Montag, 8. Mai 2017

Tamsin beugt sich den Zwängen

Als Tamsins Bus heute früh ankam und sie noch 15 Min. auf den Anschlussbus warten musste, hat es geregnet. Naja, genieselt. Kurz nach dem Aussteigen überlegt Tamsin, ins überdachte Haltestellenhäuschen zu gehen, da vernimmt sie das unverkennbare Klicken eines Feuerzeuges. Ihre Kollegin, die dort ebenfalls wartet, steckt sich gerade eine Kippe an. Obwohl Tamsin zehn Meter entfernt stehe, schlug ihr der Rauch wie ein Faustschlag ins Gesicht. Ununterbrochen.
Nach einer Weile hört der Regen auf. Im spiegelnden Fenster des Busses, in dem der Fahrer gerade Frühstückt, beobachtet Tamsin die umstehenden Leute. Einige sind am Kiffen, so eifrig, als bereitet es ihnen große Freude, ihre Lungen zu malträtieren. Andere starren wie hypnotisierte Zombies auf ihre Smartphones. Kaum jemand sagt was.

Vergangenen Freitag wurde beschlossen, dass Tamsins Gruppe an ihrem Vollkorn-Plakat weiterarbeiten sollte. Heute, Montag, hieß es dann: Küche! „Tamsin, du gehst mit in die Küche!“ Es sind wenig Leute da und jemand muss das Essen machen!
Tamsin hatte einst vor ihrer starken Abneigung davon erzählt. Daher durfte sie in den Verkaufsbereich. Es war ja nicht so als ob die Jugendlichen ohne ihre Unterstützung hätten hungern müssen.  „Dafür muss ich dann morgen...“
Das Einräumen der Getränke in die Warenausgabe empfand Tamsin sogar als... angenehm. Aber vielleicht lag dieses Hochgefühl auch nur daran, der Küche entkommen zu sein!?
Das lange Stehen und zuschauen, wie der Kassiervorgang ablief, war schon anstrengender. Kurzerhand haben sich alle auf die Fensterbank gesetzt.
Danach sollte der Speisesaal saubergemacht werden. Da niemand Tamsin gesagt hat, was sie genau tun sollte und sie keine Motivation hatte – Ey, die wissen, dass diese Bereiche nichts für mich sind. Warum werde ich dennoch reingesteckt!? - überlegte sie kurz, ging dann auf Klo und als sie wiederkam, waren die Leute wieder wo anders. Egal. Trotzig setzt Tamsin sich in den Gruppenraum und wartet. Entspannt ihren Körper ein wenig.
Zwei Stunden wurde sich dann noch über diverse Verkaufs-Themen unterhalten. Tamsin hat keine Wahl, außer gelangweilt zuzuhören. Sie späht zu dem Plakat, wo am Anfang jeder Teilnehmer Wünsche und Ziele aufgeschrieben hatte. Motivation. Sinnvolle Nutzung der Zeit. Freude. Was ihr damals Hoffnung gab, erscheint ihr nun wie eine reine Lüge, denn nichts von dem trifft zu.

Außerdem spürt Tamsin, wie die Gleichgültigkeit an ihr nagt. Gerne ist sie hilfsbereit und bemüht, ihre Ängste zu bezwingen und mit den Menschen zu reden, doch all dies ist ihr plötzlich egal. „Ich will nicht, dass es so ist, aber ich kann es nicht kontrollieren.“
Da wieder nicht auf die Buszeiten geachtet wurde bzw. nicht gesagt wurde, wann die „Vollzeitler“ denn heute Schluss hätten – an der Tafel stand: Ende um 16:30 -, muss Tamsin den zweiten Bus an der entfetten Haltestelle nehmen. Tamsin war unzufrieden, da dieser Marsch Zeit kostet, wenn auch sie Zeit spart, da es letztlich dennoch zehn Minuten schneller geht, als würde sie in JOBB auf den nächsten „nahen“ Bus warten. Wie JOBB-Typisch erntete sie direkt wieder einen Standartspruch: „Du bist noch keine 80, du kannst laufen!“

Frustriert macht Tamsin sich auf den Weg. „In der alten Maßnahme wurde immer schon früh am Morgen nach den Bussen geschaut, damit jeder seinen rechtzeitig bekam. Hier wird irgendwann im Laufe des Nachmittags auf die Uhr geschaut und beschlossen, dass es für heute genug ist, und gefragt: wann kommt euer nächster Bus, wer weiß das?“ Und oft ist der dann vor wenigen Minuten abgefahren. Dem anderen Mädchen, dass mit ihr da ist, macht das alles nichts aus. Bietet an, bis zum Abend zu bleiben und dann noch den längeren Weg zu laufen. Naja, aber die sitzt ja auch nicht nur teilnahmslos und demotiviert daneben und muss anderen zuhören, so wie Tamsin.

Hier traut Tamsin sich nicht am frühen Morgen eine Auskunft nach der Feierabendzeit zu erbitten. Zum einen will sie nicht unhöflich wirken, wie so ein Faulpelz, der kaum, dass er da ist, schon nach Feierabend fragt. Zum anderen scheint diese Frage auch niemand wirklich beantworten zu können... wollen.
Ihre Eltern kommen ihr auf halben Wege entgegen. Es war schon spät, im Gebäude war kein Empfang, sodass Tamsin nicht erreichbar war und sie hatten sich Sorgen gemacht.
Tamsin hat keinen Hunger, zwingt sich aber einen Chickenburger rein. Morgen muss sie in die Küche. Sie überlegt sich hinzulegen. Schlafen... „Aber sobald ich einschlafe, ist morgen.“ Tränen brennen in ihren Augen. Wird sie den Großküchen je entkommen können? „Es ist wie ein Boomerang, der immer wieder zu mir zu zurückkommt, mich mit voller Härte trifft und mich damit jedes Mal ein Stücken tiefer in den Abgrund rammt.“
Vielleicht ist es Schicksal. Vielleicht soll es so sein. Vielleicht muss Tamsin diese „Prüfung“ durchstehen, bevor das angenehme Leben kommen kann?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen