Samstag, 17. September 2016

Hallo Welt

Es war einmal ein Mädel. Ihr Name war Tamsin. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt. Das Schicksal hatte sie dazu verdonnert, ihr Dasein bei ihren Eltern zu fristen. Ganz alleine, ohne Freunde. Das einzige was ihr Freunde bereitete, war ihr Computer. Und natürlich ihr 3D Fernseher.
Aber Tamsin war in ihrem Kopf nicht alleine. Da waren auch noch ihre beiden nicht existenten Schwestern Lucy, die Ungehaltene und Mirella, die Unschuldige. Sie beide steckten in ihr und das wusste Tamsin, die dankbar war, wenn sie erschienen, um in bestimmten Situationen die Kontrolle zu übernehmen. Dankbar… Das redete sie sich zumindest ein. Doch in Wahrheit wünschte sie sich nichts sehnlicher, als normal zu sein. Normal zu sein. Freunde zu haben, echte Freunde. Ein Leben, in dem Situationen, in denen sie die Kontrolle verlor, gar nicht erst passierten.
Dieses Glück blieb ihr bislang verwehrt.

Ihre Eltern trieben Tamsin regelmäßig in den Wahnsinn. Naja, fast. Sie konnten auch nett sein. Zu nett. Sie behandelten Tamsin wie ein Haustier, dass sich dem Willen des Oberhauptes fügen musste. Dem zwar Rechte und Wünsche gestattet waren, jedoch in Grenzen. So durfte Tamsin nicht alleine Auto fahren, weil sie in den drei Jahren, die sie den Führerschein nun schon besaß, zu wenig Fahrerfahrung hatte. Jedoch hatte sie auch nicht das Verlangen, nur mit den Eltern herumzukutschieren, die ihr stets sagten, wo es langgeht. Für ein eigenes Fahrzeug fehlte ihr das Geld, sowie die Erlaubnis ihres Dads, der sich gegen alles, was Tamsin verletzen könnte, auflehnt. „Wenn etwas passiert, weiß sie doch gar nicht, wie sie reagieren soll. Was dann? Dann erschreckt sie sich und fährt weg. Dann begeht sie Fahrerflucht!“, hatte er einst aufgebracht behauptet, weil er nicht glaubt, dass Tamsin, die oft unter schweren Angstatacken leidet, fähig ist, bei einem möglichen Unfall den Rettungsdienst zu alarmieren.

Seit ungefähr elf Jahren lebt Tamsin in der umgebauten Waschküche an der Grenze zwischen Hof und Garten. Abseits des Elternhauses, und doch hatte sie stets das Gefühl, als wäre sie mittendrin. Tamsin liebt das Schreiben. Es gibt ihr das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Tagebuch führt sie, wenn auch nicht durchgehend, seit sie in der Grundschule schreiben gelernt hatte. Und sie hat nicht vor, damit aufzuhören, weil sie sich auch in ferner Zukunft noch an vergessenen Erinnerungen erfreuen will. Nun ist es so, dass ihr momentanes Heft sich langsam dem Ende nähert. So wie auch das Leben, das sie führt. Ein neuer Abschnitt beginnt.
Bald.

Gerade brachen die späten Abendstunden an. Tamsin saß im Halbdunkel und überlegte, was sie dem noch hinzufügen könnte, da sah sie eine dicke, mittelgroße Spinne über die schwarze Samttischdecke des Tisches neben sich entlang krabbeln. Ihres weiblichen Gemüts entsprechend war sie innerlich vor Schreck zusammengezuckt. Aber nur ein bisschen. Wobei das Vieh mit ihrem starken Rumpf einen viel furchteinflößenderen Anblick bot, als ein gewöhnlicher Weberknecht. „Es ist nur eine Spinne, viel kleiner als ich. Mir unterlegen.“ Also beugte sie sich runter, zog ihre elektronische Fliegenklatsche unter dem Fernsehtisch hervor und hätte bei dem Versuch sie zu schnappen fast ihr Handy getroffen.

Menschen lieben ihre Handys, können nicht mehr ohne sie leben, wie es oft den Anschein hat. Selbst Tamsin würde die Vorteile, die es bietet, nicht missen wollen.  Beispielsweise die eBooks. Auf eine moderne Speicherkarte passt der ganze Inhalt einer Bibliothek – und man hat sie immer dabei! Einzige Schwachstelle ist der Akku. Welch eine Ironie, wenn man doch an die alte Zeit zurückdenkt, in der ein Akku noch eine ganze Woche gehalten hat.

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