Zwänge
und Zwangsmaßnahmen
Genervt
gibt Tamsin ihr Passwort ein. Login. Dabei hatte sie ihr Passwort doch
gespeichert. Hier, in diesem wertlosen Onlinechat. Seit kurzer Zeit gibt es
hier und auch auf einigen anderen Webseiten keine dauerhafte
Passwortspeicherung mehr. Nach ungefähr drei Wochen Abwesenheit – kein Login –
werden sie einfach gelöscht. „Halten die Webmaster ihre Nutzer nicht für fähig,
auf ihre Accounts aufzupassen?“, fragt Tamsin sich, die hinter dieser
Zwangssicherheit einfach keinen Sinn finden kann. Sicher gibt es dumme Nutzer,
die auf Fakeseiten reinfallen. Aber die verlieren ihre Accounts dann sofort und
nicht erst in drei Wochen.
Klar
gibt es auch Trottel, die ihren Computer verkaufen, ohne die Daten zu löschen.
Aber dann ist es immer noch deren eigene Schuld, dass sie ihren wertlosen
Account in diesem Chat verlieren – sofern der wirklich jemandem interessiert.
Ja, aber es ist möglich. „Und um diese Trottel zu schützen, wurde beschlossen,
direkt alle mit Zwangssicherheit zu bestrafen!?“
Wohin soll das führen? Darf man sein Passwort
bald nicht einmal mehr am eigenen Computer eingeben, weil ja die geringe
Wahrscheinlichkeit bestehen kann, dass er virenversucht sein könnte?
Es
soll der Sicherheit dienen. Stattdessen verleitet es zum Leichtsinn. Um sich
ständiges Nachgucken und Suchen a la „Äh, welches Passwort hatte dieser Nick
noch gleich...“ zu sparen, hat Tamsin nun bei allen Chat-Accounts dasselbe
Passwort eingestellt. Bei trojanischem Virenbefall spielt dies letztlich keine
Rolle. Echte Hacker gibt es in diesem Chat nicht. Was sollten die auch klauen?
Ein paar pixelige, virtuelle Items?
Sicherheit
ist im Grunde gut. Besonders auf Shoppingseiten. Aber sobald sich daraus Zwänge
entwickeln, denen jeder sich fügen muss, vor allem auf albernen Chatseiten, ist
sie einfach nur lästig.
Der
Niedergang der Chats
Tamsin
war im Chat unterwegs. Nicht um zu chatten – ihr letztes Gespräch weiß sie
immer noch auswendig, das genügt -, sondern einfach nur um zu gucken, wie es
sich verändert hat.
Inzwischen
scheinen auch die schnöden Höflichkeitsformen der Vergangenheit anzugehören.
Nun, dieses „Wie geht's dir? Was machst du?...“ war keine große Bereicherung
und im Vergleich zu früher eher langweilig, als höflich.
Wenn
man jedoch die heutigen Anreden durchliest, könnte man sie beinahe vermissen.
Selbst, wenn sie oft nur dazu genutzt wurden, die Aufmerksamkeit zu bekommen,
damit die Person das, was danach kommt auch wirklich beachtet.
Heute
gibt es kein langes Drumherum mehr. Tamsin war ca. 10 Minuten online, und es
fällt auf, dass gar nicht mehr so viele mit „Wie geht's dir? Was machst du?
anfangen, sondern es direkt auf den Punkt bringen.
Die
häufigsten Direktanfragen in diesem Moment waren:
>Zeigst
du was du hast?
>bist
du zufällig gerade alleine im Bett?
>Nimmst
du die Pille ? ?
>Lust
auf ***?
Mit
lockerem Geplauder von vor über 10 Jahren hat dies nicht mehr viel zu tun. „Es
wird immer schwieriger, jemanden zu finden, der nicht nur über das eine reden will.“
Die
zweinervigsten Fragen waren:
>Bist
du Single?
>wie
lange schon?
>warum?
Und willst du das ändern?
„Nicht
unbedingt die Fragen sind das lästige, sondern eher die Tatsache, dass man dies
von mehreren Leuten gleichzeitig gefragt wird. Immer wieder.“
„Anstatt
mit Buchstaben, kann man’s auch einfach mit Pixeln sagen.“ Mit teuren
Pixelgrafiken…
Kommerz
& Geldgier haben sich im Netz zur echten Plage entwickelt. „Ich hasse
Webseiten/Chats, bei denen man nach jedem Klick erst einmal zur Kasse gebeten
wird.“ Will man einem anderen Chatter ein Lächeln schenken, welches als
kleines, ins Fenster herbeifliegendes Pixelbild dargestellt wird, heißt es: „Um
dieses Feature zu nutzen, benötigst du einen Smiley > Jetzt kaufen! Nur
4,99.“
Schlimmer
ist es, wenn man für Privatnachrichten zahlen soll. „Wie verzweifelt kann man
sein!? Es ist beinahe traurig, dass es Menschen gibt, die so etwas machen.“
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