Mittwoch, 18. April 2018

Schmerz, Angst, Verzweiflung, Tränen, Sport

 
Tamsins Mittwoch bei JOBB.

„Wie üblich musste ich auch diesen Mittwoch wieder an die Kasse. Doch diesmal war ich zusammen mit Kara dort. Sie ist nett und ihr macht es Spaß. Im Vergleich zum gestrigen Tag war der Tag an der Kasse beinahe eine Erleichterung. Es war zwar stressig, doch die seelischen Schmerzen sind nicht einmal ansatzweise so niederschmetternd wie körperliche Schmerzen. Allmählich glaube ich, dass es keinen Zweck hat, sich darüber zu beklagen, denn die Anleiter sagen sowieso nur, ich solle mich daran gewöhnen. Oft denke ich darüber nach, einfach nicht mehr in diese Maßnahme hinzugehen. Allerdings sind es nur noch zwei Monate, und ich weiß nicht, ob es den Stress und den Ärger mit den Geld-Kürzungen, die es mit sich bringt, wirklich wert ist. Allerdings fühle ich mich schon etwas schikaniert und ich muss und will versuchen, mich nicht dazu bringen zu lassen, meine eigenen Grenzen zu überschreiten, sodass es wieder wie 2007 wird. Bereits heute habe ich, als ich um 15 Uhr rausgegangen bin, ohne länger abzuwarten, dass Frau Ti uns gestattet Feierabend – wir warten immer so lange bis sie es erlaubt; oft ist dies spätestens um 15 Uhr soweit -, Blasen an den Füßen. Heute war ich wirklich lange auf den Beinen. Nach der Kasse waren wir noch im Wald spazieren. Allerdings war dies nur eine kurze Runde, weil wir nur eine Stunde Zeit hatten, ehe die nächste Pause und damit auch die nächste Runde an der Kasse losging. Zuerst hieß es: die Gruppe würde bei diesem schönen Wetter zum Strand fahren, um dort zu laufen, während ich und Kara die Kasse betreuen sollen. Wie unfair! Darüber war ich schon entsetzt. Die anderen dürfen am Strand spazieren und ich muss an der Kasse stehen. Doch so wurde es zum Glück nicht. Wir bekamen nach dem Kassiervorgang sogar die letzten Reste des Mittagessens umsonst. Pommes. Die schmecken dort wirklich gut. Im Anschluss, es war kurz nach Mittag, wurden mir einige Übungen gezeigt, um meinen Rücken zu stärken. Es waren sehr schwierige Übungen, bei denen sogar ich irritiert darüber war, dass die Anleiterin, die sich eigentlich mit solchen Themen auskennt, erwartet, dass ich solche Übungen wie Liegestütze ernsthaft schaffe. Natürlich habe ich gesagt, dass ich damit Probleme habe… Danach sind wir mit Kara noch rausgegangen und haben Ball gespielt. Wir haben uns den Ball übers Netz zu geworfen und dann noch Federball gespielt. Obwohl es anstrengend war, hat es auch Spaß gemacht. Nächste Woche habe ich einen vormittäglichen Arzttermin. Frau Ti verlangt von mir, dass ich danach noch in die Maßnahme komme. Selbst wenn ich erst um 13 Uhr da wäre. An diesem Tag ist die Putzfrau nicht im Haus und ich habe das unbehagliche Gefühl, dass ich die Toiletten putzen muss, weil dies ja sowieso eigentlich auf dem Plan steht. Die Teilzeit Leute, die nicht an der Kasse oder im Hauswirtschaftsbereich eingeteilt sind, haben wahrhaft Glück. Sie haben Spaß, können im Gruppenraum sitzen und sich vergnügen. Und ich? Ich bin die Kostenlose Vertretung der Putzfrau, die alles macht, was normalerweise als Ein-Euro-Job bezeichnet werden würde. Und im Bericht wird es so niedergeschrieben, dass ich meine Aufgabe im Hauswirtschaftsbereich gut bewältigt habe! Hm. Bevor ich etwas tue was ich noch nie getan habe, werde ich mit meinen Betreuern darüber sprechen. Ich habe mich noch nie verweigert und bin eigentlich nicht der Mensch, der Anweisungen missachtet und damit eine Strafe riskiert, wie die Geld-Kürzungen beim Hartz 4. Gerade jetzt habe ich wenig Ersparnisse zur Hand. Ich war wohl zu oft auf dem Flohmarkt. Und zu oft bei McDonald’s. Ein Essen dort kostet so viel wie ein normaler Wocheneinkauf bei Lidl. Ich brauche das Geld. Na ja ich muss wirklich darüber nachdenken, bevor ich etwas Dummes tue – Wobei es ebenfalls dumm ist, mich wie ein treuer Hund herumkommandieren zu lassen; trotz Schmerzen. Ich versuche es erst einmal mit den Tabletten, die Verzweiflung bekämpfen sollen. Sie machen mich sehr müde, so dass ich am Dienstag schon um 18 Uhr ins Bett fallen konnte. Aber wenn sie dafür sorgen, dass mir nicht ständig die Tränen in die Augen steigen, dann ist das gut. Obwohl ich es eigentlich nicht wollte, wurde ich um 15 Uhr von den Eltern abgeholt, weil Mom nach Eutin zum Röntgen musste. Für mich war das Gute daran, dass ich die guten Bratnudeln aus dieser Stadt verzehren konnte. Dort schmecken sie am besten. Das andere Positive daran war, dass ich mich mit dem Blasen an den Füßen nicht noch zur Bushaltestelle schleppen musste. Das Schlechte daran war, sich erst um kurz vor 18 Uhr zu Hause war und nicht kochen konnte. Wobei ich weiß, dass ich nach 16 Uhr sowieso nicht großartig etwas gekocht hätte. Dafür wäre ich viel zu müde und ich einfach nur froh, endlich Sitzen zu können. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich nun im Endspurt kurz vor dem Ende der Maßnahme alle dunklen Pforten des Bösen noch einmal auftun und sich mir JOBB mit seiner ganzen grauenhaften Härte präsentiert. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal darüber nachdenken würde, darum zu bitten, wieder die ganze Woche an die Kasse zu dürfen. Denn dann bräuchte ich nicht mehr mit angehaltenem Atem den verkrusteten Urin von dem versifften Männer-Klo kratzen. Die schlimmste Steigerung, die mir jetzt noch passieren würde, wäre, dass Frau Ti sagt: >>Bei euch steht Vollzeit auf dem Plan, also müsst ihr jetzt auch bis 16:30 Uhr bleiben. Dass ich immer früher gehen durftet, war ein Zeichen der Nettigkeit und sowas ist kein Standard.<< Dann wäre ich um 5:15 Uhr zu Hause und vermutlich so erschöpft, dass selbst ein schneller Nudel Becher mir den Tag nicht mehr versüßen kann. Ich mag ja schwarze Klamotten, doch bisher habe ich mich noch nie getraut meine PentagrammKette umzulegen. Ich habe Angst, dass dort gesagt wird, ich solle sie ablegen - wegen der Bedeutung. Denn viele kennen die genaue Bedeutung nicht. Ich wüsste da nicht, was ich tun sollte. Dumm wie ich bin würde ich diesem Befehl wohl Folge leisten. Und damit wieder ein Stück meiner Seele und meines freien Willens aufgeben. Naja, andererseits wäre ich vielleicht auch froh, wenn Frau Ti mich wegen Arbeitsverweigerung rauswirft. Dienstag hatte ich meine Tablette mit Milch eingenommen. Ich weiß nicht ob sowas gut ist, aber letztlich wäre mir das auch egal, denn würde ich vor Bauchweh nichtmehr gerade stehen können, müsste ich wenigstens nicht mehr auf den Beinen sein.“

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