Donnerstag, 6. April 2017

Gedankenwelt IV – Bürokratie

 

Tamsin hält sich immer, naja, meistens, an Vorschriften und Regeln. Der Grund dafür: Sie hat schlichtweg Angst vor den Konsequenzen. Dazu ein schlechtes Gewissen.
Jedoch gibt es etwas, was ihr sehr schwerfällt, zu akzeptieren: Sogenannte Sinnlos-Regelungen. Regeln und Bestimmungen, die von höherstehenden Personen aufgestellt wurden und befolgt werden müssen, obwohl sie eigentlich keinen oder kaum einen Sinn erfüllen.

Eine Regel davon wäre beispielsweise: Festgelegte Zeiten müssen eingehalten werden, egal wie man sie nutzt.
Ist man zb. mit der Arbeit fertig, darf man nicht früher gehen. Man muss bis zur auf dem Vertrag festgelegten Uhrzeit bleiben. Selbst wenn man nichts tut und seine Zeit nur absitzt. Bürokratisch betrachtet ist das nur gerecht, schließlich wird man für die Zeit bezahlt. Menschlich gesehen ist es jedoch recht sinnfrei.

Ein anderes Beispiel wäre ein Lastwagen, geladen mit Obst, der auf der Straße umkippt oder auf andere Weise seine Ladung verliert. Es ist verboten, das Obst von der Straße aufzusammeln und mitzunehmen. Es wird entsorgt!
Vermutlich, weil die Großkonzerne dann minimal weniger Umsatz machen würden, wenn die Menschen, die es von der Straße nehmen an diesem Tag dann nicht mehr in den Laden gehen, um es zu kaufen.

Im Computerraum in der Maßnahme ist es verboten, zu essen und zu trinken! Gut, die Krümel könnten in die Tastatur fliegen. Aber es ist auch nicht erlaubt, sich fernab der Rechner an die Wand mit dem Rücken zum Raum zu stellen und vorsichtig aus einer Flasche zu trinken. Auch im Abstand vorsichtig etwas zu essen, was weder krümelt noch spritzt, ist verboten.
Hm, das Verbot hat zwar einen Sinn, jedoch ist die Strenge, mit der der menschliche Verstand außer Kraft gesetzt wird, übertrieben.

Das Jobcenter bezahlt Fahrgeld, wenn die Maßnahme in einer anderen Stadt liegt. Diese Busfahrkarten sind echt teuer. Allerdings werden grundsätzlich keine Einzelfahrkarten bezahlt! Beim ersten Mal, vielleicht. Aber wenn man Montag hinkommt, muss man eine Wochen- oder Monatskarte kaufen! Auch, wenn Donnerstag + Freitag Feiertage wären. Man kauft also eine Wochenkarte für zwei Tage. Diese kostet 30Euro, während 2 Einzelfahrkarten weniger als die Hälfte kosten würden. Aber mit Logik kommt man gegen diese festgelegten Regeln nicht an. Es sei denn, man bezahlt die Einzelfahrkarten vom eigenen Geld und verzichtet auf die Erstattung für die Wochenkarten. Aber welcher Harzt4 Empfänger macht das schon?

Heutzutage muss alles beglaubig, bestätigt und abgesegnet werden! Ein ehrliches Wort scheint nichts mehr wert zu sein. Naja, kein Wunder bei den vielen Lügen, die diese Welt verunstalten. „Stolz und Ehre sind Werte aus alten Zeiten.“
Versursacht einem stundenlanges Stehen Schmerzen, genügt es nicht, dies zu erklären. Nein, diese Einschränkung muss von einem Arzt festgestellt und offiziell anerkannt worden sein. Ist sie das nicht, darf der Abreitgeber einen zum Stehen zwingen, und man muss sich fügen, weil alles andere Arbeitsverweigerung wäre. Oder?

„Vor ca. zehn Jahren wurde ich in einem Pflichtpraktikum aus einer JoBB Einrichtung in einer Großküche untergebracht. Eine dortige Regel lautete, dass um sechzehn Uhr Feierabend war, für alle, und zwar genau dann, sobald eine Klingel ertönte. Die Arbeit – nach dem Kochen aufräumen und saubermachen – war jedoch meistens so schnell getan, dass es bereits um fünfzehn Uhr nichts mehr zu tun gab. Alles war fertig. An meinem ersten Tag damals war ich ein wenig irritiert. Es war fünfzehn Uhr und sämtliches Küchenpersonal hatte sich im Eingangsbereich der Küche versammelt, um auf das Feierabends-Signal zu warten. Einige lehnten gelangweilt an der Wand, weil es in der ganzen Küche nur einen Stuhl gab. Wenn möglich habe ich ihn mir geschnappt. Sitzen machte es ein wenig erträglich, da ich das Gefühl hatte, nach dem vorigen stundenlangen Stechen bräche mir bald der Rücken durch. Anderenfalls musste ich es ertragen, gequält von einem Bein aufs andere treten, mich vor und zurückbeugen, da das starre Stehen vorhandene Schmerzen zusätzlich verstärkt. Während des Wartens fanden kaum Gespräche statt. Alle warteten geduldig auf den Feierabend, den Blick starr auf die Uhr gerichtet. Sobald die Klingel dann erklang stürmten sie nach draußen, wie Sprinter nach einem Startschuss.“
Und dies ist dort Standard. Eine Stunde Arbeits-/Lebenszeit nur rumstehen und warten. Täglich. Und das nur, weil die Regeln es verlangen.
Sicher, vertraglich festgelegte Arbeitszeiten werden bezahlt und es wäre wiederum auch nicht richtig, würde man früher abhauen und trotzdem für die letzte Stunde das Geld kassieren. „Aber, dass es so etwas gibt und dies so hingenommen und nichts daran zum Wohle aller geändert wird ist für mich unbegreiflich. In einer Stunde könnte man so viel schaffen! Einkaufen. Behördengänge. Aufräumen. Entspannen. Ich persönlich würde gerne auf eine bezahlte Stunde Nichts-tun verzichten - das würde der Firma Kosten sparen und mir sinnvoll nutzbare Zeit schenken.“
Zeit ist Tamsin im allgemeinen wichtiger als Geld. Okay, ein gewisses Maß an Arbeit ist nötig, um zu überleben, doch Tamsin würde gerne auf ein Auto oder einen Vollzeitlohn verzichten, wenn sie dafür täglich ein wenig mehr Zeit für sich hätte. Ein Job direkt vor der Haustür, eine Wohnung im Stadtzentrum… Möglich wäre es. Aber auch für Tamsin?

Tamsins Motto ist: „Die Zukunft ist jetzt. Wir leben in einer Zeit der Computer und der Technik, und jeder sollte das Recht haben, diese Vorzüge auch zu nutzen! Niemand muss heute noch ackern und sich bis zur Erschöpfung verausgaben, um zu überleben.“
Es sei, die Bürokratie macht einem einen Strich durch die Rechnung. „Ja, ein wenig unfair kann sie schon sein. Nehmen wir beispielsweise einen Menschen, der in Office und IT ein Genie ist. Doch ein derartiger Beruf ist für ihn unerreichbar, weil Menschen mit Hauptschulabschluss zu „minderwertig“ oftmals für diese Stellen sind.“

Tamsin überlegt ein Buch zu schreiben, in dem es um eine Welt geht, in der nicht Bürokratie, sondern Menschlichkeit Übermacht hat. Eine Geschichte, in der man zu allem nein sagen kann und dies mit Verständnis akzeptiert wird. Von jedem. Evtl. die Lebensweise des Mittelalters in der Moderne?
Ja so etwas scheint naives Wunschdenken zu sein, aber es wäre sicher interessant, dieses Thema weiter zu verfolgen. Man stelle sich vor, ein Arbeitsloser kommt zum Amt, ihm wird gesagt, dass er auf einem Feld Kartoffeln ernten müsse. Er muss, und wenn er sich weigert, wird er bestraft. Er ist jung und kräftig, und dieser Arbeit gewachsen. Aber er möchte nicht. Nein, er möchte lieber kleine, feine Porzellanpuppen bemalen. Dafür hat er jedoch nicht die nötige Ausbildung. Aber er macht es gerne und er kann es, selbst wenn es kein Dokument gibt, dass dies offiziell bestätigt. In einer fiktiven Geschichte wird sein Wunsch mit Freunden akzeptiert, ebenso, dass er gerne um Mitternacht arbeitet. Wenn er es gerne tut und verspricht, auch immer nach Feierabend die Türen abzuschließen und auf den Schlüssel zu achten, sollte es kein Problem sein.

Nunja, die Sache könnte auch einen Haken haben: Der Mann ist zufrieden, tut, was er gerne macht was und sein Leben bereichert, doch es gibt niemandem, der auf dem Feld die Kartoffeln ernten möchte. Niemand ist mehr bereit dafür, weil alle nur doch das tun, was sie am liebsten machen. Einzige Lösung: Der Bauer zahlt den Arbeitern mehr Lohn und zwar so viel, dass es potentielle Arbeiter motiviert, ihren alten Job dafür an den Nagel zu hängen. Was sie jedoch nicht für immer müssen, da es sich hierbei um Saisonarbeit handelt.
In dieser fiktiven Welt müssten Menschen natürlich auch nicht mehr zwingend von morgens bis abends arbeiten. Es gibt so viele Arbeitslose, und es gibt Angestellte, vielleicht gerne ein paar Stunden Arbeitszeit gegen freie Lebenszeit eintauschen würden. Jeder müsste nur noch halb so lange arbeiten, weil die Zeit mit anderen geteilt wird. Dafür gibt es letztlich mehr Angestellte!
Leider würde dies auch weniger Lohn für den Einzelnen bedeuten. Der Arbeitgeber müsste zwei Personen finden, die sie mit weniger abfinden, und wenn die Stelle dann noch besonders hohe Ansprüche, wie Ausbildung oder einen tollen Schulabschluss aufweist, wäre das schon müßig.

Einmal hat Tamsin gelesen, dass dieses Konzept nur nicht möglich ist, weil mehr Angestellte auch mehr Papierkram bedeutet. Arbeitgeber scheuen den damit verbundenen Aufwand. Zudem hat Tamsin einen Fernsehbericht geschaut, in dem gesagt wurde, dass die Anzahl psychisch Kranker Angestellter drastisch gestiegen ist. Burnout, Stress seien die Hauptgründe.

Aber vermutlich wird dieser Gedankengang sowieso auf ewig reine Fiktion bleiben. Von morgens bis abends zu arbeiten ist in dieser Gesellschaft ein Standard, den niemand zu hinterfragen wagt. Tut es jemand, wird er als faul abgestempelt. Aber was bringt einem viel Geld, ein tolles Auto, coole Technik und die Erfüllung aller Wünsche, wenn man Täglich nur drei Stunden hat, sich daran zu erfreuen, sofern man diese Zeit überhaupt wirklich „Frei“ hat und sie nicht mit Pflichterledigungen; Einkauf, Kochen, Warten beim Arzt oder Ämtern etc. verbringen muss oder man schlichtweg zu müde ist?

Einmal hatte Tamsin in einem Forum gefragt, was andere davon halten, wenn jemand nur halbtags arbeiten möchte, weil ihm „Freizeit“ wichtiger ist; Zeit für Dinge, die man sonst nur am Wochenende schafft. Selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass der geringere Lohn zum Leben reicht und man keine Zusatzleistungen erhalten muss.
Tamsin war geschockt, als plötzlich eine Welle von Beschimpfungen über sie hinwegrollte. „Einige Menschen haben empört Reagiert, als hätte ich behauptet, gar nicht mehr Arbeiten zu wollen. Nun, das wäre wiederum schon etwas langweilig. Andere meinten, sie seien ebenfalls nicht glücklich, aber sie tun, was getan werden muss, weil es einfach so ist.“ Vor langer Zeit hatte irgendjemand festgelegt, dass acht Stunden die Maximale Arbeitszeit ist. Daraus hat sich ein Standard entwickelt.
Es gibt Menschen, die den ganzen Tag schuften und trotzdem nur sehr wenig verdienen. Die machen freiwillig Überstunden und fallen anschließend erschöpft ins Bett. „So etwas finde ich traurig. So etwas ist doch kein… Leben.“

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