Mittwoch, 9. Mai 2018

Kochen bei JOBB


Trotz des heutigen Ereignisses geht Tamsin in guter Stimmung in die Maßnahme. Das Wetter ist toll, warm, ihr ist heiß, das ist schön.

Nun wo neue Anleiter da sind geht alles wieder von vorne los. „Ich muss alles wieder neu erklären. Alle meine Abneigungen und warum ich so bin wie ich bin. Das macht keinen Spaß. Heute war mit der Gruppe kochen geplant. Wir alle sind in die Küche gegangen. Allerdings nehmen die neuen Anleiter die Regeln in der Einrichtung nicht ganz so ernst wie Frau Ti. Wir mussten nicht die unbequeme und ausgeleierte Arbeitskleidung und die weißen abgetretenen Schuhe anziehen, die sonst immer im Küchenbereich Pflicht sind. Auch die ausgefransten roten Mützen fielen weg. Entweder wissen die neuen Anleiter noch nichts von den strengen Regeln, die in diesem Bereich gelten, oder sie nehmen sie echt nicht ernst und halten sie für überflüssig, da die Wahrscheinlichkeit, dass das Gesundheitsamt auftaucht und die Arbeitskleidung kontrolliert doch sehr gering ist. Jedenfalls hat das Kochen denn doch keinen Spaß gemacht. Wie schon früher in alten Zeiten durfte ich nur Hilfsarbeiten erledigen und selbst nicht am Kochtopf stehen. Das durften die, die die Gerichte ausgesucht haben. Die anderen durften Gemüse schneiden. Aber was soll’s. Solange ich nichts tun muss was mir Schmerzen bereitet ist doch alles in Ordnung. Als plötzlich Zwiebeln ausgepackt worden bin ich einige Meter zurückgewichen. Uah. Später gab es noch eine Diskussion über das Thema Zwiebel, in dem ich meine Abneigung betonte. Ich würde sie niemals schneiden – auf Zwang! Das Essen jedoch war nicht schlecht. Es gab Reis mit Lammfleisch und Erbsen. Zuerst wusste ich nicht, dass das kleine braune Zeug wirklich Fleisch war und es hat mir geschmeckt. Das Gericht wurde von zwei neuen Frauen zubereitet, die aus dem Süden, kommen. Ich glaube Syrien oder Türkei. Nun, da ich wieder ein Teil der Gruppe sein kann, fällt es mir auch gar nicht mehr so schwer mit den Leuten zu reden. Es entstehen sogar einzelne kleine Gespräche. Um 13 Uhr waren wieder alle Teilzeit Leute weg und da ich als einzige zurückblieb, war ich wieder traurig und frustriert. Die haben einen warmen schönen langen Tag vor sich, auch die Kinderlosen, und ich muss noch zwei Stunden bleiben, um dann gestresst nach Hause zu kommen und nicht mal mehr richtig essen zu können. Aber wenigstens musste ich mich nicht langweilen. Die beiden Anleiter haben mit mir gesprochen… darüber was ich in meinem Leben verändern kann und über Essgewohnheiten. Vielleicht wollen wir später in der nächsten Woche noch mal kochen und dann etwas, wo ich auch richtig mitmachen kann. Am Abend fand dann noch in der WG ein Gespräch über die Berufsausbildung statt. Ich habe mir Fragen aufgeschrieben, die ich zwei Mitbewohnern, die dort tätig sind stellen durfte. Ich habe einiges erfahren. Unter anderem dass man von 6 Uhr bis 18 Uhr unterwegs ist. 12 Stunden. Mir wurde dann erklärt, dass so etwas für anstrengend aber ein normales Ausbildungs- oder Arbeitsleben wäre. Dass man für soziale Kontakte und andere Arbeit nur am Wochenende Zeit hätte. So ist das Leben. Und einkaufen müsste ich dann eben auf den Rückweg. Obwohl für meine Sorge und die wenige Belastbarkeit Verständnis aufgebracht wird, habe ich auch das Gefühl, dass die Tiefe dieser Angst nicht ganz ernst genommen wird. Weil viele Menschen die eben nicht nachvollziehen können. Die Leben so sehr in dieser Normalität der Moderne, dass ein anders denken vollkommen absurd für sie ist. Ein acht Stunden Tag ist eigentlich das gesetzliche Maximum. Die Menschheit scheint dies aber eher als Minimum oder Standard zu betrachten. weniger geht nicht. Aber mehr auch nicht. In der Ausbildung würde ich wahrscheinlich um die 100 € mehr als jetzt zur Verfügung haben. Aber Geld ist mir nicht wichtig. Und es spielt auch gar keine Rolle mehr, wenn ich keine freie Lebenszeit mir zur Verfügung hätte, um es auszugeben. Ich weiß, dass es genauso werden wird wie im Jahr 2007. Von 18 Uhr bis 5 Uhr nachts schlafen, selbst das wäre mir zu wenig. Und dann soll ich auch noch auf Schlaf zusätzlich verzichten, um Pflichten zu erfüllen, für die am Wochenende keine Zeit wäre. Wie Duschen. Ein solches Leben wäre mein manifestierter Albtraum. Teilzeit ist möglich, aber sehr schwer zu erreichen, da die Ämter und Behörden sich da oft quer stellen. Und dann noch die Sache mit dem Essen. In der Einrichtung stehen einen täglich zwei Gerichte zur Auswahl. Sich selbst etwas zubereiten darf man nicht, wegen irgendwelche Hygienevorschriften, wegen denen man die Küche nicht betreten darf. Dazu wurde mir gesagt, wenn ich die Gerichte nicht mag, muss ich mir selbst etwas Kaltes mitbringen, oder mir ein Brötchen holen. Kein warmes Essen. Hm. Nur das essen dürfen, was die anderen vorschreiben. Angeblich wäre ich diejenige, die sich nichts zutraut und viel zu viel Angst hat vor Dingen, vor dem man keine Angst haben muss. Weil die normal sind. Dies war nur ein kleines Beratungsgespräch und nichts Offizielles. Aber ich habe im Leben kein Glück und so viele Albträume sind bereits wahr geworden. Wieso sollte es jetzt mal anders werden? Dunkle Gedanken kommen mir in den Sinn. Gedanken, die man nicht laut aussprechen darf. Andere würden einen dafür verurteilen. Es nicht verstehen. Vielleicht wird es Tabletten geben, die mich beruhigen und mich gefügig machen, indem sie dafür sorgen, dass ich dieses Leben lebe. Ob ich will oder nicht. Oft stelle ich mir vor, wie es wäre, den dunklen Faden zu folgen und damit den unangenehmen Pflichten zu entrinnen. Ich will einfach nicht mehr traurig sein. Angeblich kann man mit so einem Leben glücklich werden, aber ich kann es nicht.“

„Ich habe Probleme die niemanden interessieren.“ Den ganzen Abend lang kann Tamsin nichtmehr aufhören zu weinen.

„Eine ist sehr seltsam. Etwas ist ungewöhnlich. Bei offiziellen Gesprächen und Kontakten mit fremden Menschen habe ich immer Angst, verspüre eine große innere Panik, die mir das Herz schwer werden lässt. Ich bin richtig nervös. Sei es in der Therapie oder wenn ich nur bei der Post ein Paket abhole. Wobei sich letzteres schon ein wenig legt, da dies nicht allzu schwierig ist. Doch unterhalte ich mich mit inoffiziellen Menschen, also bekannten oder sogar Freundin wie Dave, verspüre ich kaum den Hauch einer Angst. Keine Panik, die mich sprachlos werden lässt. Mit ihm will und muss ich reden, denn durch Schweigen würde ich nichts erreichen. Warum will ich es und habe die Motivation es zu tun. Bei offiziellen Gesprächen will ich es zwar auch, dennoch fühlt es sich irgendwie anders an. Ich habe noch niemanden von ihm erzählt. Dass ich Kontakt mit einem anderen Menschen außerhalb meines direkten Umfeldes aufgenommen habe. Ich habe eben Angst davor, wie die Menschen darauf reagieren würden. Meine Eltern wären natürlich wieder einmal besorgt und aufgeregt. Doch die Reaktion der Betreuer kann ich nicht einschätzen. Wären sie erfreut? Oder entsetzt? Ungläubig? Gerade ist es kurz vor 20 Uhr abends und ich habe das Gefühl, als wäre dieses aufkeimende Glück nur wie ein letzter Sonnenstrahl, der einmal hell aufflackert, bevor das Licht für immer versiegt.“


„Bin ich überhaupt bereit für einen Freund? Kann ich mit so etwas umgehen? Es ist wie bei allen anderen Sachen, wie beim Einkaufen oder einer Kundenberatung. Ich weiß wie es geht. Ich meine, wie man mit Menschen umgeht. Aber es umzusetzen ist eine andere Sache. Lohnt es sich überhaupt, es zu versuchen, wenn die Möglichkeit besteht, dass dieser Kampf sinnlos ist? Ich weiß nicht ob ich überhaupt fähig bin Gefühle zu zeigen oder zu erwidern. Ich sollte glücklich sein, solange ich noch kann. Aber die Ungewissheit wie lange das noch sein Weg nagt an mir. Ich sitze abends im Bett und kann nicht schlafen, weil ich weinen muss, wenn ich nur an ein Leben mit Vollzeit denke. Und daran, dass ich keine Wahl haben werde. Wieder habe ich das Gefühl, als steuere ich direkt auf einen tiefschwarzen Abgrund zu. Ich vermisse die Zeit, als ich noch völlig euphorisch nach Hause gekommen bin, weil meine alte Chefin mein Roman so gut gefallen hat. Nun da sie weg ist fragt sie auch nicht mehr nach weiteren Kapiteln, was sie sonst immer getan hat. Vielleicht war das alles auch nur eine Lüge, erschaffen, um mich zu motivieren. Denn das war ja ihr Job. Ich habe mir gestern alle alten Berichte von meinem Eintritt in die Maßnahme durchgelesen. Vom ersten Halbjahr. Von Ereignissen wie der Präsentation fehlte darin jede Spur. Aber was da drin steht spielt letztens sowieso keine Rolle. Wenn darinsteht, dass ich tolle Sachen am Computer erstellen kann, verhindert es auch nicht, dass ich irgendwann als Putzfrau oder einem anderen wenig erfüllenden Beruf lande. …wenn andere das von mir wollen. Bin ich krank oder verrückt, wenn ich denke, das irgendwann und vielleicht schon bald alles für mich vorbei sein wird? Dass dies ein schöner Sommer aber auch der letzte schöne Sommer für mich sein wird? Und dass sich die Türen zur Ebene der Ewigkeit mit jeder Träne, die mehr aus dem Augenwinkel fließt, knarrend ein Stückchen weiter auftut. Heute sollte ich eine Recherche über die Tabletten machen, die ich nehme. Sollte herausfinden wie die wirken. Dabei habe ich gelesen, dass es ratsam ist der Arzt auf gewisse Probleme anzusprechen. Gerade an Tagen wie diesen habe ich das Gefühl, ihnen nicht mehr gewachsen zu sein.“

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