Tamsin ist nervös. Sie hat eine Einladung vom Jobcenter erhalten. Was
könnten die nur von ihr wollen? Ihre Ängste verhindern, dass sie wie normale
Menschen einer angenehmen Tätigkeit nachgehen kann, darum wartete sie, bis ein
Therapieplatz frei wird. Doch dies kann dauern. „Seit der letzten Maßnahme bin
ich nun schon ein paar Monate zuhause. Entgegen vieler Vorurteile hänge ich
jedoch nicht wie ein fauler Arbeitsloser den ganzen Tag vor der Glotze. Ich verziere
alte, schäbige Möbel und arbeite an meinem Buch. Täglich.“ Oft glaubt Tamsin,
dies könnte die einzige Rettung in eine angenehme Zukunft sein. Gerne würde sie
ihr Hobby zum Beruf machen.
Der Termin ist in fast zwei Wochen. Tamsin grübelt darüber nach, worum
es wohl gehen könnte, da es aufgrund der anstehenden Therapie eigentlich keinen
Grund für eine Einladung gibt. „Vielleicht geht es um eine neue Maßnahme zur Überbrückung
der Wartezeit?“, vermutet sie. Das klingt am logischsten. Unwillkürlich
erwartet sie das schlimmste, denn dann kann sie wenigstens nicht enttäuscht
werden. „Schlimmstenfalls werde ich in eine Großküche geschickt.“ Seit Tamsin
vor einigen Tagen eine Doku über Fischer in Alaska gesehen hat, stellt sie sich
vor, wie es wohl wäre, auf einem Kutter in der nahen Hafenstadt zu arbeiten. „Es
ist gewiss anstrengender als Küche und ich weiß gar nicht, was hier auf den
Schiffen genau zu tun ist. Aber ich kann mir derweil nichts ermüdendereres
vorstellen, als stundenlang in so einer Großküche zu stehen, auf einen Berg zu
schneidendes Gemüse zu starren und dabei schlechte Musik aus einem plärrigen
Radio zu hören.“ Vor einigen Jahren hatte Tamsin große Angst, dass man sie als Kanalarbeitern
einsetzen würde. Durch dunkle Gänge kriechen und Rohre reinigen… „Seitdem war
ich wieder in einem Küchenbereich, wenn auch nur kurz. Okay, es ist wirklich
unwahrscheinlich, dass eine ungelenkige Person wie ich in die Kanalisation
geschickt wird, aber, wenn ich genauer darüber nachdenke, würde ich sogar das
einer Küche vorziehen.“ Sollten sie Tamsin wirklich in eine Großküche schicken,
so überlegt sie, zu bitten, ob sie nicht lieber irgendwo Toiletten putzen
dürfe. „Dabei muss man wenigstens nicht ununterbrochen auf einer Stelle stehen,
und wenn die Rückenschmerzen zu unerträglich werden, kann man sich auch mal hinsetzen
– sofern man alleine arbeitet.“
Tamsin war auf dem Flohmarkt. Gerne hätte sie einen zweiten Kassettenrecorder,
nur für den Fall, dass ihrer mal kaputtgeht. Moderne Kassettenrecorder sind
flatterig gebaut und halten nicht mehr so viel aus, wie noch vor dreißig
Jahren. Auf dem Flohmarkt entdeckt sie einen. Die Verkäuferin versichert
prompt, dass damit alles in Ordnung ist. Wirklich! „Das sagen alle!“, meint ihr
Dad, worauf hin Tamsin eine Steckdose sucht. „Es war ein Hallenflohmarkt, aber
die Hallenflohmarkt-Zeit ist bald vorbei. Ich muss die Gelegenheit nutzen, denn
auf den Draußen-Flohmärkten wird es keine Steckdosen zum Ausprobieren geben,
und ich werde mir ab sofort keine Elektrogeräte mehr kaufen, wenn nicht vorher
zu beweisen ist, dass sie auch funktionieren!“
Voller Erwartung schiebt Tamsin ihre extra für diesen Fall
mitgebrachte Kassette in den Kassettenrecorder und drückt auf Play. Nichts
geschieht. Sie probiert herum, schaltetet das Radio ein, was beweist, dass das
Gerät nicht gänzlich tot ist. Doch von der Kassette kommt kein Ton. Tamsin
öffnet die Klappe und legt einen Finger an die Schrauben. Bedrückt stellt sie
fest, dass sich diese trotz des im Hintergrund zu hörenden Rauschens des
laufenden Bandleitwerkes nicht drehen. Sie ist enttäuscht. Aber auch
erleichtert. Beinahe hätte sie wieder einmal fünfzehn Euro für Schrott
weggeworfen. Enttäuscht gibt sie den Kassettenrecorder an die Verkäuferin
zurück. Diese wirft ihrer Begleiterin, die in der Zwischenzeit aufgetaucht ist,
einen verwirrten Blick zu. Offensichtlich war es ihr Kassettenrecorder. „Oh.“,
gibt diese ebenfalls irritiert zurück. „Es funktioniert nicht? Ist ja komisch.
Das wusste ich nicht.“
Tamsin ist sich nicht sicher, ob diese Leute ihre Elektrogeräte vorher
wirklich nicht ausprobieren. Es könnte ja auch sein, dass mal ein Radio
kaputtgeht, man keine Lust hat, es zu entsorgen und es in den Keller stellt.
Jahre später sucht man Flohmakrtsachen zusammen und findet es. Man denkt: „Hä,
was ist denn das für ein altes Ding? Brauche ich das noch? Nein, ich habe doch
ein Neues. Weg damit.“ Und damit landet es auf dem Verkaufstisch.
Das ist eine Therorie. Das würde die
verwirrte Unwissenheit wie auch die Überzeugung, dass es nicht kaputt ist,
erklären. Man hat es schlichtweg vergessen. Denn Tamsin kann sich nämlich nicht
vorstellen, dass wirklich alle älteren Damen sie dreist und ohne dabei rot zu
werden übers Ohr hauen wollen.
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