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„Oh, Tamsin! Was veranlasst dich zu glauben, du wärst schlecht?“
„Weil
ich ständig dunkle, böse Gedanken habe. Und das schon seit er Kindheit.
Eigentlich wünsche ich niemandem etwas Schlechtes und ich will nicht, dass
diese Gedanken kommen, aber ich selbst erwische mich immer wieder, wie ich mir
in verschiedenen Situationen das Schlimmste vorstelle. Wie anderen Menschen
Schlechtes wiederfährt. Dass es niemandem bessergehen soll, als mir. Ich bin
manipulativ“
> „Wie genau sieht das aus?
-Sehe ich jemandem eine
schwere Einkaufstasche ins Haus tragen, stelle ich mir oft vor, wie die Griffe
reißen und alle Einkäufe auf die Straße fliegen und überfahren werden. Sehe
ich, dass die Tasche kurz vorm reißen ist, sage ich nichts, sondern spüre, wie
es mir in den Fingern juckt, mein Handy zu zücken, auf das Unglück zu warten
und es zu filmen.
-Gehe ich mit Leuten aus
der Arbeitsgruppe einkaufen und weiß, dass wir danach gemeinsam die Taschen
tragen müssen, packe ich bei den anderen immer mehr ein als bei mir. Würde ich
mitkriegen, dass jemandem etwas aus der vollen Tasche fällt, kann ich ihn nicht
warnen, sondern ignoriere es und ergötze mich später daran, wie er sich, sobald
es ihm auffällt, darüber ärgert. Im Circus oder sonstigen Aufführungen muss ich
mir unwillkürlich immer vorstellen, wie Vorführungen scheitern und Unfälle
aussehen.
-Wischt in der Kochgruppe
jemand nach dem Kochen den Ofen ab, stelle ich mir vor, was passiert, wenn er
noch an wäre und er sich die Hände verbrennt, oder der Lappen oder die langen
Haare, die über den noch heißen Platten hängen, Feuer fangen.
Vergisst jemand die
offene Milch zu verschließen, ignoriere ich sie, auch wenn ich weiß, dass sie
noch fast voll ist und später noch gebraucht wird, und der Deckel danebenliegt.
Dann steht sie da paar Tage und alle ärgern sich.
-Braucht jemand aus der
Arbeitsgruppe Hilfe bei etwas, schaue ich weg, als würde ich es nicht bemerken.
-Fällt jemandem etwas in
meiner Nähe runter, tue ich oft so, als hätte ich es nicht gesehen, damit ich
es nicht aufheben muss.
-Sehe ich, dass jemand
traurig ist oder Probleme hat, schaue ich weg. Hoffe, die Person merkt nicht,
dass ich ihren Kummer bemerkt habe. Ziehe mich zurück, wenn möglich. Tue so,
als wäre ich mit anderen Dingen beschäftigt, damit ich mich nicht um sie
kümmern muss.
-Einmal hatte eine
Kollegin, die täglich Häkelt, ihre Häkelnadel nicht gefunden. Ich fand es
spannend, zuzusehen, wie sie in ihrer Tasche danach gesucht hat. Habe mich
sogar gefreut und darüber nachgedacht, was sie wohl macht, wenn sie ihrer
einzigen, geliebten Beschäftigung nicht nachgehen kann. Als sie die Nadel dann
doch noch erleichtert gefunden hat, war ich enttäuscht.
-Sehe ich, das der Stuhl,
auf dem gerade jemand steigt, um etwas ins oberste Regal zu legen, schon sehr
wackelig ist, trete ich zurück, anstatt ihn zu warnen und kann nicht anders als
mir vorzustellen, wie der Stuhl zusammenbricht. Selbst wenn ich die Person mag.
-Arbeiten wir am
Computer, tue ich sogar manchmal kleine Probleme verursachen, damit andere
Leute später zu mir kommen und ich das Problem dann für sie lösen kann – alle
hier wissen, dass ich mich mit Computerproblemen auskenne und die immer lösen
kann. Ich fühle mich gut, wenn andere danach dankend vor mir auf die Knie fallen,
weil sie das Problem ohne meine Hilfe niemals alleine gelöst hätten. Würde ich
sehen, dass jemand aus der Gruppe seinen Monitor zu nahe an die Tischkante
geschoben hat, schweige ich und warte gespannt darauf, dass er runterfällt und
kaputtgeht. Oder lässt jemand sein Handy draußen liegen und es fängt an zu
regnen, drehe ich mich vom Fenster weg und freue mich, wenn der Besitzer später
zu mir kommt und meinen Rat sucht, ob man da noch was reparieren kann… Auch
Leuten die ich mag und die sehr hilfsbereit sind, lüge ich offen ins Gesicht.
Sie opfern dann ihre Zeit für mich, um mir bei den Aufgaben zu helfen, und dass
andere Kollegen dadurch vernachlässigt werden, ist mir egal.
-Als ein Bekannter ein
Treffen absagen musste zu dem ich bereits erschienen war, weil er sich schwer
verletzt hatte und zum Arzt musste, war alles, was mich interessierte, wann der
nächste Bus nachhause fährt und der Ärger, umsonst Zeit und Geld für die
Fahrkarte aufgeopfert zu haben. Ich habe 4 Jahre lang nach einer Wohnung gesucht,
bekam aber immer nur Absagen. Dann fing ein Bekannter auch zu Suchen an und
fand/bekam bereist nach 2 Monaten eine! Ich habe später geweint und die Person
gehasst, war eifersüchtig, weil ich selbst nie Glück habe. Einmal wurde der
Arbeitslohn verteilt. Die Chefin gab mir das Geld schon früher, und später kam
ihr Mann, der mir meinen Lohn ebenfalls geben wollte, weil er davon noch nichts
wusste. Anstatt dies zu erklären, nahm ich das Geld einfach und freute mich
über den doppelten Lohn. Ja, das ist falsch. Aber ich tat es. Warum…!? Ich weiß
es nicht! Es direkt am Anfang aufzuklären hat sich falsch angefühlt. (Später
ist dies dann aufgefallen, aber ich konnte selbst dann einfach keine Scham
verspüren) Auch, wenn meiner Chefin der mitgebrachte Kuchen aus der Hand fällt,
weil ich ihr nicht die Tür aufgehalten habe, kann ich nur an mich selbst
denken. Anstatt zu helfen überlege ich, was ich später im Fernsehen schaue,
oder überlege, welcher Platz am Tisch der Beste ist und von wo aus ich die
Kekse am ehesten erreichen kann. Alles andere kümmert mich einfach nicht.
-Einmal konnten wir
unbeaufsichtigt im Holzbereich etwas bauen. Im vorderen Bereich waren die
Plätze für eine morgige Prüfung vorbereitet. Eine Frau lieh sich dort eine Säge
aus, weil die anderen alle stumpf waren. Ich habe dies ebenfalls gemacht,
jedoch habe ich sie danach nicht wieder zurückgelegt. Ich habe mir vorgestellt,
dass ein schüchterner Mensch diesen Platz ohne Säge bekommt, sich nicht traut
das zu sagen und die Prüfung deswegen vermasselt. Oft habe ich daran gedacht,
sie doch zurückzubringen und hätte viele Chancen gehabt. Meine Schadenfreude
ist wie ein Dämon, der mich beherrscht. Vielleicht sah ich es auch als eine Art
Genugtuung dafür, dass demnächst Toilettenputzen auf meinem Plan stand.“
> „Wie ungezogen von dir, Tamsin!“
„Als Kind habe ich viele
Streiche gespielt. Heftige Sachen, wie fremde Fahrräder mit alten Schlossern
abschließen und dann die Schlüssel wegzuwerfen. Kamen die wütenden Besitzer
deswegen zu spät zur Arbeit; standen wütend im Keller und haben versucht, das
Schloss mit der Zange zu entfernen, hat mich das amüsiert. In der Grundschule
habe ich ständig den Mitschülern, die sich gerade hinsetzen wollten, die Stühle
weggezogen, sodass sie sich danebensetzen und hinfielen… Die Lehrerin war dann
böse, aber ich habe nur gelacht.“
> „Das ist traurig.“
„Sowas wie echtes
Mitgefühl von anderen habe ich erst im Arbeitsleben erfahren. Es macht mich
glücklich, wenn andere nett zu mir sind und ihr Essen einfach ohne
Hintergedanken mit mir teilen, aber anders denken kann ich dennoch nicht. Wird
zB in der Gruppe Geld für ein Geburtstagsgeschenk gesammelt, stecke ich gerne
mal nur 1 Cent in die Dose und tue dann später so, als wäre der nicht von mir.
Die anderen ärgern sich und meinen, wenn man schon nichts geben mag, kann man’s
ruhig sagen. Das jedoch traue ich mich nicht; ich will nicht geizig erscheinen
und wenn die Dose mal in der Gruppe rumgegeben wird, stecke ich mehrere Centstücke
rein, damit es sich nach Viel anhört. Ich liebe es, wenn andere sich mitleidig
um mich sorgen, wenn mir mal etwas Übles passiert, oder es mir schlecht geht.
Dann fühle ich mich nicht so allein. Ich selbst würde niemals jemanden
mutwillig ernsthaft Schaden zufügen! Als Kind waren es dumme Streiche, die ich
schon lange nichtmehr tätige. Ich bin in Gegenwart anderer Menschen immer
schüchtern, zurückhaltend, beinahe krankhaft ängstlich. Aber diese
schadenfrohen Vorstellungen kommen einfach. Immer wieder. Unwillkürlich.“
> „Hmmm…“
„Viele Mitmenschen halten
mich dennoch für liebenswürdig und nett. Sie wissen, dass ich schüchtern bin,
aber auch gerne helfe. Auch wegen der Schüchternheit habe ich oft nicht den
Mut, den Mund aufzumachen und jemandem von mir aus zu helfen. Immer warte ich,
bis andere zu mir kommen. Niemand weiß von meinen schändlichen Gedanken. Ich
weiß nicht, wie ich sie loswerden kann.“
„Im Grunde hasse ich
Lügen. Ich hasse es, wenn jemand mich anlügt. Vor allem, wenn es solche Lügen
sind, die man sofort durchschaut! Dabei fühle ich mich schlecht, würde ich
jemanden grundlos anlügen.
Daher finde ich es
gerecht, jemandem, der mich angelogen hat, ebenfalls eine Lüge aufzutischen.
Egal, wie nett die Person sonst ist. Oder, ob sie es gar nicht böse gemeint
hat.“
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