Montag, 3. September 2018

Küchenchaos

Tamsin hat geträumt, dass ihre Zahnfüllung weggebrochen ist.
Davor hat sie ständig Angst. Mag nichts Hartes essen. Der Arzt meinte, irgendwann wird das wohl wegbrechen. Toll. Aber etwas Anderes kann man nicht machen, keine Krone, keine härtere Füllung nichts! Denn dies ist ein Sonderfall, für dem es in der Bürokratie keine Regel gibt. Keine Anträge. Nichts. Also hat Tamsin Pech. Wie immer.

„Der Tag in der Küche war heute sehr stressig. Dabei habe ich mich selbst persönlich gar nicht so unwohl gefühlt. Ich trete der Welt mit einer leichten Gleichgültigkeit gegenüber, die verhindert, dass Kummer und Verzweiflung an mich herankommen und mich überwinden. Denn ich will nicht traurig sein oder verzweifelt. Heute wollten wir Champignonrahmsauce machen. Eine Fahne mit Fleisch und eine ohne. Dazu Nudeln. Heute sollten wir auch pünktlich damit fertig sein. Bis auf die Zwiebeln hatte ich keine großen Sorgen. Dann lief das so, dass die Frau mit der ich kochen sollte verschlafen hat und danach nicht mehr in der Lage war mit zu kochen. Sie hat dann bei jemandem geklingelt, aber die Person hatte keine Lust für sie einzuspringen.

Zunächst wusste ich nicht was ich machen sollte. Habe schon mal die Sachen zusammengetragen und ausgepackt. Dann sollte ich jemand anders fragen ob der mit mir macht also beim Kochen hilft. Denn alleine kann ich so etwas nicht. Weiß das Rezept auch gar nicht.
Die Frau, die ich gefragt habe, tut gerne kochen und hat auch gerne geholfen. Dann kam noch die Betreuerin dazu und dann haben wir zu dritt erstmal das Gemüse geschnitten. Meine Zwiebel-Panik war groß. Die Frau saß mir damit direkt gegenüber. Zu meiner Verwunderung war der Schmerz jedoch kaum wahrnehmbar. Vielleicht, weil sie die richtig schneiden konnte. Bevor der Schmerz dann ernsthaft wurde, habe ich den Tisch gedeckt. Die Leute wissen, dass ich Zwiebeln überhaupt nicht gut leiden kann. Als dann gefragt wurde ob das für mich auch in Ordnung ist, wenn so viel davon im Essen sind, war unschlüssig und habe es nicht kommentiert. Dann kam noch der Spruch, dass man das ja mal mit Essen müsse. Ich weiß, dass auf einzelne Person bei solchen Gruppen Sachen nicht immer Rücksicht genommen werden kann. Na ja ich habe es dann so hingenommen. Der Welt interessiert eh nicht, was ich will oder wie ich mich fühle.
Die Erleichterung war dann groß, heißt das Essen doch ganz gut schmeckte. Obwohl das total voller Zwiebeln war mit den Pilzen. Es hat gut geschmeckt. Der Schmerz, vor dem ich die ganze Woche über solche Angst hatte, blieb zu 95% aus.“

Gegen Nachmittag ist Tamsins Stimmung eigentlich ganz gut. Trotz des stressigen vormittags.
Sie ist froh, danach einen freien Tag zu haben. Naja, bis auf das Therapiegespräch.

Danach ging Tamsins Stimmung wieder den Bach runter. Sie muss Busfahren üben. Muss wohl öfters mal alleine nach Lübeck fahren. Neben der Sorge vor alten Bussen, die die Haltestellen nicht ansagen, hat sie Geldsorgen. Große Angst, ständig die teuren Tickets kaufen zu müssen und dann gar kein Geld mehr für andere Sachen übrig zu haben.
Ein Auto ist auch zu teuer.
Tamsin hat Durst, traut sich aber nicht in die Küche, weil sie nicht will, dass andere sie weinen sehen. Die Leute tun immer so teilnahmsvoll, können aber doch nicht helfen oder es verstehen.

Jahrelang hat Tamsin gehofft, endlich Hilfe zu bekommen. Eine Therapie zu machen. Und dann ist das alles so kompliziert! „Kann ich mir das leisten?“

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