Freitag, 21. April 2017

Unsicherheit? Mit Sicherheit

Die erste Stunde dieses Tages begann damit, zu besprechen, was den Rest des Tages über getan werden sollte. Wobei drei Stunden nicht unbedingt als „Tag“ bezeichnet werden sollten. Niemand hatte eine Idee. Tamsin auch nicht so recht. Sie hat gesagt, was sie nicht tun wollte. Hätte sie „Computer“ vorgeschlagen, wäre es wahrscheinlich an die Jobbörse gegangen, was, da sie bereits andere Pläne hat, für sie überflüssig wäre. „Es gibt nichts langweiligeres, als Stundenlag Stellenanzeigen zu durchforsten, von denen mehr als die Hälfte sowieso zu hohe Ansprüche haben und der Rest aus anderen Gründen nicht in Frage kommt.“
An die Computer ging es letztlich dennoch. „Wir haben Busfahrpläne durchforstet.“ Jeder muss zu anderen Zeiten an verschiedenen Orten sein. Erneut packt Tamsin die Befürchtung, nachher die einzige zu sein, die bis zur Abenddämmerung dableiben muss, während alle anderen schon mittags gehen. Nachdenklich starrt sie auf die Ankunftszeit des späten Busses, der direkt zu Ende des Vollzeittages abfährt... Wird dies ihrer sein? Sie versucht, sich mit der späten Zeit anzufreunden.
Der Anleiter wusste die verschiedenen Zeiten der Teilnehmer nicht und Tamsin wurde selbst noch nicht offiziell erklärt, wie lange sie nun wirklich bleiben müsse! Als dieser eine frühere Zeit raussucht und erklärt, dass es so eingerichtet werden soll, dass alle möglichst zur gleichen Zeit gehen, fällt Tamsin doch ein Stein vom Herzen. Selbst bis vierzehn Uhr erscheint ihr lange, aber so lange es nicht 17Uhr ist, ist ihr alles recht.
Allerdings kommen die anderen sechs Teilnehmer erst nächste Woche, wenn die Ferien zu Ende sind. Aber wenn die schon wegen ihrer Kinder zuhause bleiben müssen, bezweifelt Tamsin, dass die alle bis 17Uhr aufgebrummt bekommen, die Durchschnitts-feierabend-zeit steigt und Tamsin sich den Massenzwängen fügen muss.
Doch möglich wäre es. Tamsin hasst die Ungewissheit. Sie stellt sich vor, wie alles zu ihrer Zufriedenheit abgeklärt wird und plötzlich die Chefin auftaucht und sagt: „Was, 14Uhr? Ist das nicht viel zu früh? Tamsin hat keine Probleme. Das Jobcenter sagt Vollzeit!“

Dass sich zumindest an dem Ankunftszeiten nichts ändert nimmt Tamsin mit Erleichterung zur Kenntnis. Zwar wurde nach einem früheren Schul-Bus gesucht, doch aufgrund des Umsteigens ist keiner so ideal, wie der jetzige. Ja, es wäre schon richtig mies gewesen, würde der Tag schon vor dem ersten Hahnenschrei mit Gedrängel und sonstigem Schülerstress beginnen.

Tamsin hat nämlich auch so schon genug mit sich selbst zu tun. Während sie jeden Morgen an der leeren Haltestelle wartet und sich daran erfreut, frische Luft atmen zu dürfen, weil keine Raucher da sind, die ihr mit ihren Stinkerstängeln auf die Pelle rücken, kontrolliert sie ihre Tasche. Ihre Fahrkarte. Oder ihr Fahrgeld. Weiß sie, dass sie sich eine Monatskarte besorgen muss, kann sie nicht anders, als alle fünf Minuten zu kontrollieren, ob sie auch genug Geld dabeihat. „Ich weiß, dass es genug ist.“ Aber hat sie sich auch nicht verguckt?  Hat Tamsin wirklich richtig gezählt? Ist das wirklich ein Zwanziger, oder doch nur ein Fünfer? Gefaltet sehen die alle so gleich aus... Nichts wäre unangenehmer, als erklären zu müssen, dass es plötzlich doch nicht reicht.
Um den Drang, ständig prüfen zu müssen, ob sie ihre Fahrkarte auch dabeihat, zu bekämpfen, lässt sie ihre Handtasche offen. Damit niemand, der an ihr vorbeikommt unwillkürlich seine Hand hineinsteckt, umfasst Tamsin die Karte vorsichtshalber. So weiß sie, dass sie da ist und niemand sie ihr klauen kann.

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