Chatsmileys
sind wertvoll. Heute denkt Tamsin an dem Tag zurück, an dem sie einen Ufosmiley
ertauscht hatte, der ihren Nick im Chat leuchten ließ. Damals war dies
einzigartig. Tagelang war Tamsin damals online, hat gesammelt und gezockt, um
endlich die 2000 Knuddels – die dortige Chatwährung – zu erbeuten, die der
Smiley wert war. Aufgrund einer Inflation ist er heute über 27000 Knuddels wert.
Aber das kümmert Tamsin wenig. Leuchtnicks sind nichts Besonderes mehr, und der
Chat hat sich so verändert, dass längst nicht mehr alle Chatter mangels Java
den Leuchteffekt wahrnehmen. Tamsin chattet nicht mehr – es gibt besseres, als
sich von Kerlen anmachen zu lassen – und steckt diese Energie lieber in ihr
Buch. Bald zieht sie um. Sie hat einfach keine Zeit mehr für so etwas.
Daher kam
ein Bekannter, dem sie schon seit längerer Zeit immer wieder Smileys ausleiht,
gerade recht. Smileys sind Geld wert, und er, der diesen Chat noch wohlgesonnen
ist, freut sich, als Tamsin einwilligt, ihm ihre alten Secretsmileys gegen
Amazongutscheine zu verkaufen. Es klingt seltsam, ist aber absolut legitim.
Diese kleinen Pixelbilder wurden wie Pokemonkarten schon damals bei Ebay zu
Höchstpreisen gehandelt. Mehrere Hundert Euro geben einige dafür her. Per
genauer Umrechnung wären einige sogar über tausend Euro wert.
„Naja, es
war immer schön, in einem Chat auf diese Weise einzigartig zu sein. Aber
Smileys werden nichtmehr bewundert. Niemandem fällt ein leuchtender Nickname
auf. In meinen Augen ist es ein sterbender Chat, in dem die Frauen von
versauten Kerlen vertrieben werden und wo, äh, was war noch gleich das
Gegenteil von Niveau, regiert.“ Tamsin hat auch nicht immer Lust, online zu
gehen, um den Smiley verleihen. Daher kam ihr dieses Angebot gerade sehr
gelegen.
Angesichts
des Preises freut sie sich, dass die Zeit, die sie einst in den Chat gesteckt
hat, doch nicht gänzlich vergeudet ist. „Niemals habe ich Geld dafür ausgegeben.
Weder für Abos, noch Spiele.“ Seit sie 2004 im Videotextchat wahrscheinlich
mehrere Hundert Euro losgeworden ist, ist sie schlauer geworden.
Es ist
erstaunlich. Man sammelt „Knuddels“, tauscht die gegen Smileys und kann diese
dann gegen Geld verkaufen. Und da Smileys an sich auch direkt gegen Geld
erwerbbar sind und damit sozusagen Besitzgüter sind, spricht kein Gesetz
dagegen.
„Meine
Mom würde mir den Vogel zeigen, wüsste sie davon.“ Jeder, der den Chat nicht
kennt, wäre erstaunt.
Nunja,
den Morgen verbrachte Tamsin damit, Kartons zu packen. Ihre Mom kümmerte sich
um die Wäsche. Und das Bad. Macht noch einmal sauber, damit die Leute, die die
Möbel rausholen, nichts schlechtes denken. „Die Wand war feucht. Schimmelig.“
Tamsin
ist aufgeregt. Morgen will ihre Chefin mit ihr nach Ikea. Tamsin hat noch immer
keine neue Matratze. Tamsin ist froh über die Hilfe. Auch darüber, dass sie
sich beim Umziehen hilft und den Möbeltransport organisiert. Oft grübelt Tamsin
über den Grund darüber nach. Tamsin kann kaum an Uneigennützigkeit glauben, und
dass jemand etwas für andere tut, einfach um ihnen zu helfen, findet sie
erstaunlich. „Eigentlich leben wir in einer Welt, in der es nichts geschenkt
gibt.“ Warum tun anderen sich aufopfern, nur, damit Tamsin ein besseres Leben
hat? Mit Tamsin nicht mehr traurig ist? Einfach so? Wen interessiert, ob sie
lacht oder weint? Sie denkt: „Wenn andere sagen, ich solle beim Laufen über
einen frisch gewischten Flur vorsichtig sein, dann sagen sie das nur, weil,
wenn Tamsin fällt uns sich ein Bein bricht, viel Papierkram auf sie zu kommt
und das Drumherum mit dem Krankenwagen viel Zeit kostet.“ Ein Arbeitsunfall
würde sicher viel Bürokratie beanspruchen. So viel müsste geregelt werden.
Versicherungen. Arbeitszeitverlust – nicht nur Tamsins Eigene ondern auch die
der Kollgen, die nicht weiterarbeiten können, weil Tamsin im Weg liegt oder
jemand sie beruhigen muss, weil sie vor Schmerzen so laut schreit, dass niemand
mehr sich auf seine Aufgabe konzentrieren kann. Tamsin fällt es schwer, sich um
das Wohlergehen anderer zu sorgen, darum glaubt sie, dass niemand sich
ernsthaft um ihr Wohl sorgt.
Eine Bekannte aus einer alten Maßnahme schreibt
Tamsin, dass sie zu ihr wechselt – in die Maßnahme.
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