Mittwoch. HWI. Putzen.
Obwohl Tamsin weiß, dass sie einen Putzfimmel hat
– Ich kann in meinem Refugium keinen Dreck sehen! Ich putze jeden Tag etwas. Es
macht mir daheim sogar Spaß. Bewegung. Dabei Musik hören. Anstrengung.
Ausruhen. – blickt Tamsin diesen Tag mit einer Mischung aus Freude und Panik
entgegen. „Ich habe echte Panik vor den Schmerzen und davor, zu sehen, wie die
anderen sich vergnügen und lernen, während ich wieder den langen Flur fegen und
wischen muss.“ Tamsin ist wertlos und wird ausgegrenzt, wie früher in der
Schule, weil sie eben nur die stumme Tamsin ist, die nichts kann und die allen
egal ist. >Stummelchen< wurde sie damals immer genannt.
Während Tamsin ihren Job eben macht, verdrängt
sie die Wirklichkeit gerne. Damals, JOBB 2007 hat sie in der Holzwerkstatt beim
Stillen vor sich hinarbeiten immer zu lachen angefangen zu lachen und niemand
kannte den Grund. So vertieft war sie in ihrer Gedankenwelt, dass die Gefühle
nach außen kamen.
Heute hat Tamsin Angst davor, sich in diesen
Traumwelten zu verlieren. „Man weiß, was getan werden muss und tut es ohne dass
es einem bewusst ist. Und plötzlich ist man fertig.“
Auch nachdem Tamsin sich unentwegt über ihr Unbehagen im HWI
Bereich geäußert hat, blieb ihr Klagen weiterhin ungehört. "Kurz nach
Ankunft haben wir noch Karten gespielt.", erinnert sich Tamsin. Immer,
wenn die Tür aufging und jemand den Raum betrat, klopfte ihr Herz einen Schlag
schneller, weil sie fürchtete, es sei die Putzfrau, die sie zur morgendlichen
Toilettenrunde abholt.
Aber die kam nicht. Tamsin
wundert sich. Ist erleichtert – bis das Spiel zu Ende ist und Frau Ti sie
prompt in den HWI Bereich schickt.
Gleichgültig und monoton
verrichtet Tamsin die Arbeit. "Wir haben gemeinsam angefangen, bis die
Putzfrau plötzlich ohne ein Wort zu sagen weggegangen ist." Aber Tamsin
wusste auch so, was das zu bedeuten hatte. Sie sollte die WCs alleine putzen.
Sie hätte Ärger bekommen, hätte sie dort eine Stunde auf die Putzfrau gewartet
oder wäre ebenfalls einfach weggegangen.
Ein bestimmtes Herrenklo
war zwar wieder bis unter den Rand vollgepiescht, aber so stark wie letzte
Woche hat es nicht gestunken, da der asoziale Benutzer diesmal gespült
hatte. "Ich wusste nicht, wieviel Stehen heute noch auf mich
zukommt." Tamsin hat jede freie, unbeobachtete Minute genutzt, sich zu
schonen. "Das Klo für Behinderte liegt in einer Nische. Ich habe geschaut,
ob ich im Flur alleine bin und mich dann kurz hingesetzt." Alleine zu
arbeiten ist gut. Niemand da, der Tamsin hetzt oder unter Druck setzt. Niemand,
vor dem sie ihre Tränen verbergen muss.
Damit fertig, setzt
Tamsin sich. Sie braucht eine Sitzpause. Die Putzfrau erklärt ihr noch einiges
über das Thema Wäsche.
"Danach habe ich den
Flur gefegt und wir haben die Handtücher zusammengelegt." Das konnte auch
im Sitzen getan werden." Die anderen aus der Gruppe sitzen im EDV Raum,
spielen Karten und gehen spazieren. So lange sie keine Schmerzen aushalten
muss, beklagt Tamsin sich nicht. Das wäre sowieso sinnlos. Kara bemerkt, dass Tamsin
betrübt ist. Frau Ti freut sich: "Du siehst heute schon wieder viel besser
aus!", meint sie stolz, da Tamsin nicht weint und das ist schließlich auch
wirklich eine Besserung.
„Vielleicht wollen sie
meinen Willen brechen, damit ich irgendwann alles tue, was die sagen. Mich in
irgendeinen Job stecken, den ich nicht mag, dem ich aber nachgehe, weil ich
keinen eigenen Willen habe.“ Tamsin hatte schon am frühen Morgen eine blaue
Tablette genommen – die soll die Verzweiflung vertreiben. Vielleicht hat die
wirklich geholfen. Erst als Tamsin nach dem Putzen – die Putzfrau freut sich, Feierabend
zu haben und die Teilzeitleute sind auch schon weg - quälen sich einigen Tränen
aus ihren Augen. "Ich sollte danach noch im Kiosk putzen."
Tamsin tut, was die Frau
verlangt ohne zu nörgeln. Ob sich nach deren Fortgang etwas bessert, steht in
den Sternen. "Andere Leute, die sich in der Maßnahme einsetzen und gerne
alle Aufgaben erledigen, werden gut behandelt. Ich habe das Gefühl, als würde
mich niemand mögen, nur, weil ich meinen Körper selbst einschätzen kann und
weiß, wozu ich fähig bin, wozu nicht - und was ich will, und was nicht! Ich kenne
meine Grenzen und will sie nicht überschreiten!" Aber zeigt man dies,
werden die Leute zickig.
Dabei will Tamsin doch
einfach nur etwas tun dürfen, was ihr Freude bereitet! "Ich muss alles tun
was andere wollen. Und wenn ich mal gar nichts tue, dann ist selbst das nicht
richtig." Tamsin fühlt sich ignoriert, wie eine Last in der Gruppe, von
der sie ausgeschlossen wird, wenn sie mit gesenktem Kopf an ihrem Platz sitzt,
lautlos weint und hofft, dass der Tag bald zu Ende ist. Niemand da, der ihr
helfen kann. Oder will. Niemand, der ihr etwas Gutes tun würde.
Öfters schaut Tamsin
weg, lässt den Kopf gesenkt, wenn einer der Anleiter vorbeigeht. Sie will keine
Aufmerksamkeit, die damit Endet, dass sie mal eben irgendeine unangenehme
Aufgabe erledigen soll. Sie fühlt sich wie in alten Zeiten, wo sie einfach nur
froh ist, alleine in einer dunklen Ecke sitzen zu dürfen, wo niemand sie
beachtet.
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