Donnerstag, 22. Juni 2017

Auch das Internet ist nicht mehr das, was es mal war

Zwänge und Zwangsmaßnahmen

Genervt gibt Tamsin ihr Passwort ein. Login. Dabei hatte sie ihr Passwort doch gespeichert. Hier, in diesem wertlosen Onlinechat. Seit kurzer Zeit gibt es hier und auch auf einigen anderen Webseiten keine dauerhafte Passwortspeicherung mehr. Nach ungefähr drei Wochen Abwesenheit – kein Login – werden sie einfach gelöscht. „Halten die Webmaster ihre Nutzer nicht für fähig, auf ihre Accounts aufzupassen?“, fragt Tamsin sich, die hinter dieser Zwangssicherheit einfach keinen Sinn finden kann. Sicher gibt es dumme Nutzer, die auf Fakeseiten reinfallen. Aber die verlieren ihre Accounts dann sofort und nicht erst in drei Wochen.
Klar gibt es auch Trottel, die ihren Computer verkaufen, ohne die Daten zu löschen. Aber dann ist es immer noch deren eigene Schuld, dass sie ihren wertlosen Account in diesem Chat verlieren – sofern der wirklich jemandem interessiert. Ja, aber es ist möglich. „Und um diese Trottel zu schützen, wurde beschlossen, direkt alle mit Zwangssicherheit zu bestrafen!?“
 Wohin soll das führen? Darf man sein Passwort bald nicht einmal mehr am eigenen Computer eingeben, weil ja die geringe Wahrscheinlichkeit bestehen kann, dass er virenversucht sein könnte?
Es soll der Sicherheit dienen. Stattdessen verleitet es zum Leichtsinn. Um sich ständiges Nachgucken und Suchen a la „Äh, welches Passwort hatte dieser Nick noch gleich...“ zu sparen, hat Tamsin nun bei allen Chat-Accounts dasselbe Passwort eingestellt. Bei trojanischem Virenbefall spielt dies letztlich keine Rolle. Echte Hacker gibt es in diesem Chat nicht. Was sollten die auch klauen? Ein paar pixelige, virtuelle Items?

Sicherheit ist im Grunde gut. Besonders auf Shoppingseiten. Aber sobald sich daraus Zwänge entwickeln, denen jeder sich fügen muss, vor allem auf albernen Chatseiten, ist sie einfach nur lästig.


Der Niedergang der Chats

Tamsin war im Chat unterwegs. Nicht um zu chatten – ihr letztes Gespräch weiß sie immer noch auswendig, das genügt -, sondern einfach nur um zu gucken, wie es sich verändert hat.
Inzwischen scheinen auch die schnöden Höflichkeitsformen der Vergangenheit anzugehören. Nun, dieses „Wie geht's dir? Was machst du?...“ war keine große Bereicherung und im Vergleich zu früher eher langweilig, als höflich.
Wenn man jedoch die heutigen Anreden durchliest, könnte man sie beinahe vermissen. Selbst, wenn sie oft nur dazu genutzt wurden, die Aufmerksamkeit zu bekommen, damit die Person das, was danach kommt auch wirklich beachtet.
Heute gibt es kein langes Drumherum mehr. Tamsin war ca. 10 Minuten online, und es fällt auf, dass gar nicht mehr so viele mit „Wie geht's dir? Was machst du? anfangen, sondern es direkt auf den Punkt bringen.

Die häufigsten Direktanfragen in diesem Moment waren:
>Zeigst du was du hast?
>bist du zufällig gerade alleine im Bett?
>Nimmst du die Pille ? ?
>Lust auf ***?

Mit lockerem Geplauder von vor über 10 Jahren hat dies nicht mehr viel zu tun. „Es wird immer schwieriger, jemanden zu finden, der nicht nur über das eine reden will.“

Die zweinervigsten Fragen waren:
>Bist du Single?
>wie lange schon?
>warum? Und willst du das ändern?

„Nicht unbedingt die Fragen sind das lästige, sondern eher die Tatsache, dass man dies von mehreren Leuten gleichzeitig gefragt wird. Immer wieder.“

„Anstatt mit Buchstaben, kann man’s auch einfach mit Pixeln sagen.“ Mit teuren Pixelgrafiken…

Kommerz & Geldgier haben sich im Netz zur echten Plage entwickelt. „Ich hasse Webseiten/Chats, bei denen man nach jedem Klick erst einmal zur Kasse gebeten wird.“ Will man einem anderen Chatter ein Lächeln schenken, welches als kleines, ins Fenster herbeifliegendes Pixelbild dargestellt wird, heißt es: „Um dieses Feature zu nutzen, benötigst du einen Smiley > Jetzt kaufen! Nur 4,99.“
Schlimmer ist es, wenn man für Privatnachrichten zahlen soll. „Wie verzweifelt kann man sein!? Es ist beinahe traurig, dass es Menschen gibt, die so etwas machen.“

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