Mittwoch, 7. Februar 2018

Tränen, Leid, Erleichterung




Wieder hat Tamsin einen unangenehmen Tag hinter sich. Und das, obwohl sie doch recht munter aus dem Bett kam. Naja, abgesehen von einer Träne, die sich aus ihrem Augenwinkel stahl, weil ihre Gedanken wieder zu dem Kiosk schweiften, in den sie heute hineingehen müssen würde. "Heitere Musik versüßt mir gerne den trüben, frostigen Morgen."   
Die Busfahrt hinein in den Morgengrauen war recht angenehm, da Tamsin sich zum Warten immer genau dorthin stellt, wo der Bus hält. Und war wenige Zentimeter gegenüber des Briefkastens. Tamsin wird nervös, wenn sie dort nicht stehen kann, weil sie zu spät kommt oder Raucher in der Nähe sind, die ihr das Atmen schwer machen – ganz abgesehen von ihren Ängsten. Gerne steigt sie als erste ein, um einen Platz direkt neben einem Halteknopf zu ergattern. Ist dieser nicht in Reichweite, wird sie nervös. Denn ebenso unangenehm wie das Gedrängel an der Tür ist es, wenn jemand sich neben einen setzt und sie dann nichtmehr rankommt bzw. Aufstehen muss, ehe der Bus das Ziel erreicht und den Rest der Fahrt über im Stehen fahren muss, weil sie sich nicht wieder hinsetzen kann, da dort ja jemand sitzt. "Ich habe oft Angst, dass, wenn ich aussteigen muss, nicht rauskomme, weil der, der sich neben mich setzt, mich nicht rauslässt."  

Während in der Maßnahme der Wochenplan besprochen wurde, lauscht Tamsin den Worten, kämpft dagegen an, sie in ihren Kopf eindringen zu lassen. Doch dies misslingt ihr, und im Zusammenhang von ihren Namen und dem Kiosk kommen ihr plötzlich die Tränen. Warum? Ja, warum hat sie nur solche Angst vor der Kasse, den Kunden und den Lärm, den sich immer wieder wiederholenden Worten... !? 

Naja, da sie nach einem Gespräch nicht direkt die Kunden bedienen musste, verlief der Tag dann doch zäh, aber ok. "Wir haben zusammen gefrühstückt." Die warmen Brötchen mit Käse waren gut. Tamsins Furcht, etwas nicht zu erreichen, lässt langsam nach – wenn auch sie alles bekam und sich nicht getraut hat, zu fragen, ob jemand ihr den Salat reicht. Schade.  

Weil eine Kollegin Fragen zum Computer hatte, brauchte Tamsin nichtmehr in den Kiosk, damit sie es ihr erklären konnte. "Es ist ein tolles Gefühl, in diesem Bereich auf jede Frage eine Antwort zu wissen! Egal, wie seltsam die Fragen sind." Tamsin ist stolz auf ihr Fachwissen.  


Ihr Wunsch, sich in einer Fabrik zu bewerben, wächst. Allein die Angst vor dem Vorstellungsgespräch hindert sie noch daran. Nun, da sie weiß, dass es möglich ist auch 5 Stunden am Tag zu arbeiten ohne dabei auf Auto und Wohnung und die Unabhängigkeit vom Amt zu verzichten, erscheint ihr alles andere utopisch. Tamsin weiß, dass selbst 5 Stunden zur Qual werden können, muss man sie pausenlos im Stehen verbringen und ist in Isolation, wo selbst das Trinken verboten ist. 

Später kann Tamsin sogar wieder lachen. Der Tag ist bald vorbei, und bis zum nächsten Kiosktag sollten es 7 Tage sein. Tamsin hatte mit ihrem Arzt über die Sache gesprochen. Er würde sie davon befreien, damit sie nicht ernsthaft krank wird, aber dann würden die anderen böse werden und dagegen angehen, weil Tamsin es ja lernen muss, egal, wie es ihr dabei geht! Tamsin will sich nicht mit dem beharrlichen Jobcenter anlegen.  


Tamsin will sich besser fühlen, indem sie ihre Haare kürzt. Nicht sie, sondern ihre Mom tut dies. Tamsin mag keine Friseure, weil die immer so viel reden und fragen. Und wegen der Geschlechtsungleichberechtigung. Warum bezahlen Frauen das doppelte wie Männer, selbst wenn ihre Haare mal nur halb so lang sind? Sowas ist unfair! "Eigentlich liebe ich lange Haare! Doch die Pflege ist aufwändig, lästig, vor allem an Vollzeittagen, an denen jede freie Minute Zählt. 

Während Tamsin mit zwei Leuten im EDV Raum sitzt, gähnt und schreibt, weil es keinen konkreten Arbeitsauftrag gibt, freut sie sich drauf. Und auf das essen. Das Essen vom Imbiss schmeckt besser als das Fertigessen, das Tamsin sich an zu langen Tagen mit zu kurzen Nächten zubereitet. Die Gesundheit spielt für sie keine große Rolle. Etwas Leckeres zu essen – darauf kann sie nicht verzichten. Es ist wie eine Ersatzbefriedigung für die Freuden, die ihr allesamt verwehrt bleiben. Freunde. Spaß. Glück. Vor allem jetzt, da sie mehr am Weinen als am Lachen ist, ist jede gewonnene Freude Goldwert! 

"Ich wünschte, es wäre wieder so wie früher." Es gab Zeiten, da fuhr Tamsin mit einem breiten Lächeln nach Hause, weil ihre Chefin von ihrem Roman begeistert war und Tamsin Freude daran hatte, es weiter zu schreiben. "Jetzt will ich einfach nur noch schlafen." 

"Ich wünschte, heute wäre schon morgen." Ein kleiner Job. Ein Auto. Heile Zähne. Einen Freund. Alles erreicht haben. Keine Sorgen mehr. 

Wie lange wird es noch dauern? 
Wird es überhaupt je so weit sein!?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen