Dienstag, 30. Mai 2017

Es sieht düster aus



Der Tag begann mit einem Gewitter. Tamsin liebt diese windstillen, düsteren Momente, in denen kräftiger Donnerschlag den Gesang einzelner Vögel übertönt.

Je mehr man sich etwas wünscht, desto weiter rückt es in die Ferne. Tamsin wünscht sich eine eigene Wohnung. Dies wäre die Voraussetzung, ein eigenes Leben anzufangen. Freunde zu finden. Einen Freund. In ihr kleines Zimmer kann sie niemanden einladen. Mittlerweile ist sie in Chats nicht mehr sonderlich aktiv. Zudem geht es mit dem Niveau dort immer weiter bergab. Und findet sie dort mal einen aus ihrer Nähe, ist es so ein Perverser mit irgendwelchen Fetischen. Tamsin hatte schon als Kind eine genaue Vorstellung von ihrem Traummann. Einen, der ein wenig düster aussieht. Abnormal ist, wie Tamsin. Einen, der gerne Nachts um den Friedhof spazieren geht.
Oft ist Tamsin oberflächlich, gibt sich nicht mehr weniger zufrieden, als mit dem aus ihrer Vorstellung. So ist es bei Möbeln. Aber sie weiß, dass sie nicht ihr ganzes Leben damit verbringen kann, auf einen Mann zu warten, der nur in ihrer Fantasie existiert. Je mehr sich es sich wünscht, desto mehr weichen die Kerle, die das Schicksal ihr zukommen lässt, von ihrer Vorstellung ab. Denn mit Gier allein erreicht man gar nichts.
Tamsin fürchtet sich davor, eines Tages einen typischen Standarttypen zu heiraten. Einen glatzköpfigen, lieben Kuschelbär mit Bierbauch, der gerne Sauerkraut und Schweinefleisch isst und auf kein Fußballspiel verzichten kann. Der anstatt Vampirfilme lieber GZSZ oder Sitcoms schaut, gerne auf Osterausstellungen geht und es lustig findet, den Kühlschrank mit Blümchenaufklebern zu verschönern.
Vor drei Jahren hat Tamsin einen im Chat kennengelernt. Er ist nett, romantisch, nicht oberflächlich. Er wohnt so weit weg, dass Tamsin immer geglaubt hat, genug Zeit zu haben eine Wohnung zu finden, bis der Zeitpunkt da ist, an dem er sie Besuchen kommt. Diese Chatfeundschaft zerbricht nicht an der Tatsache, dass Tamsin das treffen Monate/Jahrelang herauszögert. Allerdings sind bisher 3 Jahre vergangen! Tamsin hat oft mit ihm geschrieben, wenn auch nie sonderlich intensiv über diverse Themen. Sie hat ihm ein Foto gezeigt und er hat sie nicht blockiert. Tamsin hat keine Komplexe, wenn sie ihn im Videochat sieht, denn er ist nicht der Typ, bei dem  ihre Wangen rot anlaufen. Sie weiß nicht, ob er die Art Mann ist, die gerne den ganzen Tag mit einer Brieflache auf der Couch liegt und Sportsendungen schaut. Doch seine Denkweise gefällt ihr. Er ist nicht pervers, oder versaut. Hat gute Manieren. In diesem Jahr wollte er an die Ostsee kommen. Im Sommer. Tamsin wird sich noch einige Wohngruppen anschauen, da in ihrer Stadt kein Platz frei wird, doch angeblich wird es auch dort bis zum Herbst dauern. Und selbst wenn es früher geht. Wie soll sie einen Mann, der von ihr nur das beste denkt, erklären, dass sie Wohnungslos ist? In das kleine Zimmer, dass sie bekommen würde kann sie doch keinen Besuch empfangen, denkt sie beschämt. Das macht sie traurig. Vielleicht wird auch er irgendwann weg sein. Irgendwann, wenn Tamsin frei und bereit für das wahre leben ist... „Hmmmm....“

Tamsin sucht nach einer neuen Handytasche. Am Preis scheitert es nicht. Doch die Auswahl ist gleichzeitig riesig und gering. Bei Amazon gibt es so viele, in so vielen Farben von so vielen verschiedenen, billigen Anbietern... Nur für Tamsin ist nichts dabei. „Die Motive sind voll öde! Schmetterlinge, Blumen, Herzen. Überall. Das ist so typisch Mainstream.“  Tamsin sucht etwas besonderes... mit Augen. Oder Vampiren. Oder Zähnen. Oder Monstern. Mürrisch beäugt sie eine mit Babykatzen drauf. Dann wäre da noch eine Goldene. Mit  Schmetterlingen. Und eine Rote. Mit Schmetterlingen! „Verflucht seien diese elenden Schmetterlinge!“ Tamsin überlegt. Einfarbig, oder mit  Schmetterlingen? Oder ein paar banale Streifen!?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen