Donnerstag, 19. April 2018

„Ich bin keine Sklavin der Bürokratie!“

„Ich bin keine Sklavin der Bürokratie!“

Ich vermisse es, glücklich zu sein.

Gestern war Tamsin sehr früh ins Bett gegangen. Beinahe 10 Stunden hat sie durchgeschlafen. Abends war es noch etwas warm, aber außer Fernsehen hat sie nichts mehr geschafft, weil ihr die Füße wehtaten und sie keine Sekunde länger mehr stehen wollte/konnte. Sobald sie wach ist, beginnen die Grübeleien. „Ich muss etwas tun. Ich darf das nicht ertragen. Es darf nicht werden wie früher.“ Ist der Leidensdruck zu stark, wird sie etwas tun. „Ich bin keine Sklavin der Bürokratie!“
Heute ist Donnerstag. Doch anstatt mich aufs WE zu freuen, dominiert die Angst vor der nächsten Woche, in der alles wieder von vorne losgeht. „Es wäre dumm, einfach nichtmehr in die Maßnahme zu gehen und damit Ärger zu riskieren. Noch dümmer jedoch wäre es, jedes Leid stumm über mich ergehen zu lassen.“ Allein die Tatsache, dass die von ihr erwarten, dass sie ihre eigenen Grenzen und Vorsätze über Bord wirft und alles tut und glaubt was die sagen, macht Tamsin verdammt wütend!

„Ich trage heute seit langer Zeit mal wieder eine Kette.“ Wegen der Arbeitskleidung hatte Tamsin sonst keine Lust darauf. Nun ist April und es ist warm draußen. Windstill. Wird dies der Traumsommer, auf den sie so lange gewartet hat?

Wie dem auch sei, die Lage in ihrer Maßnahme spitzt sich zu. „In meinem Donnerstag morgendlichen Therapiegespräch wurde das Thema Schmerzen in den Füßen erläutert. Mir wurde geraten zum Orthopäden zu gehen, damit der dieses sonderbar schmerzhafte Phänomen einmal untersucht. Ich habe mir vorgenommen, dies auch zu tun. Sobald ich im Anschluss in meiner Maßnahme angekommen bin, habe ich Frau Ti von diesem Plan Berichtet. Immerhin tue ich etwas gegen das Problem Schmerz. Sie jedoch Tat meine Aussagen leichtfertig ab. Sie beharrt darauf, dass ich mich an Arbeit im Stehen gewöhnen müsse. >>4 Stunden lang zu stehen ist doch nicht viel. Nein das ist absolut nicht viel. Ich würde mich schon daran gewöhnen.<< Ich hingegen kenne meinen Körper und weiß aus Erfahrungen in der Vergangenheit, dass ich mich an so etwas nicht so einfach gewöhnen werde. Nicht einmal, wenn ich wollen würde. Dann meinte sie, damals 2007 habe ich mich nur nicht daran gewöhnt, weil ich es nicht wollte. Ich ließ mich dadurch jedoch nicht verunsichern und blieb standhaft in meiner Meinung und Entschlossenheit, keine unnötigen, vermeidbaren Schmerzen mehr zu ertragen. Irgendwann im Laufe des Gesprächs meinte sie, ich würde mir den Schmerz nur einbilden. Da kam ich mir vor als würde ich als verrückte bezeichnet werden. Das hat mich verletzt. Solche Aussagen verunsichern mich in jeder Hinsicht, sodass ich, wenn ich echt daran glaube, selbst irgendwann nicht mehr weiß, was ist real und was nicht? Natürlich weiß ich, dass ich mir Schmerzen nicht einbilde und sie nicht weggehen, nur, weil ich es nicht wollen würde. Dass sie mir helfen will, indem sie mich drängt meine Grenzen zu überschreiten, ist mir jedoch keine Hilfe. Ohne Motivation. Ohne jegliche Freude. In tiefer Verzweiflung habe ich dann gefragt, ob ich nicht lieber einen Tag mehr an die Kasse kann anstatt HWI. Denn sie meint, Kasse tut mir so gut, und ohne die Kasse wäre ich bis heute nicht fähig, ganze Sätze zu sprechen. Dickköpfig, wie sie ist, lässt sie keine andere Meinung zu. Ich dagegen weiß, dass es alles ganz anders ist. Aber was solls. Zu meinem Staunen hat sich der Tag dann aber doch noch zum Guten gewendet und ich konnte sogar einmal wieder lachen. Frau Xai, die neue Anleiterin, hat mit mir über einige Themen besprochen, die wir in Zukunft angehen werden. Es geht um Gesundheit und Ernährung. Wir wollen mit der Gruppe eine Zeitung schreiben. Allerdings bezweifle ich, dass daraus etwas wird – jedenfalls mit mir -, wenn Frau Ti mich nicht aus den anstrengenden Bereichen rauslässt, und bis auf Kara besteht die Gruppe aus Teilzeit Leuten. Hm. Ich habe der Frau meine Webseite gezeigt und sie wirkte begeistert von meinen Ideen. Dazu kamen wir, als sie meine selbstgebastelte Kette in Augenschein nahm und ich ihr davon erzählte. Da Kara nicht da war, hat sie mich zum Sport animiert und wir haben ein Spiel gespielt wo wir uns gegenseitig den Ball über ein Netz zu werfen und dabei Wörter sagen, aus denen längere Sätze gebildet worden. Dabei konnte ich meinen Frust vorerst vergessen. Danach hat sie mir noch gezeigt, wie man einen eigenen Roman veröffentlichen kann. Erst am Abend, als ich mit einem Stück Torte und Orangensaft vor dem Fernseher saß, kam die traurige Verzweiflung wieder hoch. Einerseits habe ich Angst davor verrückt zu werden und in einer Psychiatrie zu landen. Da gibt es bestimmt genauso viele Zwänge und unangenehme Dinge geben wie in meiner jetzigen Realität. Andererseits werden die mich dort bestimmt nicht zwingen über vier Stunden lang zu stehen und Schmerzen zu ertragen. Na ja bis auf den Schmerz von spritzen. Die mochte ich noch nie.“ Tamsin will nicht weinen. Sie mag es nicht, dass falls jemand an ihrer Tür klingelt, der dann die Tränen in ihren Augen sieht. „Irgendwie fühlt es sich aber auch gut an, zu weinen. Man fühlt sich danach erleichtert.“

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