Donnerstag, 8. Juni 2017

Besichtigung der Wohngruppe III



Bei dieser Besichtigung, die sogleich ihre letzte werden sollte, wurde  Tamsin von zwei sympathischen Frauen empfangen. Im Vergleich zu den ernsten Männern aus den vorigen Häusern kamen ihr diese richtig nett vor. Das Haus liegt ebenfalls nahe einer Innenstadt, und schon nach kurzer Zeit fühlt Tamsin sich dort wohl. Die Regeln sind nicht so streng und jeder hat sein eigenes Bad. Auch die Sorge um das Essen verfliegt rasch, da jeder für sich selbst Kocht. Außer an einem Tag.

Später ärgert  Tamsin sich. Sie hat viele Fragen vergessen zu stellen und sich nur auf das wichtige konzentriert. Darf man im Zimmer essen? Darf man dort seinen Kaffee kochen, oder muss man bis zur Frühstückszeit mit allem warten – einer Zeit, in der  Tamsin früher normalerweise Mittag gegessen hat, weil der Hunger einfach zu stark war.
Grübeleien entfachen neue Ängste. Auch wenn es dort vielleicht weniger Pflichten gibt als wo anders, Tamsin graust es davor, zu Dingen gezwungen zu werden, die sie nicht leiden kann oder die ihr Schmerzen verursachen. Und immer weiter machen zu müssen. Koste es was es wolle. Die Aufgabe muss erledigt werden! Tamsin wünscht sich frei zu sein. Zu tun, was sie will, wann sie will. „Werde ich vielleicht nur von einem Gefängnis ins Nächste wandern?“
Aber was hat sie schon für eine Wahl? Es kann sicher nicht schlimmer sein, als hier in diesem Dorf in Abhängigkeit der Eltern auszuharren.

Tamsin hat dem Wunsch der Leiterin ihrer Maßnahme nachgegeben und ihr einen Teil ihres Romans ausgehändigt. Diese war begeistert. Wollte mehr davon lesen. Tamsin freut sich, dass sie endlich so weit ist, etwas zu schreiben, dass andere verstehen, einen Sinn ergibt und gefällt. Inzwischen hat Tamsin kapiert, dass sie vom Schreiben wohl nie leben können wird. Aber selbst wenn es nur ganz wenig Geld dafür gibt, das eigene Buch in Händen zu halten ist schon Lohn genug!

Wie auch vorige Nacht lässt ein Mückenstick an der Hand sie kaum schlafen. Es juckt! Grade an einer Stelle unterm Finger, man man immer gegen kommt und wo kein Pflaster halten würde.

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