Mittwoch, 21. November 2018

Nachhall der Traurigkeit

21.11
 

Tamsin fühlt sich noch immer bedrückt. Sie traut sich nicht, die Ungerechtigkeit von gestern anzusprechen. Vielleicht Freitag, wenn eh jeder gefragt wird, wie er die Woche fand. Oder montags. Aber sie hat Sorge, dass man sie nicht versteht. Zudem ist es sowieso immer so: Wenn jemandem etwas Ungerechtes passiert, dann ihr! „Gestern wollten alle Fliederbeersaft.“ Nur Tamsin bekam keinen. Nun, sie hatte nichts gesagt, dennoch ist sie traurig, dass man ihr nichts angeboten hat. „Ich werde oft wie Luft behandelt.“

Inzwischen redet kaum noch jemand mit ihr. Oft sitzt Tamsin alleine an ihrem Platz und hört zu, was die anderen sagen. So, wie schon ihr ganzes Leben lang. Nie ändert sich etwas. Aber wie sollte sie das schon ändern? Sie schafft es nicht. Weil sie in der WG wohnt, bekommt sie keine Einzelgespräche, denn die finden dort statt.
Naja, immerhin wird sie nicht geärgert. Sie muss einfach das Beste daraus machen.
Der Raum, in dem sie in der langen Pause am Laptop sitzt und schreibt, ist kalt.
Noch immer ist sie ratlos wegen Dave und Don. Beide wollen sie. Aber sie kann nur einen haben.

Das Wetter wird kälter. Tamsin sieht es positiv: Die Gruppe tut nicht im Garten essen.
Das ist auch schon alles.

In 8 Minuten ist Essensbesprechung. Tamsin wurde noch nicht gefragt, ob sie auch mal kochen möchte. Vielleicht, weil sie noch neu ist. Vielleicht wollen die das aber auch nicht. Vielleicht mögen sie Tamsin nicht. Sie sagt nichts. Sie weiß, dass sie wieder Pech haben wird: Andere kochen alleine und entscheiden selbst. Einige auch in Gruppen. „Wetten, dass ich dann mit jemandem kochen müsste, mit dem ich nicht gut auskomme und dann auch noch das gekocht werden müsste, was ich nicht mal mag!?“ Sie schweigt.

Montag gab es hier Lachs mit Kartoffeln. Tamsin hatte mitgegessen. Wie erwartet war der Fisch voller Greten. Ein Grund, weshalb sie nur Kabeljau mag! Zudem hatte sie danach total nach Fisch gestunken, so sehr, dass sie duschen musste! Abends kamen die Eltern, um die Anlage zurückzubringen und Tamsin hatte Panik, dass die Betreuer das sehen könnten und wieder predigen, dass Tamsin sowas doch alleine machen muss! Sie hat Angst, dass die sowas bemerken und meckern. Tamsin war schon früher rausgegangen, aber da kamen die gerade um die Ecke. Nun hofft sie nur, dass es draußen schon dunkel genug war, sodass das Licht im Fenster spiegelt und die nicht nach draußen gucken konnten.

Heute gab es hier Eintopf. Tamsin sitzt am Tisch, guckt zu. Mittwochs ist es schön hier, weil sie dann lange am Laptop sitzen kann und nicht basteln muss. Zwischendurch grübelt sie nach. Ob Don nicht die richtige Wahl für sie wäre? Ja, er ist komisch, aber Dave ist so ruhig und er kennt bisher nur Tamsins schüchterne Seite.
Und wie sollte sie außer denen je einen anderen Mann finden? Einen, der sie wirklich will? Einen wie Don, der an ihr hängt, hatte sie sich immer gewünscht… in ihren heimlichen Träumen.
Tamsin überlegt, ob sie vielleicht auch auf Frauen stehen könnte. Wie bei Männern gibt es einige Frauen, die sie sehr attraktiv findet. Zudem mochte sie Menschen mit langen Haaren schon immer! Aber auch damit hat Tamsin es schwer. Wie sollte sie ihrer Familie je erklären, dass sie mit einer Frau zusammen wäre, sofern die Art von Frau, die Tamsin süß findet, je ihre Zuneigung erwidern würde. Und dazu müsste sie diese erst einmal finden. Es ist ja schon unmöglich, normale Freunde zu finden. Oder überhaupt einen ehrlichen Liebhaber!

Allein bei den Gedanken kommt die Traurigkeit zurück.
Sie hat Don gesagt, dass sie ausziehen will und er will mit ihr zusammenziehen.

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