Tamsins
Mittwoch bei JOBB.
„Wie
üblich musste ich auch diesen Mittwoch wieder an die Kasse. Doch diesmal war
ich zusammen mit Kara dort. Sie ist nett und ihr macht es Spaß. Im Vergleich
zum gestrigen Tag war der Tag an der Kasse beinahe eine Erleichterung. Es war
zwar stressig, doch die seelischen Schmerzen sind nicht einmal ansatzweise so
niederschmetternd wie körperliche Schmerzen. Allmählich glaube ich, dass es
keinen Zweck hat, sich darüber zu beklagen, denn die Anleiter sagen sowieso
nur, ich solle mich daran gewöhnen. Oft denke ich darüber nach, einfach nicht
mehr in diese Maßnahme hinzugehen. Allerdings sind es nur noch zwei Monate, und
ich weiß nicht, ob es den Stress und den Ärger mit den Geld-Kürzungen, die es
mit sich bringt, wirklich wert ist. Allerdings fühle ich mich schon etwas
schikaniert und ich muss und will versuchen, mich nicht dazu bringen zu lassen,
meine eigenen Grenzen zu überschreiten, sodass es wieder wie 2007 wird. Bereits
heute habe ich, als ich um 15 Uhr rausgegangen bin, ohne länger abzuwarten, dass
Frau Ti uns gestattet Feierabend – wir warten immer so lange bis sie es
erlaubt; oft ist dies spätestens um 15 Uhr soweit -, Blasen an den Füßen. Heute
war ich wirklich lange auf den Beinen. Nach der Kasse waren wir noch im Wald
spazieren. Allerdings war dies nur eine kurze Runde, weil wir nur eine Stunde
Zeit hatten, ehe die nächste Pause und damit auch die nächste Runde an der
Kasse losging. Zuerst hieß es: die Gruppe würde bei diesem schönen Wetter zum
Strand fahren, um dort zu laufen, während ich und Kara die Kasse betreuen
sollen. Wie unfair! Darüber war ich schon entsetzt. Die anderen dürfen am
Strand spazieren und ich muss an der Kasse stehen. Doch so wurde es zum Glück
nicht. Wir bekamen nach dem Kassiervorgang sogar die letzten Reste des
Mittagessens umsonst. Pommes. Die schmecken dort wirklich gut. Im Anschluss, es
war kurz nach Mittag, wurden mir einige Übungen gezeigt, um meinen Rücken zu
stärken. Es waren sehr schwierige Übungen, bei denen sogar ich irritiert
darüber war, dass die Anleiterin, die sich eigentlich mit solchen Themen
auskennt, erwartet, dass ich solche Übungen wie Liegestütze ernsthaft schaffe.
Natürlich habe ich gesagt, dass ich damit Probleme habe… Danach sind wir mit
Kara noch rausgegangen und haben Ball gespielt. Wir haben uns den Ball übers
Netz zu geworfen und dann noch Federball gespielt. Obwohl es anstrengend war,
hat es auch Spaß gemacht. Nächste Woche habe ich einen vormittäglichen
Arzttermin. Frau Ti verlangt von mir, dass ich danach noch in die Maßnahme komme.
Selbst wenn ich erst um 13 Uhr da wäre. An diesem Tag ist die Putzfrau nicht im
Haus und ich habe das unbehagliche Gefühl, dass ich die Toiletten putzen muss,
weil dies ja sowieso eigentlich auf dem Plan steht. Die Teilzeit Leute, die
nicht an der Kasse oder im Hauswirtschaftsbereich eingeteilt sind, haben
wahrhaft Glück. Sie haben Spaß, können im Gruppenraum sitzen und sich
vergnügen. Und ich? Ich bin die Kostenlose Vertretung der Putzfrau, die alles
macht, was normalerweise als Ein-Euro-Job bezeichnet werden würde. Und im Bericht
wird es so niedergeschrieben, dass ich meine Aufgabe im Hauswirtschaftsbereich gut
bewältigt habe! Hm. Bevor ich etwas tue was ich noch nie getan habe, werde ich
mit meinen Betreuern darüber sprechen. Ich habe mich noch nie verweigert und
bin eigentlich nicht der Mensch, der Anweisungen missachtet und damit eine
Strafe riskiert, wie die Geld-Kürzungen beim Hartz 4. Gerade jetzt habe ich
wenig Ersparnisse zur Hand. Ich war wohl zu oft auf dem Flohmarkt. Und zu oft
bei McDonald’s. Ein Essen dort kostet so viel wie ein normaler Wocheneinkauf bei
Lidl. Ich brauche das Geld. Na ja ich muss wirklich darüber nachdenken, bevor
ich etwas Dummes tue – Wobei es ebenfalls dumm ist, mich wie ein treuer Hund
herumkommandieren zu lassen; trotz Schmerzen. Ich versuche es erst einmal mit
den Tabletten, die Verzweiflung bekämpfen sollen. Sie machen mich sehr müde, so
dass ich am Dienstag schon um 18 Uhr ins Bett fallen konnte. Aber wenn sie
dafür sorgen, dass mir nicht ständig die Tränen in die Augen steigen, dann ist
das gut. Obwohl ich es eigentlich nicht wollte, wurde ich um 15 Uhr von den
Eltern abgeholt, weil Mom nach Eutin zum Röntgen musste. Für mich war das Gute
daran, dass ich die guten Bratnudeln aus dieser Stadt verzehren konnte. Dort
schmecken sie am besten. Das andere Positive daran war, dass ich mich mit dem
Blasen an den Füßen nicht noch zur Bushaltestelle schleppen musste. Das
Schlechte daran war, sich erst um kurz vor 18 Uhr zu Hause war und nicht kochen
konnte. Wobei ich weiß, dass ich nach 16 Uhr sowieso nicht großartig etwas
gekocht hätte. Dafür wäre ich viel zu müde und ich einfach nur froh, endlich
Sitzen zu können. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich nun im Endspurt kurz
vor dem Ende der Maßnahme alle dunklen Pforten des Bösen noch einmal auftun und
sich mir JOBB mit seiner ganzen grauenhaften Härte präsentiert. Nie hätte ich
gedacht, dass ich einmal darüber nachdenken würde, darum zu bitten, wieder die
ganze Woche an die Kasse zu dürfen. Denn dann bräuchte ich nicht mehr mit
angehaltenem Atem den verkrusteten Urin von dem versifften Männer-Klo kratzen.
Die schlimmste Steigerung, die mir jetzt noch passieren würde, wäre, dass Frau Ti
sagt: >>Bei euch steht Vollzeit auf dem Plan, also müsst ihr jetzt auch
bis 16:30 Uhr bleiben. Dass ich immer früher gehen durftet, war ein Zeichen der
Nettigkeit und sowas ist kein Standard.<< Dann wäre ich um 5:15 Uhr zu
Hause und vermutlich so erschöpft, dass selbst ein schneller Nudel Becher mir
den Tag nicht mehr versüßen kann. Ich mag ja schwarze Klamotten, doch bisher
habe ich mich noch nie getraut meine PentagrammKette umzulegen. Ich habe Angst,
dass dort gesagt wird, ich solle sie ablegen - wegen der Bedeutung. Denn viele
kennen die genaue Bedeutung nicht. Ich wüsste da nicht, was ich tun sollte.
Dumm wie ich bin würde ich diesem Befehl wohl Folge leisten. Und damit wieder
ein Stück meiner Seele und meines freien Willens aufgeben. Naja, andererseits
wäre ich vielleicht auch froh, wenn Frau Ti mich wegen Arbeitsverweigerung
rauswirft. Dienstag hatte ich meine Tablette mit Milch eingenommen. Ich weiß
nicht ob sowas gut ist, aber letztlich wäre mir das auch egal, denn würde ich
vor Bauchweh nichtmehr gerade stehen können, müsste ich wenigstens nicht mehr auf den Beinen sein.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen