Mittwoch, 25. April 2018

In welche Mülltonne gehören eigentlich Diamanten?

 
Mittwoch. HWI. Putzen.
Obwohl Tamsin weiß, dass sie einen Putzfimmel hat – Ich kann in meinem Refugium keinen Dreck sehen! Ich putze jeden Tag etwas. Es macht mir daheim sogar Spaß. Bewegung. Dabei Musik hören. Anstrengung. Ausruhen. – blickt Tamsin diesen Tag mit einer Mischung aus Freude und Panik entgegen. „Ich habe echte Panik vor den Schmerzen und davor, zu sehen, wie die anderen sich vergnügen und lernen, während ich wieder den langen Flur fegen und wischen muss.“ Tamsin ist wertlos und wird ausgegrenzt, wie früher in der Schule, weil sie eben nur die stumme Tamsin ist, die nichts kann und die allen egal ist. >Stummelchen< wurde sie damals immer genannt.

Während Tamsin ihren Job eben macht, verdrängt sie die Wirklichkeit gerne. Damals, JOBB 2007 hat sie in der Holzwerkstatt beim Stillen vor sich hinarbeiten immer zu lachen angefangen zu lachen und niemand kannte den Grund. So vertieft war sie in ihrer Gedankenwelt, dass die Gefühle nach außen kamen.
Heute hat Tamsin Angst davor, sich in diesen Traumwelten zu verlieren. „Man weiß, was getan werden muss und tut es ohne dass es einem bewusst ist. Und plötzlich ist man fertig.“

Auch nachdem Tamsin sich unentwegt über ihr Unbehagen im HWI Bereich geäußert hat, blieb ihr Klagen weiterhin ungehört. "Kurz nach Ankunft haben wir noch Karten gespielt.", erinnert sich Tamsin. Immer, wenn die Tür aufging und jemand den Raum betrat, klopfte ihr Herz einen Schlag schneller, weil sie fürchtete, es sei die Putzfrau, die sie zur morgendlichen Toilettenrunde abholt.  
Aber die kam nicht. Tamsin wundert sich. Ist erleichtert – bis das Spiel zu Ende ist und Frau Ti sie prompt in den HWI Bereich schickt.  

Gleichgültig und monoton verrichtet Tamsin die Arbeit. "Wir haben gemeinsam angefangen, bis die Putzfrau plötzlich ohne ein Wort zu sagen weggegangen ist." Aber Tamsin wusste auch so, was das zu bedeuten hatte. Sie sollte die WCs alleine putzen. Sie hätte Ärger bekommen, hätte sie dort eine Stunde auf die Putzfrau gewartet oder wäre ebenfalls einfach weggegangen.  

Ein bestimmtes Herrenklo war zwar wieder bis unter den Rand vollgepiescht, aber so stark wie letzte Woche hat es nicht gestunken, da der asoziale Benutzer diesmal gespült hatte.  "Ich wusste nicht, wieviel Stehen heute noch auf mich zukommt." Tamsin hat jede freie, unbeobachtete Minute genutzt, sich zu schonen. "Das Klo für Behinderte liegt in einer Nische. Ich habe geschaut, ob ich im Flur alleine bin und mich dann kurz hingesetzt." Alleine zu arbeiten ist gut. Niemand da, der Tamsin hetzt oder unter Druck setzt. Niemand, vor dem sie ihre Tränen verbergen muss.  
Damit fertig, setzt Tamsin sich. Sie braucht eine Sitzpause. Die Putzfrau erklärt ihr noch einiges über das Thema Wäsche.


"Danach habe ich den Flur gefegt und wir haben die Handtücher zusammengelegt." Das konnte auch im Sitzen getan werden." Die anderen aus der Gruppe sitzen im EDV Raum, spielen Karten und gehen spazieren. So lange sie keine Schmerzen aushalten muss, beklagt Tamsin sich nicht. Das wäre sowieso sinnlos. Kara bemerkt, dass Tamsin betrübt ist. Frau Ti freut sich: "Du siehst heute schon wieder viel besser aus!", meint sie stolz, da Tamsin nicht weint und das ist schließlich auch wirklich eine Besserung.  

„Vielleicht wollen sie meinen Willen brechen, damit ich irgendwann alles tue, was die sagen. Mich in irgendeinen Job stecken, den ich nicht mag, dem ich aber nachgehe, weil ich keinen eigenen Willen habe.“ Tamsin hatte schon am frühen Morgen eine blaue Tablette genommen – die soll die Verzweiflung vertreiben. Vielleicht hat die wirklich geholfen. Erst als Tamsin nach dem Putzen – die Putzfrau freut sich, Feierabend zu haben und die Teilzeitleute sind auch schon weg - quälen sich einigen Tränen aus ihren Augen. "Ich sollte danach noch im Kiosk putzen."
Tamsin tut, was die Frau verlangt ohne zu nörgeln. Ob sich nach deren Fortgang etwas bessert, steht in den Sternen. "Andere Leute, die sich in der Maßnahme einsetzen und gerne alle Aufgaben erledigen, werden gut behandelt. Ich habe das Gefühl, als würde mich niemand mögen, nur, weil ich meinen Körper selbst einschätzen kann und weiß, wozu ich fähig bin, wozu nicht - und was ich will, und was nicht! Ich kenne meine Grenzen und will sie nicht überschreiten!" Aber zeigt man dies, werden die Leute zickig.  

Dabei will Tamsin doch einfach nur etwas tun dürfen, was ihr Freude bereitet! "Ich muss alles tun was andere wollen. Und wenn ich mal gar nichts tue, dann ist selbst das nicht richtig." Tamsin fühlt sich ignoriert, wie eine Last in der Gruppe, von der sie ausgeschlossen wird, wenn sie mit gesenktem Kopf an ihrem Platz sitzt, lautlos weint und hofft, dass der Tag bald zu Ende ist. Niemand da, der ihr helfen kann. Oder will. Niemand, der ihr etwas Gutes tun würde.  
Öfters schaut Tamsin weg, lässt den Kopf gesenkt, wenn einer der Anleiter vorbeigeht. Sie will keine Aufmerksamkeit, die damit Endet, dass sie mal eben irgendeine unangenehme Aufgabe erledigen soll. Sie fühlt sich wie in alten Zeiten, wo sie einfach nur froh ist, alleine in einer dunklen Ecke sitzen zu dürfen, wo niemand sie beachtet.     

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen