Psycho? Depressiv? Am Ende? Ein
Versager?
Etwas finde ich seltsam. Ich finde es
vieles seltsam, aber dies ist wirklich sonderbar. Manchmal habe ich
Depressionen. Oha. Würde mich am liebsten unter meiner Bettdecke verkriechen
und den Rest des Lebens mit Schlafen verbringen, denn wenn man schlafen tut,
kann man nicht nachdenken.
Ich tue nachdenken. Grüble über so viele
Dinge nach und komme doch zu keinem Ergebnis. Ist der Gedanke zu Ende, beginnt
er von vorne. Wie ein Karussell, das sich im Kreis dreht... Stundenlang.
Manchmal die ganze Nacht lang.
Sollte ich es dann doch schaffen
einzuschlafen, hält der Schlaf nicht lange an. Kummervolle Gedanken, Ängste und
Sorgen sind stärker als schöne Träume.
Die Augen öffnen sich. Das Herz macht
einen Sprung. Realität!
Und dann sitze ich da, im schwachen Licht,
das auf die niedrigste Stufe eingestellt ist, die Beine unter der warmen Decke
vergraben und taste nach meinen Taschentüchern. Denn die Gedanken sind so
bedrückend, dass sich die Tränen nicht mehr zurückhalten lassen. Alles Schöne
ist plötzlich traurig. Lachen ist unmöglich. Wäre es Tag und ich würde andere
lachen sehen oder in eine amüsante Situation einfallen, kann ich nicht lachen,
nein stattdessen laufen die Tränen. Unaufhaltbar.
Irgendwann sind die Taschentücher
aufgebracht. Mürrisch steige ich aus dem Bett. Schwankend, weil mir schwindelig
ist, begebe ich mich ins Badezimmer. Dort liegt mein Vorrat.
Lebensgeschichte aus heutiger Sicht
Wie ich zu dem geworden bin was ich heute
bin, weiß wohl niemand. Oder?
Schon in der Vorschule stand ich immer im
Abseits. Die anderen Kinder haben gespielt und ich stand alleine in der Ecke.
Niemand hat sich darum gekümmert.
Als ich dann in die Schule kam, hat sich
das kaum geändert. Auch da stand ich in jeder Pause alleine in einer schattigen
Ecke neben den Mülltonnen. Ich hatte Angst. Vor den Kindern und vor allem. Die
Angst war so groß, dass ich mich nicht getraut habe, mich im Unterricht zu
melden. Die Lehrer hielten mich daraufhin für dumm und unwissend und meinten,
ich brauche extra Sonderschulunterricht, weil ich den Lehrstoff nicht
schaffe. Denn ich habe mich nie gemeldet
und demnach wusste ich auch nie die Antworten. Das war deren Meinung.
Das andere Kinder mich jahrelang geärgert
und ausgelacht haben, hat kaum jemand ernst genommen. Es sind ja nur Kinder,
hieß es, die machen sowas nunmal. Das ist ganz normal.
So lief das von der ersten bis zur neunten
Klasse.
Nach der Schule bekam ich keine
Ausbildungsstelle, dafür in eine berufsvorbereitende Maßnahme. Meine Kameraden
dort waren erwachsener als die Kinder in der ersten Klasse - allerdings
nur körperlich! Neben den seelischen Schmerzen, die sie mir zufügten, als sie
in den Pausen um mich herumstanden und mich angeschrien haben, dass ich in eine
Behindertenwerkstatt gehen soll, weil ich eben so schüchtern war und nicht mit
denen reden konnte, bestanden die Aufgaben in dieser Einrichtung aus
hauswirtschaftlichen Aufgaben. Von 8 bis 17 Uhr musste ich putzen. Erst die
Toiletten, dann die Flure, die Oberflächen und den Speisesaal wischen, nachdem
die Schüler und Lehrer dort zu Mittag gegessen hatten. Immer, wenn ich dort reinkam,
habe ich mich gefragt, ob das wirklich zivilisierte Menschen waren, die dort
gegessen haben. So wie das dort aussah… Mhm.
Das Tagelang andauernde Stehen und Laufen
hat mir große Schmerzen bereitet. in diesem einen Jahr in dieser Einrichtung
bestand mein Leben aus Arbeit, essen und schlafen. Die Schmerzen waren so
stark, dass ich mit krummen Rücken und tränenden Augen und Übelkeit im Bauch
nach Feierabend zur Tür nach draußen gehumpelt bin. Habe ich mich darüber beklagt,
bekam ich als Antwort: “So ist das Arbeitsleben. Das ist normal. Daran gewöhnst
du dich. Das Leben ist kein Zuckerschlecken.”
Ich
musste durchhalten. Die Schmerzen waren nicht wichtig. Wichtig war, dass die
Toiletten sauber sind. Dass der Speisesaal gefegt und gewischt wurde und die
Teller gespült warne. Dass alle Aufgaben erledigt sind!
Dies war das Jahr, in dem ich den Glauben
an Menschlichkeit und das Gute verloren habe.
Nach diesem Jahr bekam ich immer noch
keine Arbeit. Weil ich so schüchtern war und mit anderen Leuten nicht sprechen
konnte, wurde gesagt, dass man nichts für mich tun kann. Tja. Pech.
Ich persönlich war froh darüber. Ich war
damals 17. An meine Zukunft habe ich nicht gedacht. Das einzige, woran ich
damals gedacht habe, war, dass die Schmerzen endlich ein Ende hatten. Alles
andere war egal. Ein Leben ohne Glück ist traurig. Aber ein Leben das aus
Schmerzen besteht, wäre unerträglich.
Von da an verbrachte ich die nächsten 7
Jahre zu Hause. Meine Eltern wussten, dass ich anders bin als normale Menschen
und haben es einfach akzeptiert. Für mich bedeutete Arbeit: Dinge tun die
man nicht mag, Schmerzen ertragen und erst abends zu Hause zu sein. Schnelles
Essen und müde ins Bett fallen. Und das jeden Tag. Ein Leben lang.
Denn so hatten die Ausbilder es dort
gesagt. So ist das Arbeitsleben. Und das Leben ist kein Zuckerschlecken!
Immer musste ich nur tun was andere
wollten und niemals durfte ich tun, was mir selbst Freude bereitet.
Ich konnte nicht akzeptieren, dass das
Leben hart und schmerzhaft und anstrengend sein soll. Warum? Wurde ich nur
geboren, um der Gesellschaft zu dienen? Um mich einem Dasein, dass
niemand hinterfragt, willenlos anzupassen?
Und so verbrachte ich die Tage fortan damit,
am Computer zu sitzen, fernzusehen, malen und zu basteln und nur zu tun, was
mir gefällt. Freunde hatte ich nicht. Nur die Eltern, die mir essen zubereitet
haben.
Ich habe mich allein gefühlt. Im Laufe der
Jahre wurde die Einsamkeit immer stärker. Im Internet habe ich mit Leuten
geschrieben. Wollte kommunizieren. Aber das war nicht genug. Irgendwann fing
ich an, mein Leben zu hinterfragen. Ob das wirklich schon alles ist? Wegen
meiner unbehandelten Ängste war und ist es mir heute immer noch nicht möglich,
soziale Kontakte in der realen Welt aufzubauen.
Inzwischen weiß ich, dass Arbeit nicht
zwangsläufig Schmerzen und Unannehmlichkeiten bedeutet. Die Hoffnungslosigkeit,
niemals einen sinnerfüllten Beruf zu finden und niemals Freunde zu haben,
steigert sich an manchen Tagen dennoch ins Unermessliche.
Irgendwann
nach diesen sieben Jahren habe ich mich freiwillig bemühst, aus diesem
Alptraum-Leben, das nur aus Computer und Fernsehen besteht, zu befreien. Ich
war 25. Das Jobcenter durfte mich nichtmehr abweisen.
Dann kam ich
in eine neue Maßnahme. Die war nicht so schlimm wie die erste. Allerdings auch
nicht immer so super. Einmal meinten sie, ich solle in der Küche arbeiten, weil
mir das guttun würde. Das wollte ich selbst nicht. Denn dort musste ich wieder
den ganzen Tag stehen, bis ich Schmerzen hatte. Aber das war egal. Es war ja
nur zu meinem Besten!
Der Koch hat
mir Zwiebeln in die Hand gedrückt. Hat mir flüchtig erklärt, so und so werden
die geschnitten und ist dann abgehauen. Als ob ich das so schnell verstanden
hätte. Denn Zwiebeln zu schneiden, ohne dass die Augen tränen, ist eine Kunst.
Eine, die ich nicht beherrsche. Schon nach wenigen Minuten hat mich der Schmerz
in den Augen überwältigt. Ich solle mich
nicht so anstellen, wurde dann gemeint. Muss mich dran gewöhnen. Lernen.
Durchhalten! Damit die anderen nachcher satt und zufrieden sind!
Ich fragte
mich: Hört das denn nie auf?
Und so stand
ich da, habe weinend auf das Gemüse eingeschlagen, bis es „fertig“ war.
In der
nächsten Woche hat mir der Koch wieder die Zwiebeln gegeben. Noch, bevor
ich das Messer in die Hand genommen hatte, kamen mir die Tränen. Gleich würde
ich wieder Schmerzen aushalten müssen.
Wider musste ich tun was andere wollten
und durfte nicht tun, was mir selbst Freude bereitet.
Inzwischen habe ich Diagnosen. Psychische
Probleme. PTBS, Depression und Angststörungen.
Was sind die Ursachen? Ist es meine
Schuld, weil ich mich nicht bemüht habe und ein Weichei bin, oder war es die
Gesellschaft, die mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin?
Überall wird immer mehr Leistungsdruck
gefordert. In Fabriken müssen die Arbeiter im Stehen im Akkord arbeiten. Für
Schmerzen ist dort gar keine Zeit! Was nicht bedeutet, dass sie keine haben.
Aber das Geld ist wichtig. Man braucht
Geld, um zu überleben. Um nach Feierabend etwas zu essen zu haben, in einer
warmen Wohnung in einem Bett verbringen zu können, bevor es am nächsten Tag weitergeht…
Zwei Tage in der Woche reichen ja, sich zwischen Haushalt und Einkauf mal eben
schnell auszuruhen.
Ist man alt
und grau fragen die Enkelkinder: was hast du schönes erlebt?
Antwort: an
einem Wochenende war ich auf dem Jahrmarkt!
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