Auf den heutigen Ausflug in den Wildpark
hatte Tamsin sich gefreut. Das Wetter war ok. In ihrer dickeren Jacke hat sie
kaum geschwitzt. Der Rundgang durch den Wald war jedoch so klein, dass sie
gleich mehrmals rumgehangen sind. Ihre Kollegen, die immer modern gekleidet und
geschminkt sind, würden Tamsin gerne irgendwann mal umstylen. Tamsin hat nichts dagegen. Auch wenn diese Idee daher
rührt, dass Tamsins schlichtes, nicht sehr ansehnliches Äußeres auffällt, freut
sie sich über das Angebot.
Bis, abgesehen von den Augenschmerzen,
eine spätere Kundgebung ihre Freunde zurück in den Keller stößt.
Ab morgen geht es eine Stunde früher los.
Noch sind Ferien, der Schulbus sollte nicht extrem überfüllt sein.
Wahrscheinlich gibt es keinen Anschlussbus. Noch ist es… warm. Den Weg zu Fuß
zurückzulegen sollte das geringste Problem sein.
Viele der anderen fahren Auto. Tamsin
könnte das auch, wenn es denn möglich wäre. Geld könnte sie sparen… Vielleicht
hätte sie längst eins, würde ihr Dad ihr das Fahren alleine zutrauen.
Den ganzen Tag unterwegs sein und erst
abends Mittagessen… Vielleicht kann man sich daran gewöhnen. Aber 2 Stunden
zusätzlich zu der Arbeit nur an den Bus zu vergeuden, wo die Fahrt mit dem Auto
insgesamt nur 20 Minuten bräuchte, ist schon hart.
Das ist, was Tamsin erschüttert. „Wie soll
ich es durchstehen?“, fragte sie sich und kämpft dabei gegen eine Welle von
Gleichgültigkeit an, die über sie hinwegbrandet. „Ich hasse diese immer wieder plötzlich
auftauchende, unkontrollierbare Hoffnungslosigkeit. Ich hasse Momente, in denen
ich mein Leben hasse und an allem zweifeln muss.“
Sicher, sie wird es schaffen. Das hat sie
bisher immer. Es ist wie eine Prüfung, die mit jedem Tag härter wird. Und
Tamsin hat Angst vor dem, was diese aus ihr macht. Was auch immer das sein mag.
Die anderen opfern Energie damit, zu
überlegen, welche Haarfarbe Tamsin gutstehen könnte. Tamsin fragt sich: „Welche
Rolle spielt das schon?“ Ob braun, rot oder blau. Ob sie sich hübsch macht oder
nicht. Es würde letztlich gar nichts ändern. Sie wäre immer noch Tamsin.
Die Sache mit dem Auge, die erst den
Zähnen und dann den Ohren folgte, hatte Tamsin nachdenklich gestimmt. Gesunde
Ernährung kann so vieles verändern… verbessern. Nachdem sie sich heute von
ihrem Dad hat abholen lassen, weil sie keine Lust hatte, 30 Min. auf den Bus zu
warten, gab es Pommes und einen halben Döner. Tamsin wollte derartiges
eigentlich vermeiden. Wollte gesünder leben. „Was solls.“
Gerade ist es ein Abend, an dem sie seit
Monaten wieder mit Unbehagen an ihre Maßnahme denkt. Auch wegen ihres
Augenleidens. Morgen stehen Bewerbungen Schreiben auf dem Plan. Praktikums
suchen. "Mein Auge schmerzt." Alle sollen sich im Internet einen
Platz suchen. Dabei sind auf solchen Seiten bestenfalls Plätze in Großstädten
eingetragen. "Wenn ich auf dem Bildschirm lesen, schmerzt es
besonders." In ihrer Nähe befinden sich nur Standart-Berufe zur Auswahl.
Küche. Verkauf. Damit kann sie nichts anfangen. „Trotz der Schmerzen muss ich
am Computer sitzen." Naja, vielleicht muss sie das nicht zwangsläufig.
Eine Kollegin hatte ebenfalls Augenprobleme geäußert und wurde auf Wunsch hin
freigestellt von besagter Arbeit. Tamsin hatte ihr Leiden ebenfalls verkündet,
jedoch nicht die PC- Probleme. Bestimmt würde sie dann auch freigestellt
werden. Dazu fehlte ihr jedoch wieder einmal der Mut. „Aber was nützt das
schon?“, fragte sie sich betrübt. Letztlich kümmert es niemandem. Tamsin
erträgt lieber den Schmerz, als sich zu beklagen. Möglicherwiese könnte sie
dann zu hören bekommen, dass sie trotzdem weitermachen muss, und diese
Demütigung ist viel schlimmer!
Der Schmerz wird zunehmen überwältigender.
Während sie sich vor der Überwältigung fürchtet, fragt sie sich gleichzeitig,
ob und wann dies nicht endlich geschehen wird. Denn danach wäre es vorbei – sie
könnte weg vom Bildschirm, wenn auch der Preis recht hoch ist.
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