Samstag, 19. Oktober 2024

Tagebucheintrag #1233456 Ein Einblick

Ich bin tamsin, Mitte 30 und habe Depressionen. Stark. So stark, dass ein Stück Schokolade essen nicht mehr hilft. Ich bin alleine, fühle mich alleine und habe den Entschluss gefasst, darüber zu erzählen. Ob es interessant ist oder überhaupt jemanden interessiert, spielt momentan keine große Rolle. Kein Mensch kann immer alleine sein, man braucht jemanden zum Reden oder zuhören und wenn keiner da ist, muss man die Möglichkeiten nutzen, die übrig bleiben. Alle vier bis sechs Wochen zur Therapie und dazu einige Termine mit der betreuungspersonen reichen nicht aus, um das grundbedürfnis an sozialen Kontakten eines menschens, zumindest was meine Wenigkeit betrifft, zu decken.
Depressionen habe ich schon viele Jahre. Nahezu zwei Jahrzehnte. Zwischendurch gab es immer mal wieder Dinge, die zur ersehnten Heilung beitrugen, aber auch Dinge und Ereignisse, die alles wieder verstärkten.
Angststörung, soziale Phobie, persönlichkeitsstörung und höchstwahrscheinlich auch noch Autismus machen mir das Leben schwer.
Alles fing an mit Mobbing schon ab der grundschulzeit. Keine Freunde. Keine Ausbildung. Jahrelang Zuhause. Der Computer war viele Jahre mein einziger Freund. Immer wollte ich im Büro arbeiten, oder mit Computern. Aber das wollten die anderen nicht, das Amt, denn ich war nie qualifiziert genug. Putzen und teller waschen war der Inhalt der arbeitsmaßnahmen, in die ich immer wieder geschickt wurde. Die Depression freute dies. Mich nicht. Kurz nach Einzug in eine betreute WG; jedem waren die Diagnosen bekannt, wurde ich in einer Maßnahme im Kiosk an die Kasse gestellt. Laute schreiende Schüler reihten sich vor mir auf, und während ich immer wieder ermahnt wurde, jeden einzelnen zu begrüßen, was durch das Geschrei nicht zu hören war, stand ich dort mit Tränen und Panik an der Kasse. Auf diese Weise sollte ich die Ängste abbauen, meinten sie. Schon während jeder täglichen morgendlichen Besprechung, wo die Aufgaben der Teilnehmer der Maßnahme zugeteilt worden, saß ich dort mit Tränen, wenn immer wieder beschlossen wurde: tamsin geht an die Kasse. 
Aber nicht das anschließende aufwischen der essensreste, welche die Schüler in jener Kantine täglich hinterlassen haben, gab mir den Rest.
Es war diese eine Moment, wo ich alle Teilnehmer der Gruppe beim kartenspielen gesehen habe, während ich die dortigen sehr stark verunreinigten Toiletten reinigen musste.
Immer wieder wurde gesagt, sie meinen es nur gut mit mir und wollen mich ins arbeitsleben einführen. Nach einigen Gesprächen, wo ich erzählt habe, dass ich mich in den Pausen in der Toilette einschließe um zu weinen, und die wg-betreuerin meinte, man kann jemanden mit meinen Diagnosen nicht zum Reden an der Kasse zwingen, kam die Bescheinigung Arbeitsunfähigkeit sehr schnell. Damals war ich froh darüber, damit auch die Maßnahme verlassen zu können. Heute stelle ich mir oft die Frage, ob diese putztätigkeiten wirklich schlimmer sind, als jeden ganzen Tag alleine zu Hause zu sitzen? 
Seither stellt sich immer wieder die Frage, wie es weitergeht. 

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