Dienstag, 1. Mai 2018

Das erste Treffen mit Don. Ein Horrordate?

 
Tamsin bekam von Frau Ti eine Nachricht, dass sie Morgen nicht in die Maßnahme kommen muss. Die Anleiter haben Weiterbildung. Dafür gab’s dann eine Hausaufgabe. Natürlich mit einer Drohung im Kleingedruckten, dass bei Nichterfüllen ein Fehltag eingetragen wird.
Frau Ti hat immer gedrängt, dass Tamsin ihre Mitbewohner über eine gewisse Ausbildungsstelle ausfragen soll. Tamsin hat sich nie getraut, die anzusprechen. Die kommen erst spät abends heim. Tamsin kennt die beiden kaum. Ihre Betreuerin hat es der Frau erklärt, dass Tamsin damit eben Probleme hat. Doch durch diese Hausaufgabe steht nun ein Zwang dahinter, den im Internet sind diese Infos, die sie herausfinden soll, kaum zu finden.

Und dann war da noch das Treffen mit dem Kerl aus dem Internet.

“Die Nacht war sehr unruhig. Ich bin öfters aufgewacht und hatte so etwas wie Angstattacken. Mein Herz wurde kalt und schien für einen Augenblick lang stillzustehen. Schuld daran waren Gedanken, die plötzlich in meinem Hirn umher walten. Gedanken an gestern und dem was ich getan habe. Ich habe mich mit Don verabredet. Obwohl ich ihn einschätzen kann, sehe ich hauptsächlich das Positive an ihm, was mich ermutigt, diesen Schritt zu gehen. Wir sagten 12 Uhr. Dann schrieb er mir plötzlich, dass er schon um 9 Uhr in der Stadt war. Er kam mit dem Fahrrad aus einer anderen Stadt die eine ungefähr 40 minütige Autofahrt entfernt ist. 40Km. Und das bei diesem Wetter. Kalt, windig und regnerisch. Sobald ich diese unerwartet unerfreuliche Nachricht erhielt, habe ich mir etwas zu Essen gemacht. Bevor ich mich mit ihm treffe muss ich etwas essen, weil ich nicht weiß wie lange das dauert, was wir machen und wann ich wieder etwas bekommen würde. Hunger bereitet mir nämlich sehr schlechte Laune. Danach habe ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle gemacht, wo er auf mich warten wollte. Gestern haben wir geplant, dass wir mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren, aber da ist heute so ein schlechtes Wetter ist, war meine Motivation dafür sehr gering. Allerdings war ich mir nicht sicher ob er dann enttäuscht sein würde, wenn ich ohne Fahrrad dort aufkreuzen würde, also bin ich mit dem Rad losgefahren. Natürlich habe ich mir vorher etwas Mut eingeflößt. Die erste Begegnung war gar nicht mal so unangenehm, wie erwartet. Er begrüßte mich mit Hallo Zahnfee. Unser Spitzname. Dann sind wir zu einem Spaziergang durch die Stadt aufgebrochen. Die ganze Zeit über haben wir die Fahrräder geschoben. Er hatte seinen Laptop dabei, den ich mir ansehen sollte, weil einige Programme nicht funktionierten. Den hat er mir dann prompt in die Satteltasche gesteckt, damit er nicht nass wurde. Zuallererst sind wir über den Friedhof gegangen. Eigentlich hatte ich vor, dass wir zu mir nach Hause gehen und einen Film schauen und dort den Computer reparieren. Allerdings waren wir auf unserem Rundgang noch kurz in der Kirche. Wir haben uns auf eine Bank gesetzt und ich hatte erst einmal Zeit, mich von dem doch etwas längeren Spaziergang zu erholen. Er nahm er meine Hand in seine. Dabei flüstert er mir zu wie es wäre, wenn wir beide dort ganz in Weiß mit einem Pastor stehen und uns das Ja-Wort geben würden. Dann legte er den Arm um mich. Obwohl ich des Öfteren betont habe, dass wir erstmal nur Freunde sind und das mit der Liebe nach später verschieben, wollte er das nicht begreifen und hat mich wie eine Geliebte behandelt. Das gefiel mir nicht. Plötzlich hatte ich Angst davor ihn mit zu mir nach Hause zu nehmen. Denn anders als in der öffentlichen Kirche wo noch andere Leute sind wäre ich in meiner Wohnung mit ihm ganz alleine. Er ist wie ich ihn schon aus dem Internet kenne, immer noch sehr aufdringlich, obwohl ich ihn gebeten habe das zu lassen. Das Gefühl wie er seine Finger mit meinen verschränkt war ungewöhnlich befremdlich. Es kam unerwartet, obwohl ich es mir hätte denken können, dass er die Freundschaft überspringt und gleich zum letzten Schritt gehen will: dem Zusammensein. Wie dem auch sei, anstatt dass wir nach der Kirche zu mir gingen, wollte ich noch ein bisschen durch die Stadt gehen und irgendwo reingehen wo man sitzen kann. Er hatte allerdings kein Geld, nicht einmal genug um in der Bäckerei einen Kaffee zu trinken. Also sind wir beinahe 3 Stunden bei Sturm und Regen mit den Fahrrädern durch die Stadt gewandert. Bis wir schließlich bei einem Geschäft unterstand gefunden haben. Dort haben wir dann den Laptop ausgepackt und ich habe ein paar nutzlose kostenpflichtige Wartungsprogramme entfernt. Während des ganzen Tages versuchte er immer wieder mir näher zu kommen. Mich zu umarmen, das war in Ordnung und das habe ich auch erwidert. Ebenso wie kurzes Händchen halten. Als er allerdings die Idee hatte, dass wir uns gegenseitig Knutschflecke machen, wurde die Sache schon deutlich unangenehm. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht so weit bin. Noch nicht. Und dass ich sowas eigentlich gar nicht mag. Dennoch hat er immer wieder darauf gepocht, dass dies geschieht. Ich bin ihm ausgewichen, als er mir näherkam, und dass ich alle seine Versuche mit Nein abgeblockt habe, hat ihn verärgert. In seinem Leben tun alle immer nur Nein zu ihm sagen, egal was er tut, und das verärgert ihn. Er ist dann kurz nicht er selbst. Denkt die ganze Welt hasst ihn und ist frustriert. Ich habe mich mit dem Computer beeilt, da ich durchgefroren war und einfach nur noch nach Hause wollte, mich entspannen. Dann dachte er, nur, weil ich seine Annäherungsversuche nicht erwidere bedeutet das, dass ich überhaupt nichts mit ihm zu tun haben will. Das hat mich dann irgendwie auch geärgert. Aber ich musste es tun; hinter mich bringen, dieses Treffen. Ich musste erfahren wer der Mann ist, der ernsthaft das Leben mit mir verbringen würde und herausfinden, ob ich es bereuen würde, wenn ich ihn nie kennengelernt hätte. Während er wieder anfängt davon zu schwärmen wie wir als Familie mit 3 Kindern am See entlang spazieren, werden meine Zweifel, dass jemand wie er nicht der Richtige für mich ist, stärker. Tatsächlich habe ich öfters darüber nachgedacht wie ich diesen Moment beenden kann ohne ihn zu verletzen. Einfach mit dem Fahrrad weg zu fahren ist sogar mir zu unhöflich. Zudem hatte ich die Hälfte der Zeit seinen Laptop in der Tasche. Er wollte ihn sogar bei mir lassen damit ich ihn noch mal richtig einstelle. Eigentlich hätte ich nichts dagegen gehabt, hätte ich nicht die Vermutung gehabt, dass er den nur als Pfand benutzt, damit wir uns wiedersehen. Kurz bevor wir uns verabschiedet haben, habe ich ihn noch einen gelben Sack rausgeholt für seinen Laptop, damit der nicht nass wird. Nein ich wollte es vermeiden ihm zu zeigen wo ich wohne, weil ich Angst habe, dass er dann irgendwann einfach vor der Tür steht. Aber einfach weggefahren und ihn da stehen zu lassen das wäre auch nicht nett. Irgendwann habe ich behauptet, ich müsse meine Aufgaben noch erledigen und dafür bräuchte ich Zeit. Ich wollte sie schon morgens erledigen, aber da Don so früh da war, hatte ich dafür keine Zeit. Die Aufgabe von Frau Ti meinte ich, und den Putzdienst. Jedoch war beides nur eine Ausrede. (Als ich dann später wieder zuhause war, hatte ich gar keine Lust mehr, etwas zu tun. Und den Putzdienst hatte ich Freitag schon fertig.) Hm. Irgendwann hat er noch einmal versucht, mir einen Knutschfleck zu geben obwohl ich doch sagte, dass ich das nicht mag. Ich reagierte darauf natürlich sehr abweisend. Bin zurückgewichen. Das fiel ihm auf und das wunderte ihn. Öfters habe ich betont, dass wir doch noch in der Kennenlernphase sind, aber das schien er nicht zu begreifen. Dann wollte er noch auf einen Kaffee zu mir reinkommen. Aber das wollte ich nicht, weil ich nach wie vor nicht mit ihm alleine in einem Raum außerhalb der Öffentlichkeit sein wollte. Wer weiß was er noch versucht hätte. Ein bisschen hat er mir dann schon leidgetan, als er sich dann bei Sturm und Regen auf den kalten Heimweg gemacht hat. Die Fahrt dauert 4 Stunden mit dem Fahrrad. 80Km hin und zurück. Angeblich ist er schon um 3 Uhr nachts losgefahren. Mir hingegen war so kalt, dass ich sogar unter die Dusche gegangen bin, um mich aufzuwärmen. Dann habe ich mich aufs Bett gesetzt und ferngesehen, weil mir die Füße verdammt doll wehtaten vom langen Stehen und Gehen. So lange wie heute stehe ich ja nicht einmal in der Maßnahme. Aber ich war so aufgeregt und nervös, dass mir der Schmerz gar nicht richtig bewusst war. Gut - eine Sorge weniger. Gerade während ich wieder zu Kräften kam, schreibe ich mit Dave. Der hat gerade Feierabend. Es ist ungefähr 14 Uhr. Ich merke, dass ich schon wieder Hunger bekomme. Noch nie war ich so froh in diesem warmen gemütlichen Zimmer zu sitzen, wie jetzt.“

O, ja. „Heute schmerzen meine Füße wie schon lange nicht mehr. Dies war so ein Tag wo ich wirklich nicht mehr gehen konnte und keine Sekunde länger stehen wollte, da es schmerzte als stände ich auf glühender Lava, die sich durch meine Fußsohlen bis auf die Knochen durch frisst. Nachdem ich ein bisschen ferngesehen habe und mich danach doch noch dazu durchringen musste mit dem Fahrrad den Glas Müll in den Container zu bringen - wo die Gangschaltung immer noch etwas kaputt ist und dann auch noch die Spülmaschine angestellt habe, weil ich das Glas Brett sauber haben wollte, um morgen meine Kekse auszustechen da ich keine Backunterlage habe., habe ich abends noch einmal mit ihm geschrieben. Er ist über meine Zurückweisung ebenso unglücklich wie ich über seine Aufdringlichkeit und die aufdringlichen Annäherungsversuche. Das macht ihn unglücklich, sagt er. Demnach bin ich wohl doch nicht die Richtige für ihn, so meine Meinung.“
Ein Date. „War das echt sowas wie ein Date?!“
„Was mache ich hier eigentlich? Ich habe immer öfter das Gefühl die Kontrolle über meine Realität zu verlieren. Die Wirklichkeit wirkt real und doch irgendwie verschwommen. Nass und triefend vor Gleichgültigkeit. Als wäre das Leben nur ein Spiel, das gespielt wird und glücklich aber auch traurig machen kann. Egal wie es ausgeht oder welche Konsequenzen jede Handlung mit sich zieht, ist sie geschehen, geht vorüber, wird vergessen und Neues kommt. Einige Spielfiguren fallen in ein grünes Rohr, verschwinden, spielen irgendwann keine Rolle mehr, waren nur da um ihren Zweck zu erfüllen. Andere bleiben länger wie das große feuerspuckende Monster am Ende eines jeden Levels, verändern und kontrollieren Gegenwart und Zukunft.“

Don will Geschenke machen, ihr einen Diamantring schenken. Aber Tamsin weiß, dass man Glück nicht kaufen kann und Geld alleine niemals glücklich macht. Das hat sie bereits herausgefunden, damals als ihre Eltern ihr jeden elektrischen Kram gekauft haben, den sie wollte, weil sie dachte, dass sie dadurch glücklicher würde. Aber das ist sie nur einen kurzen Augenblick. „Noch vor wenigen Jahren hätte ich wohl alles dafür getan - für jemanden, der mir bedingungslos sein Herz schenkt und mir alle Wünsche erfüllen würde.“ Genaugenommen ist er das, was sie sich damals immer gewünscht hatte. Als hätte die Göttin diesen Wunsch erhört. Ein Mann, der nur für Tamsin lebt, ihr beisteht und alles für sie tun würde. Aber sie ist dennoch unglücklich. „Ich will nicht auf Äußerlichkeiten achten und habe mir meinen Traummann längst abgeschrieben; auf den kann ich noch 3000 Jahre warten. Trotzdem war es mir unangenehm, wenn Don mir näherkam. Selbst das Umarmen. Er hat gelbe Zähne, sein Atem riecht nach Zigarette und er kann seine Gefühle nicht kontrollieren. Wie soll ich bloß damit umgehen?“ Ein falsches Wort genügt, und seine Stimmung schwankt schlagartig in eine andere Richtung. Das kennt Tamsin. Bei ihr ist es kaum anders.

Tamsin ist Perfektionist. Don ist das Gegenteil. Hmmm.

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