Tamsin
hält sich immer, naja, meistens, an Vorschriften und Regeln. Der Grund dafür:
Sie hat schlichtweg Angst vor den Konsequenzen. Dazu ein schlechtes Gewissen.
Jedoch
gibt es etwas, was ihr sehr schwerfällt, zu akzeptieren: Sogenannte Sinnlos-Regelungen.
Regeln und Bestimmungen, die von höherstehenden Personen aufgestellt wurden und
befolgt werden müssen, obwohl sie eigentlich keinen oder kaum einen Sinn
erfüllen.
Eine
Regel davon wäre beispielsweise: Festgelegte Zeiten müssen eingehalten werden,
egal wie man sie nutzt.
Ist
man zb. mit der Arbeit fertig, darf man nicht früher gehen. Man muss bis zur
auf dem Vertrag festgelegten Uhrzeit bleiben. Selbst wenn man nichts tut und seine
Zeit nur absitzt. Bürokratisch betrachtet ist das nur gerecht, schließlich wird
man für die Zeit bezahlt. Menschlich gesehen ist es jedoch recht sinnfrei.
Ein
anderes Beispiel wäre ein Lastwagen, geladen mit Obst, der auf der Straße
umkippt oder auf andere Weise seine Ladung verliert. Es ist verboten, das Obst
von der Straße aufzusammeln und mitzunehmen. Es wird entsorgt!
Vermutlich,
weil die Großkonzerne dann minimal weniger Umsatz machen würden, wenn die
Menschen, die es von der Straße nehmen an diesem Tag dann nicht mehr in den
Laden gehen, um es zu kaufen.
Im
Computerraum in der Maßnahme ist es verboten, zu essen und zu trinken! Gut, die
Krümel könnten in die Tastatur fliegen. Aber es ist auch nicht erlaubt, sich
fernab der Rechner an die Wand mit dem Rücken zum Raum zu stellen und
vorsichtig aus einer Flasche zu trinken. Auch im Abstand vorsichtig etwas zu
essen, was weder krümelt noch spritzt, ist verboten.
Hm,
das Verbot hat zwar einen Sinn, jedoch ist die Strenge, mit der der menschliche
Verstand außer Kraft gesetzt wird, übertrieben.
Das
Jobcenter bezahlt Fahrgeld, wenn die Maßnahme in einer anderen Stadt liegt. Diese
Busfahrkarten sind echt teuer. Allerdings werden grundsätzlich keine
Einzelfahrkarten bezahlt! Beim ersten Mal, vielleicht. Aber wenn man Montag
hinkommt, muss man eine Wochen- oder Monatskarte kaufen! Auch, wenn Donnerstag
+ Freitag Feiertage wären. Man kauft also eine Wochenkarte für zwei Tage. Diese
kostet 30Euro, während 2 Einzelfahrkarten weniger als die Hälfte kosten würden.
Aber mit Logik kommt man gegen diese festgelegten Regeln nicht an. Es sei denn,
man bezahlt die Einzelfahrkarten vom eigenen Geld und verzichtet auf die
Erstattung für die Wochenkarten. Aber welcher Harzt4 Empfänger macht das schon?
Heutzutage
muss alles beglaubig, bestätigt und abgesegnet werden! Ein ehrliches Wort
scheint nichts mehr wert zu sein. Naja, kein Wunder bei den vielen Lügen, die
diese Welt verunstalten. „Stolz und Ehre sind Werte aus alten Zeiten.“
Versursacht
einem stundenlanges Stehen Schmerzen, genügt es nicht, dies zu erklären. Nein,
diese Einschränkung muss von einem Arzt festgestellt und offiziell anerkannt
worden sein. Ist sie das nicht, darf der Abreitgeber einen zum Stehen zwingen,
und man muss sich fügen, weil alles andere Arbeitsverweigerung wäre. Oder?
„Vor
ca. zehn Jahren wurde ich in einem Pflichtpraktikum aus einer JoBB Einrichtung
in einer Großküche untergebracht. Eine dortige Regel lautete, dass um sechzehn
Uhr Feierabend war, für alle, und zwar genau dann, sobald eine Klingel ertönte.
Die Arbeit – nach dem Kochen aufräumen und saubermachen – war jedoch meistens
so schnell getan, dass es bereits um fünfzehn Uhr nichts mehr zu tun gab. Alles
war fertig. An meinem ersten Tag damals war ich ein wenig irritiert. Es war
fünfzehn Uhr und sämtliches Küchenpersonal hatte sich im Eingangsbereich der
Küche versammelt, um auf das Feierabends-Signal zu warten. Einige lehnten
gelangweilt an der Wand, weil es in der ganzen Küche nur einen Stuhl gab. Wenn
möglich habe ich ihn mir geschnappt. Sitzen machte es ein wenig erträglich, da
ich das Gefühl hatte, nach dem vorigen stundenlangen Stechen bräche mir bald
der Rücken durch. Anderenfalls musste ich es ertragen, gequält von einem Bein
aufs andere treten, mich vor und zurückbeugen, da das starre Stehen vorhandene
Schmerzen zusätzlich verstärkt. Während des Wartens fanden kaum Gespräche
statt. Alle warteten geduldig auf den Feierabend, den Blick starr auf die Uhr
gerichtet. Sobald die Klingel dann erklang stürmten sie nach draußen, wie
Sprinter nach einem Startschuss.“
Und
dies ist dort Standard. Eine Stunde Arbeits-/Lebenszeit nur rumstehen und
warten. Täglich. Und das nur, weil die Regeln es verlangen.
Sicher,
vertraglich festgelegte Arbeitszeiten werden bezahlt und es wäre wiederum auch
nicht richtig, würde man früher abhauen und trotzdem für die letzte Stunde das
Geld kassieren. „Aber, dass es so etwas gibt und dies so hingenommen und nichts
daran zum Wohle aller geändert wird ist für mich unbegreiflich. In einer Stunde
könnte man so viel schaffen! Einkaufen. Behördengänge. Aufräumen. Entspannen.
Ich persönlich würde gerne auf eine bezahlte Stunde Nichts-tun verzichten - das
würde der Firma Kosten sparen und mir sinnvoll nutzbare Zeit schenken.“
Zeit
ist Tamsin im allgemeinen wichtiger als Geld. Okay, ein gewisses Maß an Arbeit
ist nötig, um zu überleben, doch Tamsin würde gerne auf ein Auto oder einen
Vollzeitlohn verzichten, wenn sie dafür täglich ein wenig mehr Zeit für sich
hätte. Ein Job direkt vor der Haustür, eine Wohnung im Stadtzentrum… Möglich
wäre es. Aber auch für Tamsin?
Tamsins Motto ist: „Die
Zukunft ist jetzt. Wir leben in einer Zeit der Computer und der Technik, und
jeder sollte das Recht haben, diese Vorzüge auch zu nutzen! Niemand muss heute
noch ackern und sich bis zur Erschöpfung verausgaben, um zu überleben.“
Es sei, die Bürokratie
macht einem einen Strich durch die Rechnung. „Ja, ein wenig unfair kann sie
schon sein. Nehmen wir beispielsweise einen Menschen, der in Office und IT ein
Genie ist. Doch ein derartiger Beruf ist für ihn unerreichbar, weil Menschen
mit Hauptschulabschluss zu „minderwertig“ oftmals für diese Stellen sind.“
Tamsin überlegt ein Buch
zu schreiben, in dem es um eine Welt geht, in der nicht Bürokratie, sondern
Menschlichkeit Übermacht hat. Eine Geschichte, in der man zu allem nein sagen
kann und dies mit Verständnis akzeptiert wird. Von jedem. Evtl. die Lebensweise
des Mittelalters in der Moderne?
Ja so etwas scheint
naives Wunschdenken zu sein, aber es wäre sicher interessant, dieses Thema
weiter zu verfolgen. Man stelle sich vor, ein Arbeitsloser kommt zum Amt, ihm
wird gesagt, dass er auf einem Feld Kartoffeln ernten müsse. Er muss, und wenn
er sich weigert, wird er bestraft. Er ist jung und kräftig, und dieser Arbeit
gewachsen. Aber er möchte nicht. Nein, er möchte lieber kleine, feine
Porzellanpuppen bemalen. Dafür hat er jedoch nicht die nötige Ausbildung. Aber
er macht es gerne und er kann es, selbst wenn es kein Dokument gibt, dass dies
offiziell bestätigt. In einer fiktiven Geschichte wird sein Wunsch mit Freunden
akzeptiert, ebenso, dass er gerne um Mitternacht arbeitet. Wenn er es gerne tut
und verspricht, auch immer nach Feierabend die Türen abzuschließen und auf den
Schlüssel zu achten, sollte es kein Problem sein.
Nunja, die Sache könnte
auch einen Haken haben: Der Mann ist zufrieden, tut, was er gerne macht was und
sein Leben bereichert, doch es gibt niemandem, der auf dem Feld die Kartoffeln ernten möchte. Niemand ist mehr bereit
dafür, weil alle nur doch das tun, was sie am liebsten machen. Einzige Lösung:
Der Bauer zahlt den Arbeitern mehr Lohn und zwar so viel, dass es potentielle
Arbeiter motiviert, ihren alten Job dafür an den Nagel zu hängen. Was sie
jedoch nicht für immer müssen, da es sich hierbei um Saisonarbeit handelt.
In
dieser fiktiven Welt müssten Menschen natürlich auch nicht mehr zwingend von morgens
bis abends arbeiten. Es gibt so viele Arbeitslose, und es gibt Angestellte,
vielleicht gerne ein paar Stunden Arbeitszeit gegen freie Lebenszeit
eintauschen würden. Jeder müsste nur noch halb so lange arbeiten, weil die Zeit
mit anderen geteilt wird. Dafür gibt es letztlich mehr Angestellte!
Leider
würde dies auch weniger Lohn für den Einzelnen bedeuten. Der Arbeitgeber müsste
zwei Personen finden, die sie mit weniger abfinden, und wenn die Stelle dann
noch besonders hohe Ansprüche, wie Ausbildung oder einen tollen Schulabschluss
aufweist, wäre das schon müßig.
Einmal
hat Tamsin gelesen, dass dieses Konzept nur nicht möglich ist, weil mehr
Angestellte auch mehr Papierkram bedeutet. Arbeitgeber scheuen den damit
verbundenen Aufwand. Zudem hat Tamsin einen Fernsehbericht geschaut, in dem
gesagt wurde, dass die Anzahl psychisch Kranker Angestellter drastisch
gestiegen ist. Burnout, Stress seien die Hauptgründe.
Aber
vermutlich wird dieser Gedankengang sowieso auf ewig reine Fiktion bleiben. Von
morgens bis abends zu arbeiten ist in dieser Gesellschaft ein Standard, den
niemand zu hinterfragen wagt. Tut es jemand, wird er als faul abgestempelt. Aber
was bringt einem viel Geld, ein tolles Auto, coole Technik und die Erfüllung
aller Wünsche, wenn man Täglich nur drei Stunden hat, sich daran zu erfreuen,
sofern man diese Zeit überhaupt wirklich „Frei“ hat und sie nicht mit Pflichterledigungen;
Einkauf, Kochen, Warten beim Arzt oder Ämtern etc. verbringen muss oder man schlichtweg
zu müde ist?
Einmal
hatte Tamsin in einem Forum gefragt, was andere davon halten, wenn jemand nur
halbtags arbeiten möchte, weil ihm „Freizeit“ wichtiger ist; Zeit für Dinge,
die man sonst nur am Wochenende schafft. Selbstverständlich unter der
Voraussetzung, dass der geringere Lohn zum Leben reicht und man keine
Zusatzleistungen erhalten muss.
Tamsin
war geschockt, als plötzlich eine Welle von Beschimpfungen über sie hinwegrollte.
„Einige Menschen haben empört Reagiert, als hätte ich behauptet, gar nicht mehr
Arbeiten zu wollen. Nun, das wäre wiederum schon etwas langweilig. Andere
meinten, sie seien ebenfalls nicht glücklich, aber sie tun, was getan werden
muss, weil es einfach so ist.“ Vor langer Zeit hatte irgendjemand festgelegt,
dass acht Stunden die Maximale Arbeitszeit ist. Daraus hat sich ein Standard
entwickelt.
Es
gibt Menschen, die den ganzen Tag schuften und trotzdem nur sehr wenig
verdienen. Die machen freiwillig Überstunden und fallen anschließend erschöpft
ins Bett. „So etwas finde ich traurig. So etwas ist doch kein… Leben.“
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