Einsam

Ich bin alleine. Fühle mich alleine. Einsam. Verloren. Freunde gibt es keine. Hatte ich noch nie. In der Schule war ich immer der Mensch, der alleine mit gesenkten Kopf in der Ecke stand, niemand angesehen und Blickkontakt vermieden hat. Nur keine Aufmerksamkeit von denen bekommen, die einen verspotten, verhöhnen, auslachen, Müll rüberwerfen oder die Bleistifte klauen.

Was wahre Freundschaften sind und was die ausmacht, kenne ich nur aus dem Fernsehen. Habe es nie selbst erlebt.

Ich habe psychische Probleme. Ob das von dem Mobbing damals kam, das jahrelang andauerte und sogar noch in der Berufsschule noch mal ganz übel wurde, weiß ich nicht. Angststörung. Depression.

Der einzige Weg für mich neue Kontakte zu finden, ist das Internet. Dann schreiben es einfach. Jemanden schriftlich kennenzulernen ist einfacher, als auf jemanden zuzugehen und ihn anzusprechen, ins Gesicht zu sehen und nicht wissen was der von mir hält.
Anfangs habe ich es in Singlebörsen versucht. Jedenfalls in denen, wo man kein Geld bezahlen muss, um jemanden zurück schreiben zu dürfen. Vielleicht liegt es an der Oberflächlichkeit der Gesellschaft. Menschen werden nach ihren Bildern, nach ihrem Aussehen beurteilt. Wie sie wirklich sind, das interessiert auf den ersten Blick gar nicht. Mir kommt es so vor, als erwarten alle im Internet auf solchen Seiten ihren Traum Partner zu finden. Einen perfekten Menschen der genauso ist wie man ihn sich vorstellt und genauso toll aussieht.
Aber das ist nur ein Traum.
Und Träume werden nur selten wahr.

Aber auch das Kennenlernen durch den Computer hat einige Hürden. Zuerst einmal muss man eine Person finden, die überhaupt in der Nähe wohnt. Sofern man kein Auto besitzt. Und sich öfters sehen will. Wohnt man irgendwo auf den Dörfern, ist das nahezu unmöglich.

Dann muss die Person einen charakterlich gefallen. Sofern man nicht nur aufs Äußere achtet.

Und dann muss die Person auch noch selbst Interesse zeigen. Antworten. Und schreiben. Bei mir sind einige kennenlernen versuche nur dadurch gescheitert, dass die andere Person zu schreibfaul war, nur in einzelnen Wörtern geantwortet hat und diese Wörter manchmal sogar auch noch abgekürzt hat.
"WG?" Das heißt wohl: Wie gehts??!?!?
Meine Antwort darauf: "G."
Er dann: "Häää? Was heißt das????"
Gibt's da solche Menschen, die mehrmals am Tag fragen wie geht's, was machst du? Und ehrlich, wer hat Lust, sowas ständig zu beantworten?

Die zweite Hürde beim Kennenlernen sind die wahren Absichten. Mehr Menschen als man ahnt wollen in Wirklichkeit etwas ganz anderes, als sie zunächst behaupten. Sie sind zunächst nett und freundlich und versprechen einen das Glück der Welt. Bis sie dann nach einem Foto fragen. Und dann nach einem weiteren Foto . Und dann danach videoaufnahmen. Unbekleidet! Andere typische Fragen sind, ob man zu sehen will, was man gerade an hat,  ob man überhaupt gerade etwas an hat und ob man nicht vielleicht ein bisschen Lust auf ein bisschen Gefummel unter der Bettdecke... oder MEHR hätte.

Vor paar Jahren habe ich ne Person kennengelernt, die in erreichbarer Nähe wohnt. Don. Hätte gerne eine gute beste Freundin, aber ein Mann ist auch ok. Bei Männern stört mich nur, dass die ständig das Verlangen nach *** haben!
Er kommt aus der Psychiatrie. Im Gegensatz zu vielen anderen Internet Leuten konnte der sogar ganze Sätze schreiben und sogar mehrere hintereinander.
Anfangs war alles in Ordnung, allerdings fing auch er eines Tages an zufragen, ob ich ihn nicht doch ein bisschen mehr zeigen würde? Erst die Schulter. Dann den Träger des BHs. Dann immer mehr.
Natürlich tue ich so etwas nicht. Er hat stundenlang genervt und konnte an nichts anderes mehr denken.
Inzwischen hatte er sich wieder eingekriegt. Manchmal kam es dann wieder und vergingen wieder, dieses Verlangen nach nackter Haut.

Er ist verzweifelt und einsam und will eine Beziehung und unbedingt heiraten. Denn alle Frauen haben ihn bisher abgelehnt. Er hat Probleme, die er selbst nicht erkennt. Ist aufdringlich und hat starke Stimmungsschwankungen. Manchmal lügt er auch , selbst wenn ich diese Lüge beweisen kann streitet er sie ab, als würde er sie selbst glauben. Bei unserem ersten Treffen wurde er wütend, weil ich ihn nicht küssen wollte. Ich scheine seine einzige Hoffnung. Er lässt sich sogar die Haare lang wachsen, weil er weiß, dass ich sowas bei Männern mag.

 Ich bin ebenfalls verzweifelt. Ich will keinen Mann, der in jeder freien minute nur an das Eine denkt. Allerdings will ich auch nicht alleine sein. Ein Grund, weshalb ich den Kontakt nicht abbrechen kann.
 Wir streiten uns oft. Manchmal kriege ich sogar Angst vor ihm. Und doch denke ich oft komme dass er meine einzige Rettung ist, damit ich mein Leben nicht für immer alleine verbringen muss. Jemanden zu finden der ehrlich ist und mich wirklich so lieben kann wie ich bin, erscheint mir unmöglich.

Als wäre ich verflucht, das Leben im Leid zu verbringen.