Gestern
hat sie wieder mit Dave geschrieben. Er sagt er mag sie richtig gern. Er hat
einen MiniJob und kann davon leben, während Don bei seiner Vollzeitstelle erst
um 18 Uhr zuhause ist. Don schreibt ihr auch; er klagt über seine kalte Wohnung
und hofft dadurch, Tamsins Mitleid zu erwecken, damit sie schnell mit ihm zusammenziehet
und er nichtmehr frieren muss. Denn er findet angeblich keine andere Wohnung. „Er
ist kindisch.“ Darum ignoriert sie ihn vorerst.
Tamsin
weiß nicht so recht, was sie tun soll. Sie will Don nichts vormachen, kann aber
auch nichts dafür, wenn er schon ans Heiraten denkt, obwohl sie ihm immer
wieder sagt, das ihr das alles viel zu schnell geht. „Ich habe Dave gesagt, wo
meine Maßnahme stattfindet.“ Er wohnt in der Nähe. Während sie sich freut, dass
er sie so gernhat, steigt die Angst vor dem, was auf sie zukommt. „Was, wenn
ich vor ihm stehe und kein einziges Wort herausbekomme? Was, wenn ich merke,
dass er enttäuscht von mir sein wird? Wegen meines üppigen Leibes, meiner wenig
fraulichen Stimme oder meiner Art? Im Chat kommen Menschen immer anders rüber,
als sie in Wahrheit sind. Ebenso auf Fotos. Es ist erstaunlich, wie anders Menschen
darauf aussehen können, wundert sie sich, da sie oft bei Facebook Bilder von
anderen Kollegen sieht, die darauf aussehen wie Models aus der Zeitung. Obwohl
sie es real und unbearbeitet durch Photoapps gar nicht sind! „Auf meinem Foto
ist auch nicht zu erkennen, wie dick ich in Wahrheit bin.“
Sie
sagt ihm nichts davon, dass sie in einer WG wohnt, weil sie will, dass er sie
als normalen Menschen kennenlernt, ohne Vorurteile.
Und
Don verrät sie nichts, weil sie Angst hat, dass er ihre Adresse herausfindet
und dann vor ihrer Tür steht. Kniend, mit Rosen und einem Verlobungsring.
Heute
ist Ostersonntag. „Ein ganzer freier Tag nur für mich!“
Doch
die Langeweile siegt.
Tamsin
willigt ein, das ihre Eltern kommen. „Wir waren dann in Grömitz, Pizza essen.
Leider hat dort der Inhaber gewechselt und die Pizza schmeckt hart und pappig.
Und ist doppelt so teuer wie vorher. Daneben ist nun ein Sushiladen. Auch dies
ist doppelt so teuer wie in Lübeck und schmeckt, naja, nur halb so gut.“ Schade.
Oder gut. Denn der Gier nachzugeben und jedes Mal 10 Euro für 16 kleine
Reisrollen hinzublättern ist schon Wucher! Gut, dass es dort nicht so gut
schmeckt!
Abends
schreibt sie wieder mit Dave über TV Sachen. Er schaut gerne viele Filme. Das
ist gut. Er hat ebenfalls eine eigene TV Festplatte. Wie Tamsin. Und er mag
gern Torte.
Mittlerweile
ist es nicht mehr ihr Aussehen, sondern ihr seelischer Zustand, der Tamsin besorgt.
In gewissen Situationen ist sie so nervös, dass sie kein einziges Wort
herausbekommt. Mit den Kollegen zu quatschen ist für sie ein schwerer Akt. Nie
weiß sie, was sie sagen soll. Wie soll es dann erst mit Dave werden?
Bei
Don hat sie diese Sorge nicht. Bei ihm ist es ihr nicht so wichtig, was er von
ihr hält. Klar mag sie ihn und es gibt wahrhaft schlimmere Kerle, wenn man
Aufdringlichkeit und Charakter bedenkt. Aber bei ihm wüsste sie zumindest, dass
er es ehrlich meint. „Aber ich will keinen Mann, bei dem ich sein und tun muss,
was ich verachte, nur, damit er glücklich ist.“ Liebesfilme schauen mit
Werbeunterbrechung im TV, seine modernen Möbel und Bilder in ihr Leben lassen
und so viele Kompromisse schließen. „Daves Naturposter sind viel hübscher!“
Tamsin
weiß, dass sie egoistisch ist. Jedoch hat sie in ihrem Leben schon so viel
Unglück erfahren, dass sie nichts tun kann, was dieses abermals herausfordert. Sie
kann keinen von beiden gestehen, dass sie bereits einen anderen hat. Nicht so
lange sie nicht weiß, wie die Alternative wäre. Wenn es mit Dave nichts wird,
geht sie zu Don. „Endlich gibt es Seelen in meinem Leben, die meine Gegenwarte
erwünschen.“ Tamsin will nicht wieder alleine sein, niemandem zum Reden oder
schreiben haben und die Antwort auf die Frage, in wie vielen Jahren wohl der
nächste Mann in ihr Leben treten wird, verzweifelt herbeisehnen.
Sie
will nicht alleine Altwerden.
Innerlich
spürt sie, dass Don der Mann ihrer Zukunft sein wird. Er ist wie sie, ein
bissen Wirr im Kopf. Ein Grund, weshalb er sie so akzeptieren kann, wie sie
ist. Er hat selbst einen Therapeuten und kennt die Einsamkeit. Er will gar kein
süßes geschminktes Püppchen an seiner Seite, so wie viele andere Männer.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen