Sonntag, 1. April 2018

Tamsin und die liebe Liebe

 
Gestern hat sie wieder mit Dave geschrieben. Er sagt er mag sie richtig gern. Er hat einen MiniJob und kann davon leben, während Don bei seiner Vollzeitstelle erst um 18 Uhr zuhause ist. Don schreibt ihr auch; er klagt über seine kalte Wohnung und hofft dadurch, Tamsins Mitleid zu erwecken, damit sie schnell mit ihm zusammenziehet und er nichtmehr frieren muss. Denn er findet angeblich keine andere Wohnung. „Er ist kindisch.“ Darum ignoriert sie ihn vorerst.

Tamsin weiß nicht so recht, was sie tun soll. Sie will Don nichts vormachen, kann aber auch nichts dafür, wenn er schon ans Heiraten denkt, obwohl sie ihm immer wieder sagt, das ihr das alles viel zu schnell geht. „Ich habe Dave gesagt, wo meine Maßnahme stattfindet.“ Er wohnt in der Nähe. Während sie sich freut, dass er sie so gernhat, steigt die Angst vor dem, was auf sie zukommt. „Was, wenn ich vor ihm stehe und kein einziges Wort herausbekomme? Was, wenn ich merke, dass er enttäuscht von mir sein wird? Wegen meines üppigen Leibes, meiner wenig fraulichen Stimme oder meiner Art? Im Chat kommen Menschen immer anders rüber, als sie in Wahrheit sind. Ebenso auf Fotos. Es ist erstaunlich, wie anders Menschen darauf aussehen können, wundert sie sich, da sie oft bei Facebook Bilder von anderen Kollegen sieht, die darauf aussehen wie Models aus der Zeitung. Obwohl sie es real und unbearbeitet durch Photoapps gar nicht sind! „Auf meinem Foto ist auch nicht zu erkennen, wie dick ich in Wahrheit bin.“  
Sie sagt ihm nichts davon, dass sie in einer WG wohnt, weil sie will, dass er sie als normalen Menschen kennenlernt, ohne Vorurteile.
Und Don verrät sie nichts, weil sie Angst hat, dass er ihre Adresse herausfindet und dann vor ihrer Tür steht. Kniend, mit Rosen und einem Verlobungsring.

Heute ist Ostersonntag. „Ein ganzer freier Tag nur für mich!“
Doch die Langeweile siegt.
Tamsin willigt ein, das ihre Eltern kommen. „Wir waren dann in Grömitz, Pizza essen. Leider hat dort der Inhaber gewechselt und die Pizza schmeckt hart und pappig. Und ist doppelt so teuer wie vorher. Daneben ist nun ein Sushiladen. Auch dies ist doppelt so teuer wie in Lübeck und schmeckt, naja, nur halb so gut.“ Schade. Oder gut. Denn der Gier nachzugeben und jedes Mal 10 Euro für 16 kleine Reisrollen hinzublättern ist schon Wucher! Gut, dass es dort nicht so gut schmeckt!

Abends schreibt sie wieder mit Dave über TV Sachen. Er schaut gerne viele Filme. Das ist gut. Er hat ebenfalls eine eigene TV Festplatte. Wie Tamsin. Und er mag gern Torte.
Mittlerweile ist es nicht mehr ihr Aussehen, sondern ihr seelischer Zustand, der Tamsin besorgt. In gewissen Situationen ist sie so nervös, dass sie kein einziges Wort herausbekommt. Mit den Kollegen zu quatschen ist für sie ein schwerer Akt. Nie weiß sie, was sie sagen soll. Wie soll es dann erst mit Dave werden?

Bei Don hat sie diese Sorge nicht. Bei ihm ist es ihr nicht so wichtig, was er von ihr hält. Klar mag sie ihn und es gibt wahrhaft schlimmere Kerle, wenn man Aufdringlichkeit und Charakter bedenkt. Aber bei ihm wüsste sie zumindest, dass er es ehrlich meint. „Aber ich will keinen Mann, bei dem ich sein und tun muss, was ich verachte, nur, damit er glücklich ist.“ Liebesfilme schauen mit Werbeunterbrechung im TV, seine modernen Möbel und Bilder in ihr Leben lassen und so viele Kompromisse schließen. „Daves Naturposter sind viel hübscher!“

Tamsin weiß, dass sie egoistisch ist. Jedoch hat sie in ihrem Leben schon so viel Unglück erfahren, dass sie nichts tun kann, was dieses abermals herausfordert. Sie kann keinen von beiden gestehen, dass sie bereits einen anderen hat. Nicht so lange sie nicht weiß, wie die Alternative wäre. Wenn es mit Dave nichts wird, geht sie zu Don. „Endlich gibt es Seelen in meinem Leben, die meine Gegenwarte erwünschen.“ Tamsin will nicht wieder alleine sein, niemandem zum Reden oder schreiben haben und die Antwort auf die Frage, in wie vielen Jahren wohl der nächste Mann in ihr Leben treten wird, verzweifelt herbeisehnen.

Sie will nicht alleine Altwerden.

Innerlich spürt sie, dass Don der Mann ihrer Zukunft sein wird. Er ist wie sie, ein bissen Wirr im Kopf. Ein Grund, weshalb er sie so akzeptieren kann, wie sie ist. Er hat selbst einen Therapeuten und kennt die Einsamkeit. Er will gar kein süßes geschminktes Püppchen an seiner Seite, so wie viele andere Männer.

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