Montag, 31. Oktober 2016

Halloween ist doch erst heute!



Heute hat Tamsin von einer Sonnenfinsternis geträumt. In der Stadt bei Famila war ein kleines fest. Sie hatte ihre alte Brille von 2001 dabei, aber es wurden neue verteilt. Tamsin wollte unbedingt eine Neue, da ihre schon sehr zerknittert war, aber hatte Angst sich eine zu holen. Ihr Vater wollte ihr keine holen und plötzlich war die Sonnenfinsternis vorbei. Traurig.

Im Laufe des Tages war Mira wieder in ihrem ehemaligen Lieblings Onlinechat unterwegs. Naiv, wie sie nun mal ist, hofft sie immer noch, dort einen Freund zu finden. „Aber das war voll langweilig!“ Ja, Chatten macht einfach nicht mehr so viel Spaß wie früher! Natürlich wurde Mira mit ihrem auffälligen Nick prompt angeschrieben. „Zwei Kerle haben mich nach meiner Unterwäsche ausgefragt. Acht wollten wissen, was ich gerade mache – Ja was mache ich wohl, wenn ich vor PC hocke und Chatte? Na? Richtig, ich chatte! „Nein, ich rasiere mir ein Muster in den Damenbart.“, dachte Mira genervt, weigerte sich jedoch, Leuten, die solche blöden Fragen stellen, ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Dazwischen begegnete ihr auch noch einer dieser arroganten Oberschlaumeier von der Sorte, die jeden Rechtschreibfehler korrigieren müssen, alles besser wissen, super cool und mega intelligent sind, und obendrein noch das Aussehens eines Männermodels besitzen. Gut, der Kerl fand Mira langweilig, die sich nicht beklagte, als das recht flotte Gespräch grußlos zu Ende ging.

Halloween


„Sonntag ist Halloween.“, hatten ihre Eltern heute behauptet. Heute sollte also Halloween sein! Am 30.10! Tamsin hatte ihren Eltern geglaubt und sich dementsprechend auf die einzige Nacht des Jahres, in der alles so ist, wie es sein soll, vorbereitet. Ein spannender Geisterfilm sollte die Freude, mit Freunden, die sie nicht hatte zu feiern, ersetzen. Nun, der Film war weniger unheimlich, als erwartet. Aber es war ja auch noch gar nicht Halloween! Ihre Eltern hatten sie in die Irre geführt. Unbeabsichtigt oder nicht, Tamsin war empört. „Jaja, es ist meine eigene schuld. Ich hätte mich einfach selbst darüber informieren können.“ Dabei hatte sie sich schon gewundert, warum in Facebook kaum Halloweenposts auftauchten.
Heute ist also Halloween! "Juhu!" Tamsin verehrt diesen Tag seit frühster Kindheit. Damals war sie noch mit Freunden durch die Straßen gezogen, hatte fette Beute gemacht. Heute sehnt sie sich danach, etwas zu erleben. „Jedes Jahr wünsche ich mir, dass es im nächsten Jahr anders sein wird.“ Diesmal hat sie echte Hoffnung, denn es gibt Leute, die ihr helfen, dem elterlichen Umfeld zu entfliehen. Sie ist dankbar und betet, dass es nicht mehr allzu lange dauert.

Oha!


Getrieben von Langeweile hat sich Tamsin entschieden, mit ihren Eltern zum Strand zu fahren. Ein kleines Vergnügen. Die parkten dort, direkt auf der Küste, um den Blick ein paar Minuten über Meer schweifen zu lassen.  Kurz sind sie auch einmal ausgestiegen, um die frische Seeluft einzuatmen. Die ist gesund. Aber das war’s dann auch schon. Kein Spaziergang. Nichts weiter. Als Kind hatte Tamsin immer ihren Lenk Drachendabei. Heute meinen ihre Eltern, sie sei zu alt für so etwas. „Ich vermisse die alten Zeiten.“
Im Anschluss, da es noch zu früh für den Heimweg war – was sollten sie dort auch? Sich wieder vor die Glotze fläzen, bis die Augen zufallen? – haben sie einen kurzen Abstecher in die nahe Hafenstadt gemacht. Sie haben sich die zwei Jahre alte Mega-Hotel-Ferienhaus-Baustelle angeschaut. Am See wurde Sand aufgeschüttet, sodass die eine Hälfte nun wie ein kleiner Strand aussieht. Ein Mini-Strand hinter dem Strand. Was danach kam, das hätte Tamsin sich jawohl denken können! Ihre Eltern wollten einkaufen. Und weil Tamsin die zehn Kilometer nicht zu Fuß nach Hause latschen wollte, musste sie natürlich mit. Das Geschäft lockte mit Gratis WLAN, dass das Auto jedoch nicht erreichte. Normalerweise übernahm in solchen Situationen Lucy die Oberhand. Lucy würde fluchen und verstehen wollen, warum ihre Eltern ihr eine Stunde ihrer Zeit stehlen, eine Stunde mit sinnlosen Aktivitäten vergoldet werden muss. Nicht, dass ihr diese Zeit am Ende des Tages großartig fehlen würde. „Aber es ist mein Leben und ich hasse Zwänge und Kontrolle!“
Gut, der Einkauf ging diesmal schnell. Ihre Mom brauchte nicht viel, auch wenn sie auf den Weg zur Kasse drei Mal denselben Gang zurückging und dachte: „Vielleicht gibt es hier ja doch noch etwas, das ich brauche. Ein günstiges Angebot, ein Schnäppchen, hihi.“ Schnäppchensuche zieht so einen Einkauf gewaltig in die Länge. 

Am späten Nachmittag übernahm Mira das Bewusstsein. Was in letzter Zeit recht selten vorkam. Mira war lustig, immer gut gelaunt, ein wenig Gleichgültig und liebte alles, was Bunt ist. Jene Freude, die Lucy verbscheute. Mira hatte sich die Freiheit genommen, im Chat ein neues Fotoalbum mit allen sich auf dem Pc befindenden Fotos über Essen anzulegen. (Wenigstens hatte sie den Anstand, keine Grillen und Käfer mit hochzuladen. Sie dachte jedoch darüber nach. In anderen Ländern gälten diese als Delikatesse!). Tamsin fotografiert gerne Pizza. All diese Fotos landeten in ihrem Onlinealbum. „Ist mir egal, was die anderen denken.“, fand Mira dabei. „Wenigstens ist das mal etwa anderes, als immer nur öde Blumen oder Selfies, in denen wie N***n posiert wird. Warum muss ich dieses blöde Wort zensieren? Weiß doch eh jedes Kind, was gemeint ist! Ok, zurück zum Thema. Ja, ich find’s krass, anders zu sein, und wenn die Chatter darauf anders, als mit langweiligen Standart-Kommentaren reagieren, ist das doch cool, oder? Man ey, ich habe total Hunger auf Pizza. Blödes Zahnfleischloch. Wie lange dauert es noch, bis das verheilt ist!?“

Samstag, 29. Oktober 2016

Alltag


„Dieser Gasofen stinkt ja wohl, das ist einfach unglaublich.“, beklagt sich Tamsin bereits am frühen Samstagmorgen. Sie hasst den Gestank von Gas, will jedoch auch nicht frieren. Notgedrungen erträgt sie es, immerhin ist es besser, als zu frieren. Sie fühlt sich ein wenig müde, obwohl sie ausgeschlafen aufgestanden ist. Sie sitzt an ihrem PC, in gebeugter Haltung, um sich vor dem grellen Licht der zum Fenster hereinscheinenden Sonne zu ducken und schreibt ihren Roman weiter. Der kleine Sonnenstrahl fühlt sich an, als würde ihr jemand mit einer Taschenlampe ständig in die Augen leuchten. 

Die Langeweile - ewig nur vor dem Fernseher zu hocken macht irgendwann einfach keinen Spaß mehr – hat Tamsin dazu gebracht, mit ihren Eltern in die Stadt zu fahren. Ein wenig Bewegung tut gut. Sie waren im Trödelladen, aber dort gab es nichts Besonderes. Dann, als hätte sie es nicht geahnt, kam wieder der Punkt, an dem Tamsin ihr Mitkommen bereuen durfte. Wie immer. „Mit den Eltern unterwegs zu sein bedeutet meistens Stress.“ Für jeden. Ihr Dad wollte das Auto waschen. Nun, das dauerte nicht allzu lange, doch dann wollte ihre Mom in die Geschäfte rein. Tamsin hatte kein Interesse, also blieb ihr nichts Anderes übrig, als im Auto zu warten. So ist es ständig. Tamsin weiß, dass sie entweder in uninteressante Geschäfte gehen oder im Auto auf ihre Eltern warten muss. Lange, manchmal. Im Hochsommer unerträglich. Aber sie lernt einfach nicht daraus. Sie muss sich ihren Eltern fügen. Ja, sie könnte die Zeit auch nutzen und ihren eigenen Weg gehen, aber will sie das? Durch das Gewerbegebiet trotten, ohne den Willen etwas zu kaufen, weil es nichts gibt, das sie brauchen oder sich leisten könnte? “Nun ist sie schon wieder bockig.“, sagte ihr Dad zu ihrer Mom, als Tamsin sich weigerte, sie ins Bettenlager zu begleiten. Tamsin verspürte Schmerzen; die Wunde des gezogenen Zahnes wurde nicht genäht und dort klafft nun ein beachtliches Loch. Tamsin traut sich kaum abermals zu erwähnen, dass sie keine Lust auf Shoppen und Einkaufen hat, weil sie weiß, dass ihre Mom dann nur aus Trotz in noch mehr Geschäfte geht, was dann noch länger dauert. “Warum nur ist sie so bockig“, wundert sich ihr Dad. Ja, warum tut Tamsin nicht einfach ohne zu murren alles, was ihre Eltern wollen?
Sie kann nicht. Ihr eigener Wille, wie eine Erwachsene zu leben, ist unermesslich. Doch ihre Ängste schränken sie ein - ihr Leben, ihre Freiheit. Sie denkte darüber nach, einmal alleine mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Aber wozu? „Nur, um danach wieder in dieses muffige Kinderzimmer zurückzukehren?“
Tamsin hat sich für eine Wohngruppe angemeldet. Der einzige Weg, von den Eltern wegzukommen. Dort bekäme sie ein Zimmer und eine Therapie, sobald ein Platz frei wird. Und das kann dauern. Lange… 

Tamsin ist frustriert. Ein Dauerzustand. Sobald sie nach einem kurzen Abstecher zu McDoof heimkamen, wurde der Gasofen eingeschaltet. Drinnen war ist kalt. Es dauerte eine Weile, bis sich die Wärme ausgebreitet in ihrer zusammengewürfelten Mischung aus alter Waschküche, Gartenlaube und umgebauten Wintergarten ausgebreitet hatte. Okay, den Wintergarten konnte man ausschließen, dort gab es eine Tür, die im Winter so gut wie nie geöffnet wurde. „Warum hast du deine kleine Heizung nicht angelassen?“, schimpfte ihre Mom, obwohl sie wusste, wie teuer das Teil ist. Sie befahl Tamsin: „Du machst jetzt deine Heizung an, und die lässt du auch an! Hast du das verstanden?“
Tamsin dachte sich nur: O-kay, und aß ihren Burger. Nach dem Essen war sie immer noch hungrig. Es war ja auch nicht viel. „Aber wenigstens ist mir nicht übel.“ Was eine Überdosierung von McDoof oft verursacht.