Heute wurde Tamsin schon sehr früh von
einem verdammt lauten Vogel geweckt. „Ich habe die Augen zugekniffen und mühsam
versucht in den Schlaf zurückzufinden. Vergebens. Nach einer halben Stunde ist
sie richtig wach. Plötzlich haut der Vogel ab. Doch nun kann Tamsin auch nicht
mehr einschlafen.
Wenn Tamsin etwas tut, was sie gerne
tut, ist es Clash of Clans mit Bekannten ihrer ehemaligen Maßnahme zu spielen.
Zudem war sie heute zum vierten Mal
beim HNO. Ihre Ohren jucken, doch es ist nichts zu sehen. Tamsin hat nach einem
Abstrich gefragt. „Aber nicht auf unsere Kosten!“, so der Arzt. Kann man das
nicht freudnlicher sagen? Ihr war es unangenehm. Ja, das mit diesen Ärzten ist
schon so eine Sache. Ist nichts zu sehen, ist auch keine Krankheit vorhanden.
Vielleicht
ist dem aber wirklich so, vermutet Tamsin langsam. Wird Angst & Aufregung unterdrückt,
verarbeitet der Körper diese auf andere Weise. So war es bei dem Ausschlag vor ihrer
früheren Maßnahme. Tamsin kämpft gegen diese Gefühle, bezwingt sie sogar
erfolgreich, wie sie glaubt, denn sie spürt keine Angst mehr, wenn sie in den
Bus steigt. Alles, was sie stark beunruhigt und was sie sich einfach nicht
schönreden kann, ist die zukünftige Vollzeitbeschäftigung. Alles, wofür sie zuvor
scheinbar endlos Zeit hatte in weniger als zwei Stunden zu schaffen. Ist sie
müde oder muss schlimmstenfalls noch früher los als derzeit, geht sie früher
Schlafen und hat demnach noch weniger Zeit.
Später
wollte sich Tamsin den Abend mit einem 3D Film versüßen. Dies tat sie in
letzter Zeit selten, da sie diese oft langen Filme stets ohne Unterbrechungen
schauen tut. Ihre Mom hat Spätschicht. Da sie beim Arzt dritter war – nur ein
paar Minuten später, und die Schlange schlängelte sich wieder durchs ganze
Treppenhaus - brauchte sie dort nicht
lange Warten.
Doch
dieser Kinderfilm war ihr zu albern und die 3D Effekte zu schlicht. Zeitverschwendung.
Also schaltetet sie aus und wechselt zu Desperate Housewives, ihrer
Lieblinsgserie - seit über einem Jahrzehnt. Schon als Kind war Tamsin davon
fasziniert. Sie würde es niemals zugeben, aber sie glaubt, dass Bree das
Vorbild ihrer heute stark ausgeprägten Perfektion ist. Es gefiel ihr, wie schön
Perfektion sein kann. Wenn alles sauber und ordentlich ist fühlt man sich doch
gleich viel wohler. Tamsin wollte selbst werden, was sie so sehr faszinierte.
Denn damals war sie das komplette Gegenteil. Ihr Kinderzimmer war eines der
schmuddeligsten überhaupt! Überall lag Krempel. Der einst weiße Teppich war vor
lauter Flecken nicht mehr zu erkennen. Und dann diese beschmierten, beklebten
und teilweise abgerissenen Tapeten! Aufräumen war ein Fremdwort. Tamsin war und
ist heute immer noch dankbar für diese Serie, von der sie glaubt, dass sie ihr
Leben verändert hat. Auch wenn sie damals nicht wusste, dass üble Neurosen und
Zwänge hinter dieser wahnhaften Perfektion steckten. „Hm, so lange man sich
selbst wohlfühlt, sollte doch alles in Ordnung sein!?“
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