Tamsin hat einen Mann im Internet
kennengelernt. Und das nicht zum ersten Mal. „Die meisten, die man dort
kennenlernt, wohnen in den Großstädten; viel zu weit von meinem elenden Kuhdorf
und mir entfernt.“ Diesmal jedoch nicht. Tamsin ist auf mehreren
Partnersuch-Seiten angemeldet, wenn auch sie dort nicht aktiv ist und sich
lieber finden lässt, statt selbst zu suchen. Dort jemanden zu entdecken, der
weniger als zehn Minuten Busfahrt entfernt lebt, das passiert höchstens zweimal
im Jahr. Sie weiß, wie unwahrscheinlich es ist, die wahre Liebe im Internet zu
finden. Ihren ersten Freund hatte Tamsin ebenfalls im Internet kennengelernt.
Er war nett, aber er wollte sie ständig verändern. „Er mochte meine Schüchternheit,
fand es süß, doch meine Arbeitslosigkeit war für ihm ein NoGo!“ Die Bindung
brach bereits nach zwei Monaten. Nicht, weil Tamsin keinen Job fand. Wie auch,
mit solchen Ängsten? Sie denkt, ihre Eltern wären schuld. „Ständig haben sie
mich ausgefragt und kontrolliert. Ich konnte nicht raus, ohne mich abmelden zu
müssen.“ Angeblich haben sie sich nur um die kleine, schüchterne Tamsin
gesorgt. „Wohin gehst du? Was machst du? Wann kommst du wieder? Bleib nicht
länger als 23 Uhr weg!“ Für Tamsin wurde dieser Stress irgendwann so groß, dass
sie den Schlussstrich gezogen hat. „Eltern, Ängste und Kinderzimmer – das passt
einfach nicht zu Freund und Freiheit!“
Seither hat Tamsin sich mit niemandem mehr
getroffen. Sie weiß, dass es sowieso wieder genauso werden würde, wie damals.
„Dabei war es so schön. Er hatte ein Auto, wir waren viel unterwegs. Gegen den
Willen meiner Eltern – ich war damals 23, also alt genug, oder? – habe ich
sogar bei ihm übernachtet.
„Wir haben uns solche Sorgen um dich
gemacht!“, hatte ihre Mom am nächsten Tag geklagt. „Wo warst du denn? Was ist
passiert? Habt ihr „es“ schon getan?? Du kannst mit mir darüber sprechen. Das
ist ganz normal. Dein Dad und ich machen „es“ auch jede Nacht.“
Tamsin weigert sich, auch heute noch, mit
ihren Eltern über „Es“ zu sprechen. „Mein Gott, muss ich mich denn über alles
rechtfertigen!?“
„Ich warte, bis ich eine Wohnung gefunden
habe, oder irgendwo lebe, wo ich raus kann, ohne mich dafür erklären zu
müssen.“, so Tamsins Plan. „Allerdings ist dieses Warten auf ein Glück, dass
für alle anderen in meinem Alter selbstverständlich ist, eine Qual.“ Tamsin hat
sich über die Jahre hinweg nicht von den Partnerbörsen abgemeldet. Schon mit
jemandem zu schreiben, auch wenn die Chancen auf Glück gering sind, bereitet ihr
Freude. „Gerne würde ich mich jemanden richtig kennenlernen. Auch wenn mein Dad
denkt, ich bin naiv und kann die wahren Absichten dieser Typen nicht
einschätzen. Aber es ist ja nicht so, dass ich mich nach zwei Zeilen Chat mit
jedem treffe!“ Als Tamsin damals von einem Mann aus dem Chat erzählt hatte, ist
ihr Dad ausgeratet. Tamsin hätte sie nicht mit ihm getroffen, ohne ihn vorher 2
Monate virtuell kennen zu lernen und ihn über Skype zu sehen. Das hat die Sache
für sie einfacher gemacht. „Es war, als würden wir uns schon kennen, bevor wir
uns das erste Mal vor dem Kino getroffen haben.“ Ihr Dad hingegen dachte – und
hielt an dieser Meinung fest! – er wäre ein alter Knacker oder ein Junge mit
Migrationshintergrund, der sowieso nur „das Eine“ will! Seine Meinung: „Kerle
im Internet wollen immer nur das eine. Ausnahmslos! Was soll der Quatsch hier
überhaupt? Lass uns nach Hause fahren, das bringt doch nichts!“ Man, war der
überrascht, als plötzlich ein ganz normaler Typ in Tamsins Alter um die Ecke
kam.
„Unser erstes Date hatte im Kino
stattgefunden.“ Das Kino war unbeheizt und der Film eher mittelmäßig. Am
meisten ärgerte es Tamsin, dass ihre Eltern sie hingebracht, gewartet und am
Ausgang wieder abgeholt hatten. „Wir wollten uns nach dem Film noch unterhalten.“
Aber wie hätte Tamsin sich entspannen können, wenn ihre Eltern nur wenige Meter
entfernt im Auto saßen, über sie reden und lächelnd zu ihr rüber glotzen?
„Ohje. Einmal und nie wieder!“ Als Tamsin
Anfang des Jahres mit einem Mann schrieb, der gerne Fotos im Wald knipst und
die Natur mag, kamen ihr die Tränen, weil sie wusste, dass daraus nie etwas
werden würde, ohne, dass sie sich dem Kontrollwahn ihrer Eltern ein weiteres
Mal aussetzt. „Oft fragte er mich, ob wir nicht mal zusammen Kaffeetrinken
gehen könnten. Ich wollte es hinauszögern, in der Hoffnung, schnell eine
Wohnung zu finden.“ Vergebens. Heute verdrängt Tamsin ihre Wut über diese
Umstände, indem sie sich einredet, dass er vom Aussehen sowieso nicht zu ihr
gepasst hätte. „Ich wohne bei Mutti und kann noch nicht mal alleine Einkaufen.
Welcher selbstständig lebende Mann mit Job und Wohnung will so jemanden
schon!?“ Ihre Ängste behindern sie, darauf folgt Demotivation und letztlich
Gleichgültigkeit.
Lucy meint verbittert: „Wozu die Ängste
überwinden, nur um dafür die Wut zu schüren? Du kaufst ein, bist stolz auf
dich, nur um die Tüte ins Auto deiner Eltern zu schleppen, deinen Platz auf der
Rückbank einzunehmen und die Einkäufe später in die nasse Schublade dieses
miefenden Kühlschrankes zu quetschen? Vergiss es!“
O-kay…
Tamsin ist nicht dumm. Sie kann Menschen gut
einschätzen. Sie erkennt, wenn im Internet jemand nur das Eine will. „Jemand,
der nur auf eine schnelle Nacht hinaus ist, würde wohl kaum so viel Zeit
opfern, mich über mehrere Monate hinweg kennenzulernen.“
Heute fürchtet Tamsin sich, ihren Eltern zu
erzählen, dass sie jemanden gefunden hat, mit dem sie sich treffen will. Sie
sieht die Reaktion ihrer Mom deutlich vor sich: „Was, du hast jemanden
kennengelernt? Das ist ja toll! Komm, lass uns gleich zum Frauenarzt, damit du
die Pille bekommst!“ Nicht, dass Tamsin das wollen würde. „Ich will nicht, dass
sie über mich herrschen, mich bedrängen und bevormunden. Widersetze ich mich,
kommt es zum Streit.“ Um diesen Streit zu vermeiden, ist es besser, erst gar
nicht damit anzufangen.
„Einerseits bin ich dankbar,
dass meine Eltern viel für mich tun. Andererseits behandeln sie mich wie ein
Kind, dass gar nichts alleine kann.“ Und nichts hat. „Wenn ich einen Freund
hätte, würde ich auch wollen, dass er zu mir kommt. Öfters. „Aber wenn er zu
mir will, muss er bei den Eltern vorbei. Sie würden immer wissen, wann er da
ist, über mich reden, was wir wohl gerade machen. Ich könnte ihm nicht mal
etwas zu trinken anbieten, ohne dass wir (ich) meine Mom in der Küche treffen,
aus deren Mund sofort wieder unzählige Fragen sprudeln.“ Und dann würde es nur
Wasser oder Brause geben. Würde Tamsin etwas Alkoholhaltiges besorgen – sofern
ihr das möglich wäre – würde ihr Dad schimpfen: „Was, Bier und Schnaps? Willst
du jetzt zum Säufer werden, oder was!?“ Nicht, dass Tamsin das Verlangen
verspürt, sich zu besaufen. „Naja, vielleicht manchmal.“, gibt sie kleinlaut
zu.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen