Donnerstag, 28. Dezember 2017

Immer noch einsam

 
Tamsin freut sich auf Silvester und hat sich schon die besten Berliner ausgesucht, die nur noch bestellt werden müssen. Mit Nougat und Marzipan.
Während sie zuhause sitzt und Möbel und andere Dinge mit Farbe verziert, kommt die Einsamkeit wieder. Das gestrige Frühstück war doch freiwillig, und Tamsin verzichtet wegen ihrer miesen Stimmung über das fehlende Busgeld, worüber sie sich später ärgert. Und auch heute noch. Ein weiteres Tief hatte ihr eine Frage über die Küche bereitet, die ihre Betreuerin mit „Dann musst du deine Mitbewohner fragen“ beantwortet hat. Das traut Tamsin sich nämlich noch nicht. Alleine bei denen zu klingeln… Sie wohnt nur mit Männern in ihrem Erdgeschoss, was es umso schwieriger macht. „Ich fühle mich im Stich gelassen.“ Sie hätte sich die Frage sparen können.
Tamsin sagt vieles, was falsch ist. Und bereut es später. Sie muss genauer nachdenken!

Wiedermal schaut sie sich in Flirtchats nach neuen Bekanntschaften um. Aber auch dort ist es immer dasselbe. Entweder wohnen die Typen zu weit weg. Haben so kurze Haare – das sieht so normal, modern und langweilig aus (klingt das jetzt oberflächlich?). Oder haben im Grunde gar keine Lust überhaupt zu schreiben, was man schnell an den lustlos gestellten Standartfragen merkt. „Ich sollte meinen Kleiderschrank mal aufräumen. Alles fällt mir schon entgegen.“
Weil sich in den normalen Singlebörsen ausschließlich normale Menschen tummeln, durchforstet Tamsin den Gothikchat. „Ich wollte noch nie einen normalen Freund. Normal im Sinne von „So wie der Mainstream die Welt formt“.“ Einen Kerl mit kurzen Haaren der gerne RTL Soaps schaut, nur Radiomusik mag, auf Ikea Möbel steht, raucht und Fußballsüchtig ist – und der einem im Chat mit der öden Frage hi was suchst du? Begrüßt.
Tamsins Traummann mag Horrorfilme, weiß Antiquitäten zu schätzen, würde mit ihr in Wacken zelten gehen und anstelle von bunten Porzellanhasen nur Totenköpfe in der schwarztapezierten Wohnung aufstellen!

Allerdings sucht Tamsin bereits seit über 8 Jahren, und bisher hat sie weder einen Grufti gefunden, der ist wie sie, noch einen stinknormalen Typen. Sie schafft es ja nicht einmal, einen virtuellen Freund zu finden. „Ich habe es schon öfters versucht. Habe alle mir gestellten Fragen in den Chats beantwortet. Sogar die echt dämlichen Fragen, wie nach Körper- und Körpchengröße.“ Auch wenn ihre Antwort auf solche Fragen oftmals gelogen sind, die Gespräche verlaufen kurzweilig wie Treibsand.

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