. Man quält sich auf Sportgeräten, stets nur die Uhr im Blick. Es kostet Geld und macht nicht wirklich Spaß. Jedenfalls nicht mir. Aber dann gibt es noch die Sportarten, die großen Spaß machen und bei denen man mindestens genauso gut abnehmen kann. Federball, Frisbee. Zwei von vielen Tätigkeiten, bei denen man sich viel Bewegt. Leider besteht darin der große Nachteil, dass man für all diese Dinge einen Partner braucht.“ Und den hat Tamsin nicht. „Die einzige angenehme Sportart, die mir sonst noch einfallen würde, wäre Walking.“ Aber es ist Winter. Es wird schnell dunkel. Und es ist kalt. Und Tamsin sitzt immer noch in diesem Dorf fest. Ihr Dad würde niemals zulassen, dass sie alleine im Dunkeln die einsame Landstraße entlang walkt. Sie könnte entführt werden! „Außerdem hätte ich sowieso keine Lust, alleine durch die Kälte zu ziehen.“ Und wer sollte sie dafür schon motivieren? „Ich vermisse die Zeiten, in denen wir mit der großen Gruppe jeden Tag zweieinhalb Kilometer gewandert sind!“ Diese Gruppe existiert nicht mehr. „Ich überlege, Gymnastik zu machen. Alleine. Vor einem Internetvideo. Aber dabei komme ich mir albern vor.“
Abgesehen von ihrer bewussten Faulheit hat Tamsin viel damit zu tun, ihre Weihnachtsgeschenke zu verspeisen. „Ich weiß, Pralinen halten sich eine ganze Weile. Aber sie sind da, und die Versuchung ist so groß...“ Momentan ist Tamsin ihre Ernährung so wichtig wie ein Stück Laub in der Regenrinne. Gerne verzehrt sie die leckeren, fettigen Twisterpommes, ohne über die Folgen nachzudenken. Dabei weiß sie von einer Ernährungsexpertin, dass gerade Frittiertes das schlimmste aller schlimmen Lebensmittelsünden ist! „Oft frage ich mich, wie ein einzelner Burger von McDoof so ungesund sein kann. Viele beklagen das fettige Fleisch. Dabei sieht es gar nicht so fettig aus. Nichteinmal Fett tropft aus, wenn man es zusammendrückt. Der Rest ist Gemüse. Das Schlimmste ist wohl die Soße. Aber auch das ist eher ein kleiner Klecks im Vergleich zu den dicken Salatblättern.“

Heute hatte Tamsin wieder einen sonderbaren Traum.
„Ich lag im Bett. Hinter mir stand ein Stuhl über dem ein schwarzes Handtuch hing. Ich wollte einschlafen, doch vernahm ein bizarres Rascheln. Mit dem Handy leuchtete ich zu dem Stuhl. Das Handtuch hat sich bewegt! Ich habe es eine Weile beobachtet. Angst stieg in mir auf. War es wohl möglich eine Maus, die sich in den Fängen des Handtuchs verfangen hat? Egal. Unsicher lösche ich das Licht, will schlafen. Doch es lässt mir keine Ruhe. Nach einer Weile schalte ich es wieder ein und stelle fest, dass das Handtuch plötzlich anders hängt, als zuvor. Ein Geist, schießt es durch meine verträumten Gedanken. Ich wiederhole diesen Vorgang mit dem Licht mehrere Male. Jedes Mal, wenn ich das Licht einschalte, liegt das Handtuch anders. Am Schluss liegt es zusammengefaltet neben meinem Bett. Der Schrecken darüber – welch übersinnliche Macht mochte wohl dahinter stecken? - war so enorm, dass ich in Wirklichkeit aufgewacht bin. Mein Herz klopfte wie wild. Ohje. Schnell wurde mir bewusst, dass nichts von alldem real war. Also schlief ich wieder ein. Ende.“ Ja, echt ein komischer Traum, oder?

Sonntag, 25. Dezember 2016

Abends Juhe, Morgens Ohje


Um einen möglichen Kater vorzubeugen, hatte Tamsin am gestrigen Abend neben den ungesunden Spirituosen eine Menge Wasser in sich hineingeschüttet. Doch offenbar nicht genug. Übelkeit der heftigsten Sorte – Kopfschmerzen waren eher gering – fesselten sie ans Bett. „Oh man, es war so grauenhaft. Bis vierzehn Uhr, da ging es mir ein wenig besser. Ich konnte essen, und das Essen blieb sogar in mir. Ich sollte wirklich lernen, Grenzen zu erkennen und stark genug sein, der Versuchung, diese zu überwinden, nicht nachzugehen.“ Tamsin ist kein Säufer, sie lässt es sich lediglich zu besonderen Anlässen schmecken.

Samstag, 24. Dezember 2016

Stürmische Weihnachten

 
Regen und Sturm. Wäre es nur ein wegen frostiger, würde sich die niederprasselnde Nässe in ein himmlisch katastrophales Schneechaos verwandeln. Tamsin würde lügen, würde sie behaupten, wie entsetzlich sie so etwas fände. Zugeschneite Straßen. Der Verkehr lahmgelegt. Auch wenn sie kein Fan von Eiseskälte ist, ein kleines Schneechaos mit meterhohen Schneewehen, die sich an den Straßenrändern auftürmen, dahinter eine strahlend weiße Winterlandschaft, das gehört zu Winter und Weihnachten einfach dazu!
Tamsin hat eine neue Animeserie entdeckt. Sie liebt es, den Abend mit Animes zu verbringen. „Sie sind so bunt und lustig, verrückt und spannend. Manchmal auch brutal, aber das macht sie nicht weniger sehenswert.“, findet Tamsin. Jetzt, wo sie nichts mehr um die Ohren hat, niemandem zu Reden hat und den ganzen Tag über alleine ist, sind die abendlichen Animestunden ein echtes Highlight, auf dass sie sich bereits am frühen Morgen freut. „Meine ehemalige Dozentin, die selbst kein Fernsehgerät besitzt, weil heutzutage sowieso nur noch Trash im TV gezeigt wird, hat immer gesagt, man soll sich nicht so sehr davon berieseln lassen und mit den Gedanken dabei sein; die Sendungen verfolgen, es aber nicht einfach alles in sich aufnehmen, sondern darüber nachdenken, es verarbeiten und auch mal Dinge hinterfragen.“ Tamsin macht genau das Gegenteil. „Wenn ein Anime anfängt, hört die Realität auf. Ich denke nicht. Ich akzeptiere. Ich versuche bewusst, in dieser Welt zu versinken.“ In einer anderen Welt, die nichts existiert. Einer besseren Welt als Tamsins. „Momentan schaue ich Seraph of the End. Eigentlich mag ich keine Sendungen, in denen es um Krieg und Kämpfe geht. Aber diese Sendung hat mich mit ihrer Story und den Charakteren, die sich hassen und verraten und doch füreinander einstehen, in ihren Bann gezogen. Bis Staffelende habe ich noch drei Folgen nach. Ich gestehe, ich freue mich darauf fast schon mehr, als auf den Weihnachtsabend.“
„Weihnachten ist heute nicht mehr, was es früher war. Ja, am Familienfest hat sich nichts geändert, es gibt Kaffe und Kuchen und Abends Geschenke.“ Aber, wie Tamsin findet, steht Weihnachten in dieser modernen Zeit mehr für Konsum und Profit. Es fängt schon bei dem Glühwein an – vier Euro für eine kleine Tasse. Für das Geld bekommt man im Geschäft schon zwei große Flaschen. Geschäfte freuen sich, wie groß der Umsatz ist. Alle wollen teure, große Geschenke.
Dabei kann man das wertvollste Geschenk, glückliches Beisammensein, für kein Geld kaufen.
Es gibt Menschen, die sind an Weihnachten alleine. Tamsin ist froh, bei Verwanden feiern zu können, wenn auch sie die alten Zeiten, in denen sie nicht nur ihre Oma sondern auch ihre Tante besuchte, vermisst. „Damals, ich denke, ich war ca. fünf Jahre alt, waren es noch große Feste. Jemand, von dem ich heute nicht mehr weiß, wer er eigentlich war, hat immer auf der Ziehharmonika gespielt. Es gab jedes Jahr Wurst mit Kartoffel/Nudelsalat, was ich nicht mochte. Dabei mag ich Wurst. Wahrscheinlich hat es mich nur geärgert, dass es jedes Jahr dasselbe gab. Als ob es sonst nichts anderes gäbe. Naja, immer, als mir langweilig wurde, bin ich unter dem Tisch gekrabbelt und habe den Leuten die Schuhe aufgemacht, die Bänder zusammengebunden. Ärger gab es nie. Ich fands Lustig. Als Kind darf man so viel... Später hatte ich einen Gameboy bekommen, mit dem ich einen großen Teil meiner Kindheit verbracht habe!“ Die Feste bei ihrer Oma sind ganz anders. Kinder schreien, sind albern. Es wird geraucht, ohne Rücksicht auf Nichtraucher.
Und, wie wars?
„Da wir Nachmittags noch Besuch hatten, hatte sich der Aufbruch um zwei Stunden nach Hinten verschoben. Wir haben das Kaffeetrinken verpasst. Schade, dass es diesmal echt gute Torte gab! Die hatten sich schon gewundert, wo wir denn blieben. Als wir ankamen ging es direkt mit der Bescherung los. Ich habe alles gefilmt. Als Erinnerung. Das tue ich immer. Irgendwann in den nächsten Jahrzehnten werde ich ihnen diese Aufnahmen vorspielen. Nach dem Geschenke-verteilen – ich vermisse die Zeiten, als ich noch Kind war und mich über Unmengen von Spielzeug freuen durfte, auch wenn ich gestrickte Socken inzwischen ebenfalls zu schätzen weiß – gab Es Abendessen. Nudelsalat mit Würstchen. Welch eine Ironie, da ich zuvor noch darüber nachgedacht habe, wie wenig mich dieses typische Standartessen begeistert. Richtig lustig wurde es, als wir daheim nochmal Bescherung gemacht hatten. Es gab Sekt und wie üblich jede Menge Schokolade. Inzwischen habe ich hier ca. 10 Schachteln Pralinen rumliegen. Nach dem Sekt gab es noch Rotwein. Bereits vor dem ersten Glas wusste ich, dass dies keine gute Idee sein würde. Aber es ist Weihnachten, da darf man das. Viel gibt es nicht mehr zu berichten. Wir saßen da, haben uns unterhalten und dabei ständig einen Musiksender gesucht, der Weihnachtslieder spielt, da kein funktionsfähiger CD Spieler verfügbar war. Währenddessen begann die Welt sich immer schneller um mich herum zu drehen. Und das meine ich wortwörtlich. Eigentlich hatte ich geplant, meine Animes weiter zuschauen, doch da ich nicht einmal mehr gerade gehen konnte und mir bewusst war, dass ich in diesem zustand keine der dort preisgegebenen Informationen in mich aufnehmen konnte, bin ich prompt müde ins Bett gefallen. Dort lag ich noch eine ganze Weile wach, gepackt vom Schwindel. Dieses Gefühl verfolgte mich noch bis spät in die Nacht hinein. Ohje.“

Donnerstag, 22. Dezember 2016

So viel Getue um nichts!


An diesem Tag hatte Tamsin Lust auf etwas Knuspriges. „In der Nähe gibt es einen Laden, in dem es Twister Pommes gibt. Die sind so ähnlich, wie die Curly Fries von McDoof, nur dass diese nur halb so teuer sind, die Packung doppelt so groß ist und sie immer frisch zubereitet werden, und nicht aufgrund Massenproduktion schon ewig in einer Wärmeablage liegen und deshalb nur noch lauwarm sind, sobald man sie bekommt.“ Tamsin liebt diese ungesunden, frittierten Twister Pommes. Also beschloss sie, mit ihrem Dad in die Hafenstadt zu fahren. Er wollte sowieso nach Edeka, seine Gewinnkarten in die Box werfen. Da ihre Mom nicht mit war, war dies ein recht flottes Unterfangen ohne langem Einkauf. 

Doch wie für Tamsin typisch, lief dann doch wieder einmal alles anders, als geplant. Vor dem Imbiss gab es keinen freien Parkplatz. Der Imbiss liegt direkt an der Straße, und wenn es keinen freien Parkplatz gibt, tja, dann hat man ein Problem. Andere Parkmöglichkeiten liegen weit entfernt. Naja, unter „weit“ versteht jeder etwas anderes, doch wenn man Essen dabei hat, will man damit nicht noch weit durch die Stadt latschen. Oder?

Nun, direkt vor dem Imbiss gab es eine winzige Parklücke, die dadurch entstanden war, dass das Auto, dass schon dort stand, zwei Plätze für sich eingenommen hat. „So ein Idiot.“ Und so kam es, dass ihr Dad mit Tamsin mehrmals die Straße rauf und runter gefahren ist, stets hoffend, es würde endlich jemand wegfahren. Doch die Leute in dem angrenzendem Bäcker ließen sich mit ihrem Frühstück viel Zeit. Geplagt vom quälendem Hunger beschlossen sie nach einer Viertelstunde schließlich doch, eine der ca. 30 Meter entfernten kostenpflichtigen Parkmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Ein Euro für das Parkticket – leider völlig umsonst, wie sich im Anschluss herausstellte. Mit wenig entschuldigender Miene erklärte der Verkäufer nach Aufgabe ihrer Bestellung: „Die Twister sind aus. Darf es vielleicht etwas anderes sein?“
Verärgert verließen sie den Imbiss. Die normalen Pommes schmecken dort nicht; sind weich und schlecht gewürzt. Richtig gute knusprige Pommes hinzukriegen, die nach Kartoffel schmecken und wo nicht das Fett herausspritzt, sobald man sie anhebt, ist eine wahre Kunst, die nur sehr, sehr wenige beherrschen! Tamsin ist enttäuscht. „So viel Getue um nichts!“ Nun musste doch mit Nudeln vorlieb nehmen.

Samstag, 17. Dezember 2016

Einkaufsirrsin




Tamsin hat einen ungewöhnlichen, aber langweiligen Samstag hinter sich. Die Hälfte des Tages verbrachte sie damit, ihren alten Computer wiederherzurichten. Sowas macht sie gerne. Der Raum, in dem er steht war unbeheizt. Die Wärme des Gasofens reichte kaum bis dorthin. Die Fenster sind alt und undicht, die Wände schlecht isoliert. Ihr Dad hatte im Garten Feuer gemacht, und als der Wind sich drehte, zog der Rauch durch die winzigen Ritzen, durch die stets allerlei Getier; Asseln, Spinnen eindringen direkt in Tamsins Nase. Aber davon hatte sie sich nicht vertreiben lassen.
Zur Abendstunde überkam sie wieder ein Anflug von Langeweile. Die Abende verlaufen stets gleich. Fernsehen, Essen, Schlafen. Außer in der Weihnachtszeit. Wie üblich hat sie sich mit ihren Eltern zu einem Weihnachtsmarkt aufgemacht. Der Glühwein dort war nicht sehr berauschend. Im Anschluss haben sie sich zum Sushiladen aufgemacht. Unerwarteter Weise klebte über der großen Speisekarte an der Wand wieder ein Zettel mit der Aufschrift: Heute kein Sushi! „Ich glaube, der hängt da jeden Tag!“, so Tamsins missvergnügte Vermutung. Warum können die nicht einfach schreiben „Den ganzen Winter über kein Sushi“, wenn es doch so ist!?
Nunja, im Anschluss dessen gab ihr Dad seiner Gewinnspiellust nach; dem vermutlich einzig wahren Grund, weshalb sie überhaupt losgefahren sind. „Außerdem brauche ich noch eine Schokolade.“, so ihr Dad. „Und du, reg dich nicht immer so auf. Es ist nett von uns, dass wir dich zum Einkaufen mitnehmen.“, versuchten sie, die in Lucy aufwallende Wut darüber, dass sie auf der Rückbank im Auto festsaß und keine Wahl hatte, als sich wieder zum Einkaufsladen mitschleifen zu lassen, zu beschwichtigen. „Du kannst dir ja auch eine Schokolade aussuchen.“
Natürlich brauchte Lucy keine Schokolade. Davon hatte sie selbst noch drei Packungen rumliegen. Und sie will doch abnehmen. Lucy versteht es nicht. So viel Ärger. Nur wegen Schokolade und einem Gewinnspiel, bei dem er sich nur aufregt, dass er nichts gewinnt. „Man muss nicht jeden Tag in den Supermarkt. Erst recht nicht wegen jeder Kleinigkeit. Man kann auch alles auf einmal kaufen; so schnell werden Lebensmittel heutzutage nicht mehr schlecht.“, findet Lucy, die sich darüber ärgert, dass ihnen so etwas offenbar immer einfällt, wenn sie dabei ist. „Wenn ich einkaufe, dann auch immer genug, dass ich nicht morgen schon wieder losmuss! Fleisch, Wurst, Obst und schnell Verderbliches für die folgenden Tage. Nudeln und Tiefkühlnahrung für die Zeit darauf.“ Wäre Lucy unabhängig, würde sie es nicht anders machen. „Die Wut verändert mich. Ich fühle es. Sie stärkt mich. Einerseits habe ich Angst vor dem, was sie aus mir macht. Andererseits begrüße ich diese Veränderung.“ Tamsin würde nie in der Öffentlichkeit fluchen. Scham überkommt sie, wenn sie nur daran denkt. Sie ist höflich, nett und legt großen Wert auf Manieren. „Es ist, als würde eine Kette reißen. Ich hasse es, den Zwängen meiner Eltern ausgesetzt zu sein, und wenn es passiert, dann ist mir alles egal. Wenn sie erst behaupten, nicht einkaufen zu müssen, weil sie genug zu essen haben und es dann doch tun, dann… ja dann ist es auch nicht meine Schuld.“

Dienstag, 13. Dezember 2016

Trauer & Isolation



Lucy hat einen normalen Tag hinter sich. Dabei hat doch alles so friedlich angefangen. Ihre Eltern sind mit ihr – sie darf ja immer noch nicht alleine das Auto nehmen – zur Bank gefahren, weil sie dort etwas zu erledigen hatte. Es sollte alles ohne große Umschweife von Statten gehen. Doch dann kam wieder einmal alles komplett anders. Ihr Dad hatte Karten für ein Gewinnspiel dabei. Diese sind täglich im Städtischen Edeka abzugeben. Und – es ist wie eine Sucht, die einfach nicht zu bändigen ist – diese Gelegenheit hat er sogleich genutzt. Lucy hat dies zu nächst wenig gekümmert. Sie hatte kaum Geld dabei, war nicht gewillt, dies auszugeben und so lange der Edeka Besuch nicht zu einem längeren Einkauf ausartete, kümmerte sie der kleine Abstecher recht wenig. 

Doch der der Wunsch einen Preis abzusahnen ist groß, das Bedürfnis, noch mehr Karten abzugeben gewaltig! Also sind ihre Eltern anstatt heimzufahren in die nahe Hafenstadt ab gedüst, denn dort gibt es auch einen Edeka Markt – und ein Gewinnspiel. Und Lucy war natürlich mit dabei. Ihr blieb ja keine andere Wahl. Sie kann ja nicht aus dem fahrendem Auto springen. „Und wenn wir schon mal da sind, können wir auch gleich ein bisschen einkaufen.“, so die Meinung ihrer Mom. Lucys Hände ballten sich zu Fäusten. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, wie sie da auf der Rückbank saß und mit der Endscheidung rang: Mitgehen, oder im Auto warten? Nun, sie brauchte nichts. Außer vielleicht einen Pudding. Aber auf den zu verzichten wäre eine Wohltat für ihren Körper, denn sie weiß, dass sie wirklich anfangen sollte, abzunehmen.

Da es im Auto kalt und langweilig ist – trotz schwachem Gratis WLAN vor dem Laden – hatte sie beschlossen, mitzugehen. Es ärgerte sie schon genug, dass sie überhaupt mitfahren musste und nicht zuhause aussteigen durfte, obwohl das Haus auf dem Weg lag. Lucy brauchte etwas, um sich von ihrer Wut abzulenken. Mürrisch befreite sie direkt drei ihrer Lieblingspuddings Moussee mit Rum aus dem Kühlregal. Ihr Dad erfreute sich derweil an seinem Gewinnspiel. „Gut, dass pro Person nur eine Karte auszufüllen erlaubt ist.“, findet Lucy, weil dies ihr einen großen Teil an Wartezeit erspart. „Daneben zu stehen, während er eine Karte nach der anderen ausfüllt… Das ist sowas von ätzend!“
Nach dem Einkauf war Lucy froh, dass es endlich nach Hause gehen würde. „Ich möchte ein neues Bild anfangen zu malen.“

Diese Freude verwandelte sich binnen Sekunden in grauen Rauch, der ihr aus dem Kopf stieg, denn ihr Dad hatte Hunger. Er konnte sich nicht mehr bis nach Hause gedulden. Wie immer stand vor dem Geschäft einer dieser Hähnchenwagen. Den Mief der wie weiß wie lange vor sich hin beratenen Gockel war sogar von der Parkplatzauffahrt aus zu riechen. „Früher habe ich gerne von dort gegessen, doch in letzter Zeit ist das Essen wirklich ungenießbar. Fraß, es ist der reinste Fraß.“ Einmal waren die Pommes noch halb roh. Das Fett tropfte raus, sobald man sie ein wenig bog. „Ein anderes Mal warten sie hart und verkrustet, als hätte der Typ sie vorher schon dreimal frittiert und dann für mich noch einmal aufgewärmt.“ Ihrem Dad schmeckten sie auch nicht. 


Ihre Mom beschloss, während er aß noch einmal nach Aldi zu gehen. Der Laden stand direkt nebenan. Dahinter die Autobahn und ein Wohngebiet. Und Lucy? „Ja, mein Gott, ich war wütend. Ich weiß nicht, ob zu Recht oder zu Unrecht, aber ich sehe nicht ein, dass ich zwei Stunden des Tages damit verbringen muss, meinen Eltern hinterherzudackeln, auf sie zu warten, zu warten und noch mehr zu warten!“ Aus Frust – Wieso sollte sie alles Tatenlos mit sich machen lassen; sie ist schließlich kein Hund? – hat sie ihrem Dad die Gewinnspielkarten geklaut. Sie wusste, wieviel sie ihm bedeuteten. Er würde den Abend damit verbringen, sie alle auszufüllen und dann Tag für Tag jeweils welche in die Edeka Gewinnbox schmeißen. „Die Gewinne sind mir egal. Er gewinnt doch sowieso nicht.“ Das einzige, was er dieses Jahr gewonnen hat, waren zwei Gläser Honig.   

Ihr Vater versteifte sich, während Lucys Wut einem Hauch von Belustigung wich, als sie sich auf die Karten draufsetzte, nach denen er bereits panisch die Finger ausstreckte.  


 „Ich frage mich oft warum. Warum muss ich in einem Dorf leben, in dem nur dreimal täglich ein Bus fährt. Warum liegt dieses Dorf auf einem zwei Kilometer hohen Berg, der mir jegliche Motivation zum Fahrradfahren raubt? Warum beherrschen mich diese Ängste, die verhindern, dass ich all diesen Hindernissen trotze?“
Der Abend wurde auch nicht gerade erheiternd. Lucy war im Internet unterwegs. Doch anstatt sich zu freuen, jemandem gefunden zu haben, der sie gernhat, gern mit ihr schreibt und sie näher kennenlernen mag, verspürt sie einen Anflug von Traurigkeit. Gerne würde sie rausgehen, reden, und dem Lebensglück seinen Lauf lassen. „Oft fühle ich mich wie in einem Gefängnis.“ Sie hasst die Vorstellung, von ihren Eltern zu einem Date gefahren zu werden. Sie dabei zu haben. Beobachtet und abgeholt zu werden. Wie ein Kind behandelt zu werden. Wie das Kind, dass sie ihren Eltern nach ist! „Wieso sollte ich überhaupt mal Glück haben? Wahrscheinlich wird es so wie immer ablaufen. Ich finde keine Wohnung, zögere die Begegnung hinaus und die Bindung versickert ganz langsam wie im Treibsand.“ Lucy kann dies verstehen. Einmal hatte sie jemanden von ihren neugierigen Eltern erzählt, die darauf bestehen würden, beim ersten Treffen dabei zu sein. „Er war wenig begeistert. Naja, wenn ich jemanden kennenlerne und die Chance hätte, ihn zu treffen, würde ich auch nicht zuerst die Eltern kennenlernen wollen. Wer will das schon noch im 21. Jahrhundert?!“


Bereits vor einigen Jahren hat Lucy sich folgendes geschworen: „Spätestens mit 30 werde ich dieses Kinderzimmer verlassen haben. Ich werde hier nicht alt werden, einsam und alleine, während das Leben an mir vorbeizieht! Ich werde frei sein, tun und kaufen können, was ich will, ohne mir dazu Kommentare anhören zu müssen: Das hast du schon, das hattest du schon mal gehabt, das brauchst du nicht, dafür bist du zu alt, spar für etwas Sinnvolles…“ Der Zorn sprudelt aus ihr wie Lava aus einem Vulkan, wenn sie nur einen dieser Sätze hört. „Und plötzlich ist mir alles egal. Mir ist egal, was sie meinen, mir ist egal, was andere von mir denken.“