Dienstag, 20. März 2018

Harz 4 Maßnahme

 

>> „Taaaaamy, was tust du?“

„Meine Haare liegen nicht so gut. Aber heute ist erst Dienstag. Und ich kann sie erst am Donnerstag waschen. Gerade grüble ich darüber nach, ob ich sie nach gestern heute schonwieder waschen sollte. Aber ich habe Kabeljau im Kühlschrank. Der muss gegessen werden. Außerdem will ich mein Roman weiterschreiben. Nach 3 Monaten Pause kommen mir endlich neue Ideen.“ Ist Tamsin um 16Uhr zuhause, hat sie nur Zeit für eine Sache – sofern sie dann überhaupt noch Lust hat und nicht zu müde ist. 

>> „Aha…“

Mein größtes Problem ist jedoch die Sache mit der Zeit! Ich kämpfe täglich mit Ängsten und habe oft das Gefühl, alles steigt mir über den Kopf. Zurzeit bin ich täglich um 16 Uhr zuhause, und dann bin ich oft so erschöpft, dass der Tag danach für mich gelaufen ist. Ich mache mir schnell einen Nudelbecher, weil richtig und gesund Kochen zu lange dauert, zu anstregend ist und ich mich lieber einfach nur noch ausruhen will! Manchmal gehe ich in den Pausen auf Toilette und weine dort, weil ich so unglücklich bin und mich nicht entscheiden kann, ob ich heute mal einkaufen, duschen, etwas richtiges Kochen oder Aufräumen soll - und letztlich weiß ich, dass ich sowieso nichts davon schaffe und bis zum Einschlafen vor dem Fernseher sitze, weil mir das alles zu anstrengend ist und Ausruhen viel angenehmer ist.

In so einer Vollzeit-Ausbildung wäre ich jedoch erst um 18 Uhr zuhause. Um diese Zeit liege ich derzeit meistens schon im Bett. Danach noch Duschen, essen, Haushalt etc. scheint für mich momentan undenkbar. Der Gedanke, mich gleichzeitig auf die Bewältigung der Ängste zu konzentrieren und dabei noch für die Berufschule lernen und zu Arbeiten und dann alles, was ich in der Woche nicht schaffe am Wochenende zu erledigen und dadurch kaum freie erholsame Zeit mehr für mich selbst zu haben, macht mich depressiv, ich fange an zu zittern und muss weinen. Sowas wäre für mich kein Leben.

Das nimmt jedoch keiner ernst. Die Leute Antworten darauf mit: "Du schaffst das schon, daran gewöhnst du dich, du bist noch jung und musst das können, das Leben ist nunmal so, man bekommt eben nichst geschenkt..." usw. Das ist nicht gerade hilfreich.

Ich weiß, dass es die Möglichkeit einer Teilzeitausbildung gibt, wo man nur den halben Tag arbeitet, aber ich weiß nicht, wie man daran kommt oder ob meine Probleme ausreichend sind, dass mir so etwas zugestanden wird, weil dies eigendlich nur für Mütter oder Menschen mit richtig schlimmen Problemen gedacht ist. "Vollzeit ist normal. Jeder muss das schaffen können."

Falls das mit der Ausbildung nichts wird, würde ich wohl eine andere Beschäftigung bekommen oder in eine neue Maßnahme geschickt werden.
Ich selbst will zwar auch vom Harz4 unabhängig werden, brauche jedoch nicht viel Geld zum Leben. Erholung und Lebenszeit ist mir wichtiger als Konsum. Es gibt zB Fabrikjobs, wo man nur halbtags arbeiten braucht und dennoch genug verdient, sodass es für eine kleine Wohnung und dem Lebensunterhalt ausreicht. Solche Jobs sind jedoch selten und wenn ich mich dort bewerbe, heißt es nicht, dass ich auch eingestellt werde - sofern sich mir die Ängste nicht in den Weg stellen.

Das Jobcenter hat das Sagen.
Die Angst vor einer Vollzeitbeschäftigung ist fast schon größer als die Angst vor den Menschen und den neuen unbekannten Situationen, die mich da erwarten würden. Manchmal wache ich nachts auf und fang an ewig darüber nachzugrübeln, wie ich das alles schaffen soll...

Es gibt ab und zu Tage, da haben wir früher Feierabend und ich bin schon um 14 Uhr zuhause. Da schaffe ich es, etwas gutes zu kochen, räume auf, lese sogar mal ein Buch und gehe danach nochmal in die Stadt spazieren. Der Stress lässt nach. Da kann ich glücklich sein. Da bereitet es mir Freude, Ängste zu überwinden und zB mal einen Verkäufer etwas zu fragen. Ich schaffe mehr als nur Abreiten, essen und schlafen.
Aber ich weiß, dass sowas eine Ausnahme und in einer Vollzeitbeschäftigung undenbkar ist.“


>> „Soso!“

„Und dazu kommen noch dutzende kleiner Sorgen. Trotz Ankündigung dauert es ewig, bis ein Handy mit QWERTZ-Tastatur auf dem Markt kommt, auf dem man richtig schreiben kann. In USA sind die so beliebt, nur hier bei uns werden sie uns vorenthalten! Dann werden die 3D TVs abgeschafft, weil die Gesellschaft die Brillen nicht mag und lieber 4K Geräte kauft, selbst wenn’s kaum 4K Filme gibt! Die Regale sind voller 3D Filme. Wenn, da gibt es noch 4K 3D TVs mit schweren Shutterbrillen für über 3000€. Toll.“

Laut TV streiken die Busfahrer. Aber da dies erst vor 2,3 Jahren hier war, bezweifelt Tamsin, dass auch ihre Region betroffen ist.

Und so geht ein weiterer ermüdender Tag in der Harz 4 Maßnahme geht zu neige.

Tamsin ist erschöpft von der HWI. Vom vielen Staubsaugen. Zweimal sollte sie denselben Teppich absaugen, denn nachdem sie das erste mal fertig war hatten die Schüler Pause, sie kamen aus dem Gartenbereich und verteiltem überall die Erde mit ihren Schuhen.
Im Anschluss sollten die Stühle im Speisesaal in Reihen aufgestellt werden. Für die Verabschiedung der Schüler, die 2 Tage dort waren. Dies ist eine recht lästige Arbeit, dafür, dass die knapp 5 Minuten da sitzen und einer Ansage lauschen.

Später hatte Frieda den Teppich freiwillig ein drittes mal gesaugt. Sie hat viel gemacht und gewischt und Tamsin ist froh darüber, da sie das dann nicht zu machen braucht. „Es ist nicht die Arbeit, die stört, sondern die Rückenschmerzen, die niemand ernstnimmt.“ Tamsin kann nicht ewig stehen, doch das müsste sie, so lange, bis jede Arbeit getan wurde. „Der Tag erinnerte mich an JOBB 2007, selbst wenn die Schmerzen sich in Grenzen hielten und es nicht übel war, die Flure und den Keller zu fegen, weil ich da alleine war und in Gedanken versunken die Zeit totschlagen konnte.“ Das ist besser als Klos zu putzen, da man sich da nicht so oft bücken muss.
Eine neue Anleiterin ist da, aber die kann sich nicht so gut durchsetzen, und so hat Frau Ti weiterhin das Sagen.

Als nichts mehr zu tun war, konnte Frieda fragen ob Feierabend ist, doch daraus wurde nichts, da noch mehr geputzt werden sollte. Das war jedoch nicht viel, und so saß Tamsin eine ganz Weile gelangweilt rum. 

Als sie Frau Ti zum wiederholten male auf ihre Langeweile hinweist, geht diese erstmal eine rauchen.

Diese Ungewissheit ist grauenhaft. Tamsins Vollzeit geht bis 16:30. Doch so lange war sie oder die anderen Teilnehmer noch nie da! „Ich glaube, Frau Ti genießt es, uns immer im Dunkeln tappen zu lassen, sodass wir nie wissen, wann denn nun wirklich Schluss ist.“ Komisch ist auch, dass Tamsin bei einem Arztermin, der um 16 Uhr war, kein Attest mehr vorzulegen brauchte. „So spät ist das nichtmehr nötig.“, meinte Frau Ti.
  „Ich glaube, echte Vollzeit gibt es da gar nicht. Das wurde nur so lasch dahingesagt.“, findet Tamsin. Wie sonst kann es angehen, dass es im Grunde niemandem kümmert, ob man bis 13, 15 oder 16:30 dort anwesend ist!? Wenn die Anleiter immer „spontan“ entscheiden: So wir machen jetzt mal Feierabend.

„Ich dachte ich wäre heute um halb drei zuhause.“ Stattdessen wurde es vier Uhr.

…Dachte Tamsin!

Denn während sie als letzter (Vollzeit) Teilnehmer alleine am großen Tisch saß, hatte Frau Ti, nachdem sie noch eine Weile ihren Kalender durchblättert und das Kochen, das heute ausfiel –Tamsin hat es nur gemerkt, weil sie putzen musste und nicht, weil sie drauf hingewiesen wurde – auf einen neuen Tag festgelegt hat, dann doch Gnade zeigte und entließ Tamsin in die Freiheit. „Den Bus schaffe ich nichtmehr.“, ärgert sich Tamsin. Nur 5 Minuten früher und alles wäre ok!
Doch anstelle eine weitere Stunde mit Langweile zu vertrödeln, hetzt Tamsin zu einer anderen Haltestelle, die ihr einige Minuten an Zeit verschafft. Der Bus fährt dort immer vorbei und so ist sie kurz nach 15 Uhr zuhause. „Ich hatte also noch Zeit, den Fisch zu braten!“ Und zu duschen!

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