Tamsin
bekam von Frau Ti eine Nachricht, dass sie Morgen nicht in die Maßnahme kommen
muss. Die Anleiter haben Weiterbildung. Dafür gab’s dann eine Hausaufgabe. Natürlich
mit einer Drohung im Kleingedruckten, dass bei Nichterfüllen ein Fehltag
eingetragen wird.
Frau
Ti hat immer gedrängt, dass Tamsin ihre Mitbewohner über eine gewisse
Ausbildungsstelle ausfragen soll. Tamsin hat sich nie getraut, die
anzusprechen. Die kommen erst spät abends heim. Tamsin kennt die beiden kaum. Ihre
Betreuerin hat es der Frau erklärt, dass Tamsin damit eben Probleme hat. Doch
durch diese Hausaufgabe steht nun ein Zwang dahinter, den im Internet sind
diese Infos, die sie herausfinden soll, kaum zu finden.
Und
dann war da noch das Treffen mit dem Kerl aus dem Internet.
“Die
Nacht war sehr unruhig. Ich bin öfters aufgewacht und hatte so etwas wie
Angstattacken. Mein Herz wurde kalt und schien für einen Augenblick lang
stillzustehen. Schuld daran waren Gedanken, die plötzlich in meinem Hirn umher
walten. Gedanken an gestern und dem was ich getan habe. Ich habe mich mit Don
verabredet. Obwohl ich ihn einschätzen kann, sehe ich hauptsächlich das
Positive an ihm, was mich ermutigt, diesen Schritt zu gehen. Wir sagten 12 Uhr.
Dann schrieb er mir plötzlich, dass er schon um 9 Uhr in der Stadt war. Er kam
mit dem Fahrrad aus einer anderen Stadt die eine ungefähr 40 minütige Autofahrt
entfernt ist. 40Km. Und das bei diesem Wetter. Kalt, windig und regnerisch.
Sobald ich diese unerwartet unerfreuliche Nachricht erhielt, habe ich mir etwas
zu Essen gemacht. Bevor ich mich mit ihm treffe muss ich etwas essen, weil ich
nicht weiß wie lange das dauert, was wir machen und wann ich wieder etwas
bekommen würde. Hunger bereitet mir nämlich sehr schlechte Laune. Danach habe
ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle gemacht, wo er auf mich warten wollte.
Gestern haben wir geplant, dass wir mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren, aber
da ist heute so ein schlechtes Wetter ist, war meine Motivation dafür sehr
gering. Allerdings war ich mir nicht sicher ob er dann enttäuscht sein würde,
wenn ich ohne Fahrrad dort aufkreuzen würde, also bin ich mit dem Rad
losgefahren. Natürlich habe ich mir vorher etwas Mut eingeflößt. Die erste
Begegnung war gar nicht mal so unangenehm, wie erwartet. Er begrüßte mich mit Hallo Zahnfee. Unser Spitzname. Dann
sind wir zu einem Spaziergang durch die Stadt aufgebrochen. Die ganze Zeit über
haben wir die Fahrräder geschoben. Er hatte seinen Laptop dabei, den ich mir
ansehen sollte, weil einige Programme nicht funktionierten. Den hat er mir dann
prompt in die Satteltasche gesteckt, damit er nicht nass wurde. Zuallererst
sind wir über den Friedhof gegangen. Eigentlich hatte ich vor, dass wir zu mir
nach Hause gehen und einen Film schauen und dort den Computer reparieren.
Allerdings waren wir auf unserem Rundgang noch kurz in der Kirche. Wir haben
uns auf eine Bank gesetzt und ich hatte erst einmal Zeit, mich von dem doch
etwas längeren Spaziergang zu erholen. Er nahm er meine Hand in seine. Dabei
flüstert er mir zu wie es wäre, wenn wir beide dort ganz in Weiß mit einem
Pastor stehen und uns das Ja-Wort geben würden. Dann legte er den Arm um mich.
Obwohl ich des Öfteren betont habe, dass wir erstmal nur Freunde sind und das
mit der Liebe nach später verschieben, wollte er das nicht begreifen und hat
mich wie eine Geliebte behandelt. Das gefiel mir nicht. Plötzlich hatte ich
Angst davor ihn mit zu mir nach Hause zu nehmen. Denn anders als in der
öffentlichen Kirche wo noch andere Leute sind wäre ich in meiner Wohnung mit
ihm ganz alleine. Er ist wie ich ihn schon aus dem Internet kenne, immer noch
sehr aufdringlich, obwohl ich ihn gebeten habe das zu lassen. Das Gefühl wie er
seine Finger mit meinen verschränkt war ungewöhnlich befremdlich. Es kam
unerwartet, obwohl ich es mir hätte denken können, dass er die Freundschaft
überspringt und gleich zum letzten Schritt gehen will: dem Zusammensein. Wie
dem auch sei, anstatt dass wir nach der Kirche zu mir gingen, wollte ich noch
ein bisschen durch die Stadt gehen und irgendwo reingehen wo man sitzen kann.
Er hatte allerdings kein Geld, nicht einmal genug um in der Bäckerei einen
Kaffee zu trinken. Also sind wir beinahe 3 Stunden bei Sturm und Regen mit den
Fahrrädern durch die Stadt gewandert. Bis wir schließlich bei einem Geschäft
unterstand gefunden haben. Dort haben wir dann den Laptop ausgepackt und ich
habe ein paar nutzlose kostenpflichtige Wartungsprogramme entfernt. Während des
ganzen Tages versuchte er immer wieder mir näher zu kommen. Mich zu umarmen,
das war in Ordnung und das habe ich auch erwidert. Ebenso wie kurzes Händchen
halten. Als er allerdings die Idee hatte, dass wir uns gegenseitig Knutschflecke
machen, wurde die Sache schon deutlich unangenehm. Ich habe ihm gesagt, dass
ich nicht so weit bin. Noch nicht. Und dass ich sowas eigentlich gar nicht mag.
Dennoch hat er immer wieder darauf gepocht, dass dies geschieht. Ich bin ihm
ausgewichen, als er mir näherkam, und dass ich alle seine Versuche mit Nein abgeblockt
habe, hat ihn verärgert. In seinem Leben tun alle immer nur Nein zu ihm sagen,
egal was er tut, und das verärgert ihn. Er ist dann kurz nicht er selbst. Denkt
die ganze Welt hasst ihn und ist frustriert. Ich habe mich mit dem Computer
beeilt, da ich durchgefroren war und einfach nur noch nach Hause wollte, mich
entspannen. Dann dachte er, nur, weil ich seine Annäherungsversuche nicht
erwidere bedeutet das, dass ich überhaupt nichts mit ihm zu tun haben will. Das
hat mich dann irgendwie auch geärgert. Aber ich musste es tun; hinter mich
bringen, dieses Treffen. Ich musste erfahren wer der Mann ist, der ernsthaft
das Leben mit mir verbringen würde und herausfinden, ob ich es bereuen würde,
wenn ich ihn nie kennengelernt hätte. Während er wieder anfängt davon zu
schwärmen wie wir als Familie mit 3 Kindern am See entlang spazieren, werden
meine Zweifel, dass jemand wie er nicht der Richtige für mich ist, stärker.
Tatsächlich habe ich öfters darüber nachgedacht wie ich diesen Moment beenden
kann ohne ihn zu verletzen. Einfach mit dem Fahrrad weg zu fahren ist sogar mir
zu unhöflich. Zudem hatte ich die Hälfte der Zeit seinen Laptop in der Tasche.
Er wollte ihn sogar bei mir lassen damit ich ihn noch mal richtig einstelle.
Eigentlich hätte ich nichts dagegen gehabt, hätte ich nicht die Vermutung gehabt,
dass er den nur als Pfand benutzt, damit wir uns wiedersehen. Kurz bevor wir
uns verabschiedet haben, habe ich ihn noch einen gelben Sack rausgeholt für
seinen Laptop, damit der nicht nass wird. Nein ich wollte es vermeiden ihm zu
zeigen wo ich wohne, weil ich Angst habe, dass er dann irgendwann einfach vor
der Tür steht. Aber einfach weggefahren und ihn da stehen zu lassen das wäre
auch nicht nett. Irgendwann habe ich behauptet, ich müsse meine Aufgaben noch
erledigen und dafür bräuchte ich Zeit. Ich wollte sie schon morgens erledigen,
aber da Don so früh da war, hatte ich dafür keine Zeit. Die Aufgabe von Frau Ti
meinte ich, und den Putzdienst. Jedoch war beides nur eine Ausrede. (Als ich
dann später wieder zuhause war, hatte ich gar keine Lust mehr, etwas zu tun.
Und den Putzdienst hatte ich Freitag schon fertig.) Hm. Irgendwann hat er noch
einmal versucht, mir einen Knutschfleck zu geben obwohl ich doch sagte, dass
ich das nicht mag. Ich reagierte darauf natürlich sehr abweisend. Bin zurückgewichen.
Das fiel ihm auf und das wunderte ihn. Öfters habe ich betont, dass wir doch
noch in der Kennenlernphase sind, aber das schien er nicht zu begreifen. Dann
wollte er noch auf einen Kaffee zu mir reinkommen. Aber das wollte ich nicht,
weil ich nach wie vor nicht mit ihm alleine in einem Raum außerhalb der
Öffentlichkeit sein wollte. Wer weiß was er noch versucht hätte. Ein bisschen
hat er mir dann schon leidgetan, als er sich dann bei Sturm und Regen auf den
kalten Heimweg gemacht hat. Die Fahrt dauert 4 Stunden mit dem Fahrrad. 80Km
hin und zurück. Angeblich ist er schon um 3 Uhr nachts losgefahren. Mir
hingegen war so kalt, dass ich sogar unter die Dusche gegangen bin, um mich
aufzuwärmen. Dann habe ich mich aufs Bett gesetzt und ferngesehen, weil mir die
Füße verdammt doll wehtaten vom langen Stehen und Gehen. So lange wie heute
stehe ich ja nicht einmal in der Maßnahme. Aber ich war so aufgeregt und
nervös, dass mir der Schmerz gar nicht richtig bewusst war. Gut - eine Sorge
weniger. Gerade während ich wieder zu Kräften kam, schreibe ich mit Dave. Der
hat gerade Feierabend. Es ist ungefähr 14 Uhr. Ich merke, dass ich schon wieder
Hunger bekomme. Noch nie war ich so froh in diesem warmen gemütlichen Zimmer zu
sitzen, wie jetzt.“
O, ja. „Heute schmerzen meine
Füße wie schon lange nicht mehr. Dies war so ein Tag wo ich wirklich nicht mehr
gehen konnte und keine Sekunde länger stehen wollte, da es schmerzte als stände
ich auf glühender Lava, die sich durch meine Fußsohlen bis auf die Knochen
durch frisst. Nachdem ich ein bisschen ferngesehen habe und mich danach doch
noch dazu durchringen musste mit dem Fahrrad den Glas Müll in den Container zu
bringen - wo die Gangschaltung immer noch etwas kaputt ist und dann auch noch
die Spülmaschine angestellt habe, weil ich das Glas Brett sauber haben wollte,
um morgen meine Kekse auszustechen da ich keine Backunterlage habe., habe ich
abends noch einmal mit ihm geschrieben. Er ist über meine Zurückweisung ebenso
unglücklich wie ich über seine Aufdringlichkeit und die aufdringlichen
Annäherungsversuche. Das macht ihn unglücklich, sagt er. Demnach bin ich wohl
doch nicht die Richtige für ihn, so meine Meinung.“
Ein Date. „War das echt sowas
wie ein Date?!“
„Was mache ich hier eigentlich?
Ich habe immer öfter das Gefühl die Kontrolle über meine Realität zu verlieren.
Die Wirklichkeit wirkt real und doch irgendwie verschwommen. Nass und triefend
vor Gleichgültigkeit. Als wäre das Leben nur ein Spiel, das gespielt wird und
glücklich aber auch traurig machen kann. Egal wie es ausgeht oder welche
Konsequenzen jede Handlung mit sich zieht, ist sie geschehen, geht vorüber,
wird vergessen und Neues kommt. Einige Spielfiguren fallen in ein grünes Rohr,
verschwinden, spielen irgendwann keine Rolle mehr, waren nur da um ihren Zweck
zu erfüllen. Andere bleiben länger wie das große feuerspuckende Monster am Ende
eines jeden Levels, verändern und kontrollieren Gegenwart und Zukunft.“
Don will Geschenke machen, ihr einen
Diamantring schenken. Aber Tamsin weiß, dass man Glück nicht kaufen kann und
Geld alleine niemals glücklich macht. Das hat sie bereits herausgefunden,
damals als ihre Eltern ihr jeden elektrischen Kram gekauft haben, den sie wollte,
weil sie dachte, dass sie dadurch glücklicher würde. Aber das ist sie nur einen
kurzen Augenblick. „Noch vor wenigen Jahren hätte ich wohl alles dafür getan - für
jemanden, der mir bedingungslos sein Herz schenkt und mir alle Wünsche erfüllen
würde.“ Genaugenommen ist er das, was sie sich damals immer gewünscht hatte. Als
hätte die Göttin diesen Wunsch erhört. Ein Mann, der nur für Tamsin lebt, ihr
beisteht und alles für sie tun würde. Aber sie ist dennoch unglücklich. „Ich
will nicht auf Äußerlichkeiten achten und habe mir meinen Traummann längst
abgeschrieben; auf den kann ich noch 3000 Jahre warten. Trotzdem war es mir
unangenehm, wenn Don mir näherkam. Selbst das Umarmen. Er hat gelbe Zähne, sein
Atem riecht nach Zigarette und er kann seine Gefühle nicht kontrollieren. Wie
soll ich bloß damit umgehen?“ Ein falsches Wort genügt, und seine Stimmung
schwankt schlagartig in eine andere Richtung. Das kennt Tamsin. Bei ihr ist es
kaum anders.
Tamsin ist Perfektionist. Don
ist das Gegenteil. Hmmm.
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