Montag, 24. April 2017

Nichts ist, wie erwartet


Die Anlaufzeit ist vorbei und nun starte Tamsins Maßnahme mit vollem Programm. Naja, das erwartet sie zumindest. Sie fragte sich, ob zwischen den neuen Teilnehmern heute noch mehr bekannte Gesichter stecken. Ein besonders starker Gedanke hebt sich zwischen allen hervor: Tamsins Sitzplatz. Es gibt keine Namensschilder. Da die Busgruppe immer ein wenig später eintrifft, fürchtet Tamsin nun, dass ihr Platz vergeben sein könnte. Weggeschnappt. „Der große Tisch steht in einer Ecke. Es gibt jeweils einen Platz am Kopf des Tisches. Oben und unten. Doch nur vom unteren Platz aus kann man den gesamten Raum überblicken. Auf der linken Seite sitzen alle mit dem Rücken zur Tafel und zum Raum. Auf der Rechten hat man zwar Überblick, jedoch steht der Tisch dicht an der Wand, wodurch es so eng ist, dass man immer warten muss, bis alle aufgestanden sind, damit man rauskommt. Muss man plötzlich zur Toilette, wird es schwierig.“ Vollem für Tamsin mit ihren Ängsten. Daher ist Tamsins derzeitiger Platz perfekt. Man kommt leicht raus und sieht alles, ohne sich großartig verrenken zu müssen.
Dies ist nur eine Kleinigkeit. Tamsin wundert sich selbst, dass sie sich über derartige Banalitäten derartige Gedanken macht. „Ich kenne die Erfahrung, mit dem Rücken zur Tafel oder zur Gruppe zu sitzen, weil Tische und Plätze nicht intelligent aufgestellt sind.“ Vor Zehn Jahren saß sie während des Beruf-Schulunterrichts einmal zwei Stunden mit dem Rücken zum Lehrer. Damals waren ihre Ängste noch mächtiger, weshalb sie sich nicht getraut hat, sich umzusetzen. Hob sie den Kopf, blickte sie in die Gesichter der anderen Schüler, die ihr verächtliche Blicke zuwarfen.
Dies hasst Tamsin auch in Wartezimmern. „Egal, wo man hinguckt, ständig starrt man jemanden an, ohne es zu wollen.“
 
 
Später:
Nun, wie immer kommt alles anders als man denkt. Die neue Gruppe aus vier Leuten hat sich die besten Plätze genommen und mit Taschen „reserviert“, noch ehe Tamsins Gruppe eintraf. Danach mussten sie erstmal eine Schmöken. Sind fast alles Raucher. Typisch.
Ebenso gibt es kein gemeinsames Aufbrechen. Jeder hat andere Zeiten, und Tamsin hat mal wieder die längste.
Der Tag war allgemein recht eintönig. Während die Neuen abwechselnd ihre Einleitung erhielten, durfte der Rest an die Computer. Viele fanden es langweilig, weil sie nicht wussten, was sie gucken sollten. Tamsin hat sich derweil eine Menge über Phobien und Psychosen etc. durchgelesen. Dabei hat sie herausgefunden, dass dieses ständige Grübeln über dieselben Gedanken ebenfalls eine Art Zwang ist. Grübelzwang. Verbunden mit Sozialer Phobie und Depression… Ohje.
„Was für eine Zeitverschwendung.“, beklagt sich eine gelangweilte Teilnehmerin.
„Was macht die?“, vernahm Tamsin dann eine Stimme zwei Reihen hinter sich. Nun, diese Stimme war nicht neu; viele unterhielten sich zwischendurch. Doch als die junge Dame dann fortfuhr: „Die liest etwas über Depression oder so…“ wusste Tamsin, dass sie damit gemeint war. Leider konnte sie nicht heraushören, ob diese Feststellung abwertend gemeint war. Ihr war es auch egal. In diesen Momenten war ihr vieles egal, denn die Voll-Zeitumstellung nagt noch immer an ihren Nerven. Und dies entzieht sich ihrer Kontrolle.

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