Dienstag, 20. Februar 2018

Beginn des Elends, Zukunftsangst



Dieser Tag begann bereits mit starken Halsschmerzen. Unbehaglich macht sie sich auf den Weg in ihre Maßnahme, die, Seite ihre Chefin nichtmehr da ist, kaum noch große Freude bereitet. Dort pünktlich um 8 angekommen, wurde gewartet bis es kurz vor 9 Uhr war. „Wir haben gewartet. Eine Kollegin, die ebenfalls als Neustadt kommt darf immer eine Stunde später kommen, und ja, wir haben gewartet, bis ihr Bus da war, dann sind wir losgefahren, um sie an der Haltestelle abzuholen, an der ich ebenfalls aussteige und dann sind wir weitergefahren in die andere Maßnahme. Im dortigen Friseurbereich sollte heute das Umstyling stattfinden.“ Warum nicht direkt allen gestattet wurde, später einzutreffen und Tamsin mit der Kollegin abgeholt werden konnte, ist wohl eines der sagenumwobenen JOBB-Geheinisse.

Auf dem Weg spürt Tamsin, wie ihr Wohlbefinden spürbar nachlässt. Drückender Kopfweh. Übelkeit. Zittern. Halsschmerzen! Die anderen Kollegen merken es, die Anleiter dagegen nicht. „Ich wollte nur noch ins Bett!“

Zu Tamsins Glück, falls man das so nennen konnte, hatte Frau Ti, die Anleiterin, die Termine vertauscht! Das Umstyling findet erst nächste Woche statt! Und so fuhren sie, wie sie gekommen waren, wieder zurück. – Naja, zuvor wurden neue Kittel ausgesucht. Tamsin hatte sich über die Flecken beklagt, weil die Kinder sie deswegen ausgelacht haben. „So einen schönen Kittel hätte ich auch gerne.“, hatte ein Mädel ironisch gemeint. Aber da es eine Harz4 Maßnahme ist und jeder Cent ein Cent zu viel ist, werden keine Neuen gekauft, sondern aus der Anderen Maßnahme welche rüber geholt. Wenigstens die waren sauber.
„Tamsin ist gar nicht so dick.“, meinte bei der Anprobe eine Kollegin, als Tamsin äußert, eine besonders große Größe zu benötigen. Das wundert sie. Die Frau ist sehr ehrlich und sagt den Dicken gerne offen ins Gesicht, dass sie dick sind. Diese hingegen sind dann verärgert. Dass sie Tamsin dünn findet, ist erstaunlich.

Wieder angekommen, war natürlich erstmal Pause. Den Kopf auf die Hände gestützt, grübelt Tamsin nach. Die anderen Kollegen wirken besorgt, raten ihr, heimzufahren, zum Arzt zu gehen, doch die Anleiter bleiben weiterhin ignorant. Nehmen sie nicht ernst. „Letztes Jahr bin ich in diesem Zustand mit der Gruppe um den See gelaufen.“ Jeder Atemzug brennt wie Feuer, besonders beim Gehen. Tamsin erwähnt, dass sie wegen der Halsschmerzen heute nicht mitlaufen kann/mag. „Das ertrage ich kein zweites Mal!“ Tamsin war nie aufsässig, doch allmählich hat sie es satt, ständig Dinge zu tun müssen, die sie hasst. Vor allem, wenn diese ihr Schmerzen bereiten. „Schmerzfreiheit ist mir wichtiger als Geld und es war mir herzlich egal, wenn ich wegen Arbeitsverweigerung dem Jobcenter gemeldet werden würde.“ Auf andere wird so viel Rücksicht genommen!
  „Was haben die Füße mit der Nase zu tun?“, erwiderte Frau Ti schnippisch. „Du kannst gehen; du atmest doch nicht mit den Füßen!“
  Wieder vergrub Tamsin ihr Gesicht hinter ihren Händen, damit niemand die Träne bemerkt, die ihr bei diesem dummen Spruch aus den Augen quoll. Sie hat keine Lust auf eine sinnlose Diskussion, wieso ihr der Hals beim scharfen Einatmen der kühlen Luft wie Feuer brennt und schweigt. Obwohl die Frau recht nett ist, hat Tamsin manchmal das Gefühl, nur ein Fußabtreter zu sein. „Ja sie ist nett, aber wenn es um die Befolgung von Regeln und Anweisungen geht, kennt sie keine Gnade!“
Nachdem die Kollegen es nochmals ansprechen, darf Tamsin ihren Dad anrufen, damit er sie zum Doc fährt. Mit dem Bus würde es zu lange dauern und zudem mag sie nicht so weit laufen.
Lange warten musste sie beim Arzt nicht. „Man, was war ich erleichtert, dass ich krankgeschrieben wurde!“

Tamsin ist nun dennoch froh, dass alles so gekommen ist wie es sollte und dass sie nicht stillschweigend mit der Gruppe die Bewegungsrunde mitgemacht hat. Denn nach so einem Marsch wäre sie vollkommen am Ende! „Ich war nie aufsässig. Tue Anweisungen stets befolgen wie ein Treudoofer Hund.“ Schmerz ist eine Grenze, die Vernunft übersteigt.

„Manchmal fühle ich mich wie eine Sklavin, die nur Anweisungen befolgen muss, keinen eigenen Willen hat und deren Worte nichts als kalte Luft sind.“ Ihr ganzes Leben lang musste sie immer wieder tun, was sie hasst. In einer Küche arbeiten. Stehen – Schmerzen ertragen. Nun in den Kiosk. Die wenigen Glücksmomente, wie die 3 Jahre bei BQOH, erscheinen ihr wie eine winzig kleine Eintagsfliege.

Andere Verweigern sich und kommen damit durch. Nur Tamsin sagt zu allem Ja. „Mir war es immer wichtig, einen Job zu finden, der mein Leben bereichert!“ Heute wurde ihr erzählt, dass normale Arbeitslose jeden Job annehmen müssen, egal ob er ihnen gefällt. Ansonsten drohen Strafen.
Plötzlich hat Tamsin Angst normal zu werden und wie alle anderen behandelt zu werden. Ohne Rücksicht auf ihre Ängste, ihren Willen. So ein Leben will sie nicht. „Ich fühle mich so hoffnungslos! Als ob alles, wofür ich gekämpft habe, umsonst war.“ Arbeit ist leben, und ein unglückliches Leben ist kein Leben. Aber das versteht niemand. Alle denken nur an die Regeln und die Bürokratie und wer dumm ist, nichts kann ist nur ein Fußabtreter der Gesellschaft.
„Ihr verstehe ja, wenn ich niemals im IT Bereich einen Job bekomme.“ Aber Vollzeit als Küchenhilfe, Putzfrau oder im Supermarkt zu arbeiten, das wäre kein Leben! „Andererseits war ich das ganze Leben lang eine Dienerin. Warum sollte es in Zukunft anders sein?“

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