Sonntag, 26. März 2017

Tamsins anspruchsvolle Essgewohnheiten

Tamsin beißt die Zähne zusammen. Nicht aus Wut, sondern um zu verhindern, dass ihre Zunge über die immer noch spitze Zehnecke kratzt.
Gegen Mittag fährt Tamsin mit ihren Eltern nach Fehmarn. Dort gab es Pizza, aber der Italiener ist schon lange nicht mehr so gut wie früher. „Einen richtig guten Pizzabäcker zu finden ist verdammt schwierig.“ Irgendwie ist fast gar nichts mehr wie früher. Die Pizza vom Imbiss, in dem sie als Kind gerne gegessen hat, schmeckt heute fast genauso künstlich wie eine Eingefrorene. Der Käse wird schnell hart und die Soße schmeckt wie aus der Dose. Da ist nichts selbstgemacht.
Die Suche nach einem Laden, der gute Pommes verkauft, ist dagegen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. „Ich probiere nicht gerne neue Imbisse aus. Ich mag es nicht, enttäuscht zu werden.“ Das letzte Mal Pommes hatte Tamsin vor einigen Monaten in einer Fischhalle. Sie waren wabbelig, schmeckten ranzig und ungewürzt. Die Pommes von McDonalds sind okay. Allerdings nur morgens. Kauft man sie ab mittags, bekommt man die vorbereiteten aus der Wärmeablage, die bestenfalls nur noch lauwarm sind. McDonalds-Essen schmeckt allgemein ungenießbar, sobald es abgekühlt ist. Frisch und heiß ist es dagegen schon irgendwie… lecker. Doch ob man es so bekommt, ist ebenfalls wie ein Glücksspiel. „Ich mag dieses „Hauptsache es muss schnell gehen-Konzept“ nicht! Bin allerdings auch dankbar dafür, denn würde man immer heißes, direkt zubereitetes Essen bekommen, würde ich dort viel öfters essen, was noch mehr unangenehme, übergewichtige Folgen für mich hätte, als ohnehin schon.
Wie dem auch sei. Tamsin hat den heutigen Ausflug nicht sonderlich genossen. Das Wetter war schön, fast schon so warm wie schon seit einigen Jahren nicht mehr zu so früher Zeit, doch ihr Zahn nagt sehr an ihren Nerven. Tamsin kauft sich Kaugummi, dass sie über die scharfe Stelle legt. Danach geht es ihr ein wenig besser, doch auf Dauer ist das auch keine Lösung. Die Vorstellung, erneut Erfolglos zum Zahnarzt zu gehen, ohne, dass sich etwas bessert, bereitet ihr Unbehagen.

Gegen Abend hat Tamsin endlich ihren Schreibtisch fertiggestellt. „Heute habe ich die obere Platte angestrichen und verziert.“ Die Arbeit ist anstrengend, dieses ständige Bücken, vorbeugen, stehen, setzen, rüber lehnen… Doch Tamsin merkt auch, dass die Bewegung ihr guttut. Zudem bemüht sie sich, nicht mehr so viel zu naschen und mehr Obst zu essen. „Gestern habe ich freiwillig Hühnersuppe gegessen. Als Kind habe ich sie gehasst, weil es mich immer geärgert hat, wenn Hähnchen gekocht wird, da es gebraten tausend Mal besser schmeckt. Auch gekochtes Gemüse zu essen ist ungewohnt. Als Kind mochte ich es nie, und das war okay. Ich weiß selbst nicht, wie es zu dieser Abneigung kam. Mom machte mir dann immer etwas Anderes, und so entstand die Gewöhnung, dass ich immer das esse, was ich mag, und das ist wenig abwechslungsreich.“ Unwillkürlich erwischt Tamsin sich wieder dabei, wie sie jeden Löffel bevor er in ihrem Mund landet genauestens beäugt. Neben Fleisch, Wurzeln und Klöße schwimmt viel in der Suppe, was Tamsin keiner eindeutigen Bestimmung zuweisen kann. Sind es Gewürzte, Kräuter oder doch etwas ganz Anderes? Gerne würde sie diesen Kontrollzwang in einen Sack stopfen und einfach reinhauen! Doch das scheint unmöglich. Sie kann einfach keinen Löffel mit Dingen leeren, dessen Ursprung sie nicht kennt. Diese Angewohnheit plagt sie schon seit früher Kindheit.
Tamsin weiß noch, wie sie damals im Alter von zwölf Jahren mit einer Schulfreundin vom nahen Imbiss oft Pommes geholt hatte. Jeder eine Schachtel voll. Die Freundin hatte immer gelacht und sich gefreut, als Tamsin die „Schlechten“ mit den schwarzen Stellen aussortiert und ihr gegeben hatte. Sie verstand nicht, wieso es Tamsin Übelkeit bereitete, wenn diese mit Appetit verschlungen werden.  

Danach hat Tamsin noch ein wenig aufgeräumt. „Ich mag es, wenn alles ordentlich und sauber ist.“

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