Freitag, 14. April 2017

Ein unangenehmer Arztbesuch

Heute wurde Tamsin schon sehr früh von einem verdammt lauten Vogel geweckt. „Ich habe die Augen zugekniffen und mühsam versucht in den Schlaf zurückzufinden. Vergebens. Nach einer halben Stunde ist sie richtig wach. Plötzlich haut der Vogel ab. Doch nun kann Tamsin auch nicht mehr einschlafen.
Wenn Tamsin etwas tut, was sie gerne tut, ist es Clash of Clans mit Bekannten ihrer ehemaligen Maßnahme zu spielen.
Zudem war sie heute zum vierten Mal beim HNO. Ihre Ohren jucken, doch es ist nichts zu sehen. Tamsin hat nach einem Abstrich gefragt. „Aber nicht auf unsere Kosten!“, so der Arzt. Kann man das nicht freudnlicher sagen? Ihr war es unangenehm. Ja, das mit diesen Ärzten ist schon so eine Sache. Ist nichts zu sehen, ist auch keine Krankheit vorhanden.
Vielleicht ist dem aber wirklich so, vermutet Tamsin langsam. Wird Angst & Aufregung unterdrückt, verarbeitet der Körper diese auf andere Weise. So war es bei dem Ausschlag vor ihrer früheren Maßnahme. Tamsin kämpft gegen diese Gefühle, bezwingt sie sogar erfolgreich, wie sie glaubt, denn sie spürt keine Angst mehr, wenn sie in den Bus steigt. Alles, was sie stark beunruhigt und was sie sich einfach nicht schönreden kann, ist die zukünftige Vollzeitbeschäftigung. Alles, wofür sie zuvor scheinbar endlos Zeit hatte in weniger als zwei Stunden zu schaffen. Ist sie müde oder muss schlimmstenfalls noch früher los als derzeit, geht sie früher Schlafen und hat demnach noch weniger Zeit.

Später wollte sich Tamsin den Abend mit einem 3D Film versüßen. Dies tat sie in letzter Zeit selten, da sie diese oft langen Filme stets ohne Unterbrechungen schauen tut. Ihre Mom hat Spätschicht. Da sie beim Arzt dritter war – nur ein paar Minuten später, und die Schlange schlängelte sich wieder durchs ganze Treppenhaus -  brauchte sie dort nicht lange Warten.
Doch dieser Kinderfilm war ihr zu albern und die 3D Effekte zu schlicht. Zeitverschwendung. Also schaltetet sie aus und wechselt zu Desperate Housewives, ihrer Lieblinsgserie - seit über einem Jahrzehnt. Schon als Kind war Tamsin davon fasziniert. Sie würde es niemals zugeben, aber sie glaubt, dass Bree das Vorbild ihrer heute stark ausgeprägten Perfektion ist. Es gefiel ihr, wie schön Perfektion sein kann. Wenn alles sauber und ordentlich ist fühlt man sich doch gleich viel wohler. Tamsin wollte selbst werden, was sie so sehr faszinierte. Denn damals war sie das komplette Gegenteil. Ihr Kinderzimmer war eines der schmuddeligsten überhaupt! Überall lag Krempel. Der einst weiße Teppich war vor lauter Flecken nicht mehr zu erkennen. Und dann diese beschmierten, beklebten und teilweise abgerissenen Tapeten! Aufräumen war ein Fremdwort. Tamsin war und ist heute immer noch dankbar für diese Serie, von der sie glaubt, dass sie ihr Leben verändert hat. Auch wenn sie damals nicht wusste, dass üble Neurosen und Zwänge hinter dieser wahnhaften Perfektion steckten. „Hm, so lange man sich selbst wohlfühlt, sollte doch alles in Ordnung sein!?“

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