Samstag, 17. Juni 2017

Gefühlswelten



Vor einiger Zeit hat Tamsin in einer Flohmarkthalle einen alten Schrank gesehen. Derzeit besitzt sie Zwei, die mit ihren Gewändern gefüllt sind. „Aber wenn ich mal ausziehe, will ich keine zwei Schränke mitschleppen.“ Und in einen allein würde nicht alles hineinpassen.
Zudem braucht sie ein Bett. Daher durchforstet sie alle möglichen Flohmarkthallen. Auch die weiter entfernten.
Als stimme das Schicksal ihr zu, ist der Schrank von damals immer noch da. Er ist hübsch. Mit spitz zulaufendem Bogen und Intarsien an der Tür. Geld hat Tamsin nicht genug. Noch immer wartet sie auf die Rückzahlung ihres Laptops. Aber sie kann anzahlen. Dabei ist der Schrank letztlich sogar günstiger, als so ein Billigteil aus hässlichen Spanplatten im Möbelladen. Die Lieferung ist kostenlos. Yeah! Ebenso wie das Gemecker ihres Dads, dass auf der Rücktour auf Tamsin einschlägt. „Tamsin hätte ihn nicht nehmen sollen. Er ist zu groß. Und teuer. Und wohin soll der überhaupt? In dem „Scheiß Heim“, in das sie kommt, wird auch kein Platz für alles sein, und eine etwas größere Wohnung wird Tamsin auch niemals bekommen...“
Auch ihre Mom hat versucht, es ihr auszureden. Ihr den freien Willen abzunehmen und ihn durch ihren Eigenen zu ersetzen.
Tamsin starrt auf ihr Handy. Sie ignoriert die Gefühle; die Wut darüber, dass ihre Eltern auf sie sauer sind, weil Tamsin mit siebenundzwanzig Jahren ihren eigenen Willen durchgesetzt hat. Sie ignoriert die Angst, dass sie vielleicht Recht haben könnten. Darin ist sie gut. „In so einer Welt ist für Gefühle keinen Platz.“ Würde Tamsin sie zulassen, wäre sie ununterbrochen nur am heulen.
Tamsin fühlt selten Liebe, Mitleid. Freude, ja, aber nur für sich selbst. Trauer, auch – Trauer um eine verlorene Vergangenheit. „Während andere in die Welt hinauszogen, das freie Leben und die Liebe entdeckten, saß ich in meinem Zimmer.“ Bis heute. Unfähig, den Ängsten zu trotzen.

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