Die erste Nacht war für Tasmin
wahrhaft alptraumhaft. Der Gummifußboden sondert einen beißenden Geruch ab, der
ihr in der Lunge wehtut. Tamsin lüftet. Und lüftet. Alle paar Stunden steht sie
auf, um die Fenster aufzureißen. Schließlich entscheidet sie sich, das Kleinere
einfach offenzulassen. Doch draußen tobt ein Sturm. Nun hält der Lärm Tamsin
wach. Mühsam versucht sie, nicht tief durchzuatmen, weil sie das Gefühl hat,
davon Atemnot zu bekommen.
Am nächsten Morgen will Tamsin
sich ein Toast machen. Dummerweise hat sie ihren Toaster nicht dabei. Sie
wartet, bis die Geräusche auf dem Flur verstummen, ehe sie sich in die Küche
traut.
Warum? Die Leute sind doch
nett.
Naja, dann bemerkt sie: Das
Brot scheint vom Schimmel befallen. Frustriert stellt sie den Teller zurück und
packt ihre restlichen Getränke in den Kühlschrank – gestern hatte sie sich
nicht mehr getraut. Wieder in ihrem Raum, will sie sich Müsli machen. Sie packt
ihre Schüssel aus und bemerkt, dass sie ihr Besteck nicht finden kann. Die
Vorstellung, in der Küche herauszusuchen ist ihr ein Graus. Was, wenn jemand
kommt, und sie anspricht? Naja, sie hat ja noch Kekse dabei. Zitronenwaffeln.
„Igitt.“
Ihre Frustration steigert
sich, als durch die offenen Fenster Mücken eindringen. Mit ihrer elektronischen
Fliegenklatsche jagt sie ihnen nach, bevor sie die Zeit hat, wenigstens ihren
Kaffee entspannt zu genießen. Tränen steigen ihr in die Augen und sorgen dafür,
dass sie die Mücken nur noch verschwommen sieht. Ihre Augen brennen. Mühsam
würgt sie ihre Waffel herunter – sie muss etwas essen!
„Es ist alles so anders als
erwartet.“ Tamsin erwähnt besagten Gummigeruch. Darauf wurde ihr gesagt, sie
solle in der Nacht einfach das Fenster offenlassen, der Kälte zum Trotz.
Genauso wie sie bei Lärm einfach Ohrenstöpsel nehmen soll. Wenigstens ist es
hier nicht so laut, dass sie ernsthaft darüber nachdenken muss.
Tamsin belässt es dabei. Was
bringt es schon zu diskutieren? „Schlimmstenfalls sagen sie, ich würde mir das
nur einbilden…“ Allen, denen sie davon erzählt, behaupten, sie würden nichts
riechen. Seltsam…
Tamsin erwähnt ihre Angst, ihr
Zimmer zu verlassen. Daraufhin solle sie diese Angst einfach überwinden. Oder
im Zimmer essen.
Zum Zahnarzt wurde sie zwar
gebracht, weil sie den Standort nicht wusste, doch auch dort war sie ganz auf
sich allein gestellt. Wie erwartet konnte der Zahnarzt ihr auch nicht helfen.
So lange der Zahn gesund ist, muss nichts gemacht werden… „Einen Gesunden Zahn
zu überkronen wäre Schwachsinn. Was nützt mir ein halber, heiler Zahn, wenn ich
vor Schmerzen an der Zunge kaum ein Auge zukriege!?“
„Ich werde nicht ein Leben mit
Schmerzen führen, nur, weil alle meinen: Was man nicht sehen kann, ist auch
nicht vorhanden! Oder, weil es für mein Problem in den Akten dieser
bürokratischen Welt keine akribisch festgelegte Vorgehensweise gibt!“
… „Ich habe mehr Hilfe von so
einer Einrichtung erwartet.“
Es ist bereist Nachmittag und
alles, was Tamsin bisher gegessen hat, war die scheußliche Waffel. „Ich bin
nicht hungrig.“ Tamsin versinkt in bedrückender Melancholie. Selbst als sie
noch bei den Eltern wohnte und noch nicht in ihrer Maßnahme war, war ihre
Traurigkeit nie so heftig und lange, dass ihr sogar der Hunger fernbleibt.
„Hätte ich gewusst, ich mich
mit den Ängsten und dem, was sie auslöst sowieso alleine herumquälen muss,
hätte ich mir auch eine richtige Wohnung nehmen können.“ Dann hätte sie eine
eigene Küche und mehr Freiheiten ohne diese vielen Regeln und Verbote. Während
sie die Papiere unterschreibt, grübelt sie darüber nach, sich mit ihren Sorgen
an eine höhere Stelle zu wenden, denn mehrere Wochen hält sie diesen Geruch
nicht aus. Tamsin wird keine Wochen oder Monate hier aushaaren, wenn es sich
nicht zu ihrem Vorteil verbessert. „Ich werde nach Lösungen suchen. Und die
gibt es immer!“ Selbst, wenn diese daraus besteht, eines der Verbote zu
brechen, wie ein Bier zu trinken, nur, um dort raus zu können.“ Wenn sie keine
Hilfe bekommt ist es nicht besser als in ihrem alten Zuhause. „Und was soll ich
hier alleine rumsitzen und ununterbrochen heulen!?“
Idel wäre eine Wohnung im Stadtzentrum. In der Nähe ihrer Arbeit. Oder
zumindest so, dass sie nicht zu viel Zeit mit dem Bus verschwenden muss. Eine
Therapie, die sie nicht selbst bezahlen muss und vielleicht jemand dazu, der
ihr bei Alltagssorgen hilft. „Dad hatte vielleicht Recht.“
Es ist verboten, Dinge vor die Tür zu stellen, damit die Fluchtwege
freibleiben. Einerseits richtig so. Betrachtet man dies jedoch mit klarem
Menschenverstand, so würde Tamsin im Brandfall nicht in einen verräucherten
Flur laufen, um nach draußen zu fliehen, sondern durch die Terrassentür
verschwinden. Ihr Zimmer liegt als einziges ganz am Ende des Flures.
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